Kolumba-Direktor„'Liebe deine Stadt' hat kölsche Selbstverliebtheit gestört“

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o.T. (21/01), 2021

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  • Kolumba-Leiter Stefan Kraus über das architekturkritische Kunstprojekt.

Stefan Kraus, ich weiß nicht, ob Sie von ihrem Büro in Kolumba den vier Meter hohen Schriftzug „Liebe deine Stadt“ über der Nord-Süd-Fahrt sehen können?

Kraus: Leider nein, aber ich gucke da auch selten aus dem Fenster.

Jedenfalls ist er an diesem Standort nur wenige Monate vor der Eröffnung ihres Museums eingeweiht worden. Mich würde interessieren, wie sie Merlin Bauers Projekt künstlerisch beurteilen?

Die Qualität von Kunst entscheidet sich grundsätzlich an ihrer Wirksamkeit. Also muss man sich immer wieder die Frage stellen, was ein Kunstwerk beim Rezipienten auslöst. Was setzt es bei den Betrachterinnen und Betrachtern in Gang. Spätestens hier wird einem die Größe von „Liebe Deine Stadt“ bewusst, und die hängt nicht an der Dimension des Schriftzugs über der Nord-Süd-Fahrt.

Sie haben das Projekt den „Idealfall einer sozialen Plastik“ genannt. Können Sie das erläutern? 

Joseph Beuys hat den Begriff der „Sozialen Plastik“ in die Kunstgeschichte eingebracht. Das meint keine abgeschlossene Skulptur, sondern einen Prozess, an dem nicht nur viele beteiligt sind, sondern ihn mit eigenen Fähigkeiten formen, gestalten und weiterbringen. Hier waren und sind Menschen aus verschiedensten Teilen der Stadtgesellschaft involviert. Es hat für die Sache eine Form der Gemeinsamkeit erbracht, die jenseits bestehender Zirkel und politischer Verortungen und dadurch umso wirksamer war.

Weichenstellung in die falsche Richtung

Die Anfänge von „Liebe deine Stadt“ liegen im Skandal um die abgerissene Josef-Haubrich-Kunsthalle, in der fehlenden Wertschätzung der Stadt Köln für ihre Architektur. Sie sind in Köln aufgewachsen, haben früher auch in den ebenfalls abgerissenen Räumen des Kölnischen Kunstvereins gearbeitet. Wie, denken Sie, hat sich die Einstellung der Stadtgesellschaft zum Kölner Architektur-Patchwork über die Jahre verändert?

Mit dem Abriss der Kunsthalle erfolgte 2002 eine kulturpolitische Weichenstellung in die falsche Richtung. Als „Pralinenschachtel“ der Kölner Museen – ich drücke mich mal so verkürzt aus – bot sie aus heutiger Perspektive wirtschaftlich wie ökologisch die nachhaltigste Form, um aus den reichen Beständen der Kölner Museen Ausstellungen machen zu können. Die Planlosigkeit des übereilten Abrisses endete im „Kölner Loch“, übrigens ohne eine überzeugende Nachnutzung des Rautenstrauch-Joest Museums, das am Ubierring zur fehlenden Vitalität des KAP-Viertels hätte beitragen können. Mit „Unter dem Pflaster der Strand“ hat Merlin Bauer im gleichen Jahr damit begonnen, den Blick auf gefährdete Bauten und verlorene Orte zu richten. Die Situation wurde zum idealen Nährboden, das zu vertiefen.

Das Museum Kolumba gilt weithin als eines der schönsten Gebäude der Stadt. Können Sie mir etwas darüber erzählen, wie Peter Zumthor sein Bauwerk im Bezug zur Kölner Architekturgeschichte gesehen hat?

Über die Geschichte der „Madonna in den Trümmern“ kamen die Bauten der Nachkriegsmoderne unmittelbar ins Blickfeld. Die erste öffentliche Vorstellung der Pläne für Kolumba fand nicht zufällig im Museum für Angewandte Kunst statt, dem wunderbaren Rudolf Schwarz-Bau. Am Anfang wurde das große Holzmodell des ganzen Kolumba-Viertels gebaut, damit wir unser wachsendes Haus immer wieder in den städtischen Kontext stellen konnten.

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Während des Baus hat Zumthor auf dem benachbarten Offenbachplatz eine öffentliche Lobrede auf Wilhelm Riphahns Opernensemble gehalten. Aber auch für ihn war es eine Liebe auf den zweiten Blick. Warum fällt es vielen Kölnern so schwer, sich positiv mit der Nachkriegsarchitektur ihrer Stadt auseinanderzusetzen? 

