Maloche war für ihn kein FremdwortDer Kölner Autor Erasmus Schöfer ist gestorben

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Erasmus Schöfer

Köln – Kaum einem anderen deutschsprachigen Schriftsteller war der Elfenbeinturm so fern und das reale Leben der hart arbeitenden Bevölkerung so nah wie dem Kölner Romancier, Theater- und Hörspielautor Erasmus Schöfer. Am Dienstag ist der Mitbegründer des „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ gestorben, drei Tage nach seinem 91. Geburtstag. „1931 von einer Berliner Lehrerin geboren, die malte, ritt und Motorrad fuhr, aber ihr uneheliches Kind in der Mark Brandenburg zur Welt bringen und ein Jahr in einem Heim vor den Menschen verstecken musste“ - so schilderte Schöfer einmal seinen Start in die Welt. Aufgewachsen ist er dann in der Wohnung des Großvaters und Kaiserlichen Rechnungsrates a. D. Wilhelm Schöfer im bürgerlichen Berliner Westen.

1954 kam Schöfer völlig abgebrannt nach Köln

Maloche war für ihn, dem sein erster Vorname Hartmut zu „deutschtümelnd“ klang, nie ein Fremdwort. In Berlin arbeitete er bei Osram, später drei Jahre lang in einer Kölner Fabrik. Sogar das Obdachlosenmilieu lernte er kennen: Als er 1954 völlig abgebrannt Köln erreichte, zog er für vier Wochen ins Annohaus, in ein Zimmer „mit zehn verkrachten Typen“. Besonders am Herzen lag ihm stets die Arbeiterschaft. Weshalb es ihm schon immer wichtig war, literarisch zu erforschen, „was in den für den Arbeiter zugänglichen Bereichen los war“, etwa in Duisburg-Rheinhausen, wo in den 80ern das Stahlwerk geschlossen wurde.

Mitte der 60er Jahre lebte Schöfer ein paar Jahre in Freiburg, wo 1965 sein erstes Theaterstück „Durch die Wüste usw.“ im Audimax der Uni uraufgeführt wurde (Regie führte Heinrich Pachl). Die Politparabel provozierte einen kleinen Eklat. Sein „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ gilt heute zweifellos als Initialzündung für die inzwischen so beliebten Literatur-Werkstätten. „Damals wollten wir eine neue Art von Literatur organisieren“, erläuterte Schöfer vor einigen Jahren im Gespräch. All die vielen schreibenden Individualisten sollten sich ähnlich wie in einer mittelalterlichen Malerwerkstatt austauschen und produktiv zusammenarbeiten. „Stolz“ habe er empfunden, dass gegen den Widerstand des Literaturmarktes eine Reihe von 60 preiswerten Büchern erscheinen konnte.

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Auch politisch war Schöfer hellwach und immer aktiv. Für seine Ziele ging er auf die Straße, beim Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl ebenso wie gegen ein Politikum in den 60er Jahren, das hierzulande längst aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden ist: „Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß wollte entlang der innerdeutschen Grenze einen Atom-Minen-Gürtel installieren“, erinnerte sich Schöfer anlässlich seines 80. Geburtstages. Auch der Vietnam-Krieg erschütterte ihn: Diese „Brutalität gegen ein Volk, das sich von der Kolonialherrschaft befreien wollte“, habe seine Weltsicht „völlig verändert.“

Bald zwei Jahrzehnte nahm er sich Zeit für seinen epochalen vierbändigen Romanzyklus „Die Kinder des Sisyfos“. Diese monumentale Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aus linker Sicht spannt einen Bogen von den Achtundsechzigern bis zum Mauerfall. Grