Mai Thi Nguyen-Kim im Interview„Zu Talkshows habe ich eine Hassliebe“

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Mai Thi Nguyen-Kim

In Ihrem im März erschienen Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ schreiben Sie, dass Sie nicht sicher seien, ob die Pandemie die beste oder schlechteste Zeit für die öffentliche Wahrnehmung von Wissenschaft ist. Zu welchem Schluss kommen Sie denn heute?

Nguyen-Kim: Leider beurteile ich das zunehmend pessimistisch. Aufmerksamkeit ist in unserer Medienlandschaft eine der wichtigsten Ressourcen geworden. Wir leben in einem Informationszeitalter, und es gilt die alte Regel: Es gibt keine schlechte Presse. Manche nutzen Empörung ja als Medienstrategie. Aber für Wissenschaft funktioniert das nicht. Sie kann im Kern nur erfasst werden, wenn man die Differenzierung mitgeht, die Grautöne und Unsicherheiten. Dafür braucht es Raum und Zeit, und genau das gibt es in den Medien oft nicht.

Mit welchen Folgen für die Wissenschaft?

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Wir richten ein grelles, kleines Spotlight auf einen Teil der Wissenschaft, und der Großteil des gesamten Bildes bleibt im Dunkeln. Da denke ich manchmal, dass man dann lieber gar nicht draufschauen sollte, als ein solch falsches Bild zu vermitteln, weil das das Vertrauen in die Wissenschaft als Ganzes erschüttern kann. Wenn sie immer nur Widersprüchlichkeiten und Zuspitzungen mitbekommen, kann es passieren, dass sich viele Menschen ganz von der Wissenschaft abwenden. Und das ist fatal.

Haben wir in Deutschland nicht auch ein generelles Problem mit Wissenschaftsvermittlung? Ich fand etwa angelsächsische Literatur im Studium oft zugänglicher.

In den Naturwissenschaften sieht man einen deutlichen Unterschied zwischen angelsächsischen Texten und deutschen. Und auch in der Art und Weise, welchen Stellenwert Wissenschaftskommunikation hat. Die Amerikaner haben schon lange verstanden, das für sich zu nutzen. Sie haben verstanden, dass es nicht gegen ihre Arbeit spricht, wenn sie leicht verständlich zu erklären ist. Ich habe aber das Gefühl, dass es in Deutschland einen Generationenwandel gibt.

Bei der Einstellung zur Bedeutung von Wissenschaftskommunikation ändert sich gerade viel. Die jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkennen, dass man nicht im Elfenbeinturm sitzt und vor sich hin forscht. Wenn man etwa an einem Impfstoff forscht, dann macht man das, um zu helfen, eine Pandemie zu beenden. Das hilft aber alles nicht, wenn die Menschen das nicht verstehen und sich nicht impfen lassen möchten.

Sie haben eben beschrieben, dass Wissenschaft nach anderen Prinzipien funktioniert als die Medien es tun. Warum tun Sie sich diesen Spagat dennoch immer wieder an?

Ich kann ja noch etwas dagegen tun, indem ich selbst als Medienmachende anders agiere. Ich frage mich aber, warum sich das die aktiven Forschenden überhaupt noch antun. Die traurige Antwort ist: Viele machen das überhaupt nicht mehr. Wenn zum Beispiel Virologen und Virologinnen in Talkshows sitzen, dann sind das nur die, die überhaupt noch zugesagt haben. Ich kenne viele, die sehr pressescheu geworden sind, und ich muss leider sagen, dass ich das verstehe. Aber ich bin ja aus der Wissenschaft raus, forsche nicht mehr aktiv und habe deshalb die Ressourcen und die Kraft, Wissenschaft anders zu vermitteln.

Zur Person und zur Sendung

Mai Thi Nguyen-Kim (34) ist Chemikerin und Wissenschafts-Journalistin. Bekannt wurde sie durch ihren Youtube-Kanal „maiLab“. Ihr Video „Corona ist noch lange nicht vorbei“ im April 2020 war das meistgeklickte deutsche Youtube-Video des Jahres. Sie lebt mit ihrer Familie im Rhein-Main-Gebiet.

In diesem Jahr wechselte sie vom WDR zum ZDF. Im Oktober war sie im „Terra X„-Dreiteiler „Wunderwelt Chemie“ zu sehen, der in der Mediathek zu finden ist. Am Sonntag, 24. Oktober, startet um 22.15 Uhr, bei ZDFneo ihre Sendung „Maithink X – Die Show“.