Vermutlich ist es für die Generation, die einen derartigen Verlust erfahren hat, besonders schwer, die Qualität des Neuen zu würdigen. Anders kann ich mir den Hang zu Rekonstruktionen in vielen deutschen Städten bis heute nicht erklären. In Köln ist man glücklicherweise nach '45 zweigleisig gefahren und hat versucht, der Stadt mit wichtigen Akzenten eine zeitgemäße Identität zu geben. Doch gegen die Bauten von Rudolf Schwarz und Wilhelm Riphahn wurde heftig polemisiert. Dass Hiltrud Kier und Peter Zumthor mit ihrem Auftritt die Patenschaft für die Oper übernommen haben, hat sicher auch dazu beigetragen, das Ensemble zu retten. Wir waren mehrfach im leeren Gebäude und Zumthor gefielen die unaufgeregte Klarheit, die lässige Eleganz und die feine Detaillierung, die in den meisten Neubauten heute gar nicht mehr vorkommt.

Diese fehlende Liebe äußert sich ja auch in der konsequenten Vernachlässigung, die die Stadt ihren Gebäuden angedeihen lässt. 2006 erwägte man noch einen Totalabriss des Opernensembles, später dann immer noch den des Schauspielhauses. Hat „Liebe deine Stadt“ da ein Umdenken bewirkt? 

Es hat das öffentliche Nachdenken auf den Punkt gebracht. Nach dem Einsturz des Stadtarchives, der auf kein Naturereignis sondern auf Missmanagement und Fahrlässigkeit zurückging, kamen die Initiativen „Mut zur Kultur“ und „Köln kann auch anders“ hinzu.

Zumthor ist Schweizer, Merlin Bauer Österreicher: Braucht es den Blick von außen, um diese Stadt auch anders wertzuschätzen, als nur über das „Jeföhl“? 

Merlin Bauer hat mit feinem Gespür erkannt, das es ohne das „Jeföhl“, eben ohne die Liebe in Köln nicht geht. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich vom 1. FC bis zum Festkomitee und mit vielen Künstlern und Kulturschaffenden alle in diesem Projekt wiederfinden. Gleichzeitig hat „Liebe Deine Stadt“ die kölsche Selbstverliebtheit und den Hang zum Mittelmaß empfindlich gestört. Wahre Liebe zeichnet sich eben auch durch den kritischen Blick aus. Darin besteht die echte Loyalität zur Stadt und dafür ist der Blick von außen wichtig.

Heute wird die Liebe zum bauliche Erbe wieder arg strapaziert, wenn die Hiobsbotschaften von der Opernbaustelle nicht abzureißen drohen. Für dasselbe Geld, seufzt der Kölner, hätte man hier auch eine Elbphilharmonie haben können. Wie sehen Sie das? 

Man sollte sich daran erinnern, dass die Elphi – wie sie heute liebevoll genannt wird – bis zur Eröffnung aufgrund der gewaltigen Kostenexplosion in der massiven Kritik der Öffentlichkeit stand, bevor sie zum anerkannten Wahrzeichen wurde. Mit Kolumba war das übrigens nicht anders, obwohl wir fast im Kostenrahmen geblieben sind. Für die Schwierigkeiten in der Umsetzung solcher Großprojekte, ob Neubau oder Sanierung, lassen sich zahlreiche Beispiele finden, das ist kein spezifisches Kölner Problem. Aber es war abzusehen, dass drei Jahre für eine Generalsanierung von Oper und Schauspiel, einschließlich des Neubaus der „Außenspielstätte“ und der Kinderoper, nicht reichen würden. Ich habe selbst erlebt, das die Koordinierung einer derart komplexen Baustelle durch kleinste unvorhergesehene und nicht planbare Ereignisse völlig aus der Bahn geworfen wird und sich die Ausführung verzögert, sich die Gewerke im schlimmsten Fall nur noch gegenseitig behindern. Das offensichtliche Totalversagen unkoordinierter Planung und Baubetreuung und deren Folgen ändern aber nichts an der Richtigkeit der Entscheidung für den Erhalt. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es stünde, wenn man das Ensemble abgerissen und mit der gleichen Haltung einen Neubau gewagt hätte.

Zeit für die Musealisierung?

„Liebe deine Stadt“ ist jetzt 15 Jahre alt. Ist es schon an der Zeit für eine Musealisierung des Projektes? 

Sowohl als auch. Das Projekt ist international bekannt und längst so exemplarisch und reich an Facetten, dass es eine museale Heimat in Köln verdient hat. Gleichzeitig bleibt da ein gewaltiges Potential der weiteren Beschäftigung. Wir erleben derzeit, wie sich die Diskussion um die Zukunft unserer Einkaufs-Innenstädte durch Corona beschleunigt. Möglicherweise werden wir wieder weit mehr darin wohnen wollen. Umso mehr stellt sich doch die Frage, was wir an unseren Städten lieben.

Das Gespräch führte Christian Bos

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