Leben mit Proust und PolkeKölner Sammler Reiner Speck wird 80 Jahre alt

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Reiner Speck

Reiner Speck

Köln – Während einer Feierstunde im Museum Ludwig setzte es plötzlich einen lauten Knall. Reiner Speck unterbrach seine wohl gesetzte Rede, schätzte mit einem Seitenblick den Schaden ab und fragte etwas spöttisch in die Runde, ob ein Arzt im Saal anwesend sei. Doch da hatte sich der Störer, unter dem ein Klappstuhl zusammengebrochen war, schon wieder aufgerappelt. Speck nahm den Faden seiner Gedanken auf und vergaß sicherlich nicht, sich später für den gelungenen Hosenbodenplumpser zu bedanken.

Der Witz zum Malheur lag selbstredend darin, dass mindestens ein Arzt im Raum war, nämlich Speck selbst, sich aber viele Menschen schon lange darüber wunderten, wann der passionierte Sammler, Autor und Gelehrte überhaupt die Zeit gefunden hatte, in seinem Beruf zu praktizieren.

Reiner Speck gehört eine der wichtigsten deutschen Kunstsammlungen

Schließlich trug der Kölner Urologe außerhalb der Sprechstunden nicht nur eine der bedeutendsten deutschen Sammlungen zeitgenössischer Kunst zusammen, sondern auch eine schier unerschöpfliche Bibliothek zu den Autoren Petrarca und Marcel Proust; letztere enthält neben seltenen Ausgaben und kostbaren Handschriften eine Haarlocke des Romanciers.

Dass Speck einen ordentlichen Batzen seiner Kunstwerke verkaufte, um sich für den immer noch mehr als üppigen Rest eine standesgemäße Unterkunft zu leisten (das von O.M. Ungers entworfene „Haus ohne Eigenschaften“), wurde ihm gelegentlich als Verrat an Sammleridealen angekreidet. Aber was soll man machen, wenn die eigenen Mittel endlich und die Kunst eine unersättliche Geliebte ist?

Weder die Sammellust noch die dafür nötige Finanzausstattung bekam Speck in die Wiege gelegt. Er ist Arzt in fünfter Generation, aber das erste Familienmitglied, das sich in der Welt der schönen Künste verausgabte. Sein erstes Interesse galt dabei der Literatur, promoviert wurde er mit einer Arbeit über medizinische Stilmerkmale im Werk des dichtenden Arztes Gottfried Benn; später kamen Aufsätze über Schriftsteller im Weißkittel (etwa Alfred Döblin und Arthur Schnitzler) oder Ärztesöhne wie Gustave Flaubert hinzu. Als Büchersammler konzentrierte sich Speck zunächst auf Marcel Proust, der zwar kein Mediziner, aber immerhin auf legendäre Weise kränklich war.

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Schließlich lief Speck ins Lager der ebenfalls legendären rheinischen Kunstsammler über. Wie vor ihm Wolfgang Hahn zog er aus seinen durchaus bürgerlichen Einkommensverhältnissen den Schluss, sich genau zu überlegen, was er kauft. So wurde Speck auch im Reich der Kunst zum Privatgelehrten, der sich selten auf modische Künstler einließ und mit Vorliebe auf eigenwillige Charaktere wie Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Cy Twombly, Jannis Kounellis oder Sigmar Polke spekulierte.

Mit den Jahren entstand so eine Sammlung mit individueller Handschrift und einer geradezu obsessiven Liebe zu subtilen Querverbindungen, für die sich bald auch Museen zu interessieren begannen. Doch ein Ankauf durch das Kölner Museum Ludwig, über dessen Stifter, den missionarischen Machtmenschen Peter Ludwig, Speck ein freundlich-skeptisches Buch verfasste, scheiterte ebenso wie es Verhandlungen mit anderen Häusern taten. Schließlich kam Speck mit der Sammlung Rheingold ins Geschäft, einem von Helge Achenbach aufgelegten und gemanagten Privatfonds für reiche Kunstnovizen.

„To the happy few“ hieß die Ausstellung in den Krefelder Kunstmuseen, mit der sich Speck im Jahr 1983 erstmals als Kunstsammler öffentlich zu erkennen gab. Der Titel war ein ironischer Gruß an die „glücklichen Wenigen“, die sich ein Leben als Sammler leisten können, denn selbstredend gehört zu diesem auch das lebenslange Leiden. Immer gibt es etwas, das der Sammlung fehlt, und im Zweifelsfall öffnet sich mit jeder geschlossene Lücke eine neue.

Seine Bibliotheken zu Petrarca und Marcel Proust scheinen unerschöpflich

Speck liebt es, in seinen Besitztümern entlegene Korrespondenzen und lose Enden zu entdecken – man ist daher geneigt, in ihm einen Proust’schen Sammler von Erinnerungen zu sehen, der scheinbar Zufälliges zu einem Lebensroman oder wenigstens zu einer persönlich gefärbten Geschichte der modernen Kunst verknüpft. Einen Zug ins Masochistische trug sein Verhältnis zu Sigmar Polke, einem seiner Lieblingskünstler. Immer wieder fuhr Speck auf dem Fahrrad zu dessen Zollstocker Atelier und drehte im Hof so lange seine Runden, bis Polke endlich befand, er habe sich eine Neuerwerbung verdient.

Ohne Beharrlichkeit ist man als Sammler verloren, wobei einem selbst diese Eigenschaft nichts nützt, wenn Künstler, deren Wert man selbst durch Ankäufe beförderte, plötzlich zu teuer für das eigene Konto werden. Speck hat dies bei Polke und anderen erlebt, und vielleicht liegt es auch an dieser zwiespältigen Erfahrung, dass er zuletzt wieder vor allem als Büchersammler und Proust-Experte von sich reden machte.

Die gelehrte Liebhaberschaft, mit der sich Reiner Speck Literatur und Kunst widmet, bleibt jedoch stets dieselbe – und auch den Sinn für Ironie hat sich „Doctor Bacon“, so ein Alias des praktizierenden Sammlers, hoffentlich bewahrt. An diesem Donnerstag wird er 80 Jahre alt.

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