Ihr Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ ist im Droemer-Verlag erschienen. Am Freitag, 22. Oktober, stellt sie im Rahmen der lit.Cologne-Spezial im Gespräch mit Louis Klamroth im Theater am Tanzbrunnen vor. 

Sind Talkshows überhaupt der geeignete Ort, um Wissenschaft zu vermitteln?

Zu Talkshows habe ich eine Hassliebe. Sie sind ein schwieriges Format für Wissenschaft, eigentlich fast unmöglich. Nicht genug Zeit, nicht genug Wille zur Differenzierung. Man muss nur auf die Gästeliste schauen und sieht, es ist konfrontativ angelegt. Man kann sich immer schon denken, wer was sagt.

Sie meinen, die Konstellationen sind immer dieselben?

Ja. Nur als Beispiel: Kürzlich war jemand sehr überrascht, dass ich Karl Lauterbach erst vor wenigen Wochen zum ersten Mal persönlich getroffen habe. Das liegt daran, dass wir nie in dieselbe Talkshow eingeladen werden, weil wir in dem Schwarz-Weiß-Denken solcher Medien dieselbe Position vertreten.

Wobei das überhaupt nicht stimmt, wir hätten sicherlich sehr viele interessante Streitpunkte, die wir dann zivil und differenziert angehen könnten, aber die Gelegenheit bekommen wir nicht. Natürlich haben diese Talkshows einen großen Impact, da habe ich schon das Bedürfnis, eine Lanze für die Wissenschaft zu brechen. Und wenn ich nicht hingehe, geht jemand anderes hin. Aber wenn ich einmal da war, reicht es auch erst mal. Ich konzentriere mich lieber auf meine eigenen Formate.

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Wie Ihre neue ZDFneo-Show „Maithink X“, die am Sonntag startet. Eine Unterhaltungsshow und seriöse Wissenschaftsvermittlung – geht das überhaupt zusammen?

Ja, klar. Das ist ein Missverständnis, das ich noch nie nachvollziehen konnte. Warum sollten sich Wissenschaft und Unterhaltung ausschließen? Ich persönlich kann mir Dinge auch besser merken, wenn ich dabei lachen kann. Ich verstehe durchaus, dass Differenzierungen, Grautöne und Nuancen langweiliger sind als Zuspitzungen und steile Thesen.

Aber man kann es eben nicht nur durch Zuspitzung interessant machen, sondern auch durch unterhaltende Elemente. Ich knöpfe mir in meinen Sendungen kontrovers diskutierte Themen vor, aber mein Ziel ist es, zu versachlichen. Und um diese Versachlichung spannend zu machen, verpacke ich sie in eine Show.

Was reizt Sie eigentlich am Medium Fernsehen? Ihr Youtube-Kanal maiLab zeigt doch, dass man auch ohne Fernsehen Millionen Menschen erreichen kann.

Mir ist es völlig egal, wo etwas ausgespielt wird. Mir geht es darum, welche Inhalte ich machen kann. Bei maiLab sind wir nur zu viert. Bei der Fernsehshow habe ich ein Riesenteam. Da hat man ganz andere Möglichkeiten. Ich hatte auch den unbedingten Wunsch, das vor Publikum zu machen, weil ich ein Science-Slam-Feeling heraufbeschwören wollte. Es fühlt sich für mich an wie eine Vorlesung de luxe. Die Sendung ist monothematisch, es gibt eine hohe Informationsdichte, aber es ist eine Vorlesung, in die alle freiwillig gehen, weil sie sich dabei gut unterhalten fühlen.

Ihr Buch heißt ja „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“. Gibt es die in postfaktischen Zeiten überhaupt noch?

Fakten ist ein abstraktes Wort. Ich will vermitteln, was Evidenz ist. Was sind Belege und Beweise aus wissenschaftlichen Studien? Das finde ich hilfreicher, weil man da sehr konkret werden kann. Ein Beispiel: Eine Studie hat gezeigt, Männer denken 34 Mal am Tag an Sex. Da muss man sich ja fragen, wie die das gemessen haben. Und dann stellt man fest: Es gibt gar keine wissenschaftliche Methode, Gedanken zu lesen, sondern für solche Studien muss man Menschen befragen. Dann lernt man, dass eine solche Befragung eine schwächere Evidenz ist als eine physikalische Messung. Das entscheidende Stichwort lautet Methoden.

Warum sind die Ihnen so wichtig?

Methoden sind für mich Empowerment für Laien, denn ansonsten höre ich als Mensch, der nicht Chemie oder Virologie studiert hat, anderen im Fernsehen zu und kann ihnen glauben oder nicht. Aber wenn ich mir aneigne, nicht zu fragen, was sie wissen, sondern woher sie es wissen, kann man das als Laie viel besser einordnen. Es gibt nicht nur zwei Extreme, entweder „Wissenschaft ist Wahrheit“ oder „Wahrheit gibt es gar nicht“. Nein, dazwischen gibt es eine ganze Bandbreite, ein Spektrum, auf dem man schwache, solide oder felsenfeste Evidenz finden kann. Und die einzige Möglichkeit, dieses Spektrum objektiv einzuordnen, ist über die Methoden.

Mai Thi Nguyen-Kim

Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim

Kann man so alle Menschen erreichen? Nehmen wir mal das Beispiel Impfen. Es gibt Menschen, die sind skeptisch, was eine Impfung angeht, weil sie etwa Angst haben, dass der Impfstoff nicht lange genug erforscht wurde. Andere lehnen Impfen kategorisch ab.

Sobald es um Verschwörungsdenken geht, ist es ein Zirkelschluss. Alles, was in die Verschwörungserzählung passt, ist ein Beleg. Alles, was nicht reinpasst, ist Teil der Verschwörung. Ich kann dann noch so interessante Sachen sagen, es wird immer heißen: Du lügst, das ist gefälscht. Dagegen kann man nichts machen. Aber zu versuchen, Menschen zu erreichen, die unsicher sind, ist viel spannender. Und das Stichwort ist wieder Methoden: Es gab noch keinen Impfstoff in der Geschichte der Menschheit, der nach der Zulassung so sorgfältig beobachtet wurde. Einfach weil noch nie in so kurzer Zeit Millionen und Milliarden Menschen geimpft wurden. Das gibt eine statistische Power, bei der man auch seltene Nebenwirkungen bemerkt.

Aber in der öffentlichen Wahrnehmung ist es doch dann eher so, dass die Menschen hören, Thrombosen können eine Nebenwirkung sein und dann haben Sie eher mehr Angst vor dem Impfstoff als weniger.

Man muss da auch gegen das Bauchgefühl ankämpfen. Das Sicherheitsbedürfnis ist sehr menschlich und war in der Pandemie ohnehin schon strapaziert. Es war eine große Krise, es gab viele Unsicherheiten: wir sind sehr schlecht darin, diese Unsicherheiten auszuhalten. Aber es ist auch eine Ansichtssache. Ich persönlich empfinde mehr Sicherheit, je mehr ich weiß. Wenn sie also Thrombosen als eine mögliche Nebenwirkung gefunden haben, denke ich, es ist gut, dass sie so genau hinschauen. Man muss da einfach immer weiter erklären. Man darf das nicht auf die angeblich dummen Leute schieben, die das nicht verstehen.

Manche Leute lassen sich dennoch nicht überzeugen und reagieren dann teilweise mit Ablehnung oder gar Hass. Wie gehen Sie damit um?

Mir hilft es sehr, dass ich über Wissenschaft spreche, weil ich einfach weiß, dass das nichts mit mir zu tun hat. Da haben Menschen ein Problem mit den wissenschaftlichen Inhalten, die ich vermittle. Deswegen fällt es mir leichter, mich davon nicht runterziehen zu lassen. Aber ich lese das auch nicht mehr. Dazu fehlt mir die Zeit. Und ich habe ein Team um mich rum, das das von mir abschirmt. Das meine ich nicht nur bezogen auf den Hass, sondern auch auf das Lob. Dafür ist unsere menschliche Psyche nicht gemacht. Das ist nicht gesund. Ich versuche auch da, mir das nicht zu Kopf steigen zu lassen. Da geht es auch nicht um mich, sondern darum, dass Menschen dankbar sind für die wissenschaftlichen Inhalte.

Frauen in den Naturwissenschaften werden auch heute noch von manchen kritisch beäugt. Setzen Sie sich mit solchen Vorurteilen auseinander?

Ich versuche immer, das gar nicht zum Thema zu machen. Auf einer Metaebene schwingt das mit, aber mir geht es um wissenschaftliche Inhalte. Und wenn ich dabei zufälligerweise eine Frau bin, ist das gut. Mir entgeht aber nicht, dass ich manchmal in erster Linie als Frau irgendwohin eingeladen werde. Das merke ich daran, wie ich angekündigt werde. Aber mich juckt das nicht. Wenn das mein Ticket ist, nehme ich es. Ich habe viel zu sagen. Hauptsache, der Inhalt kommt an. Der Rest ist mir egal.

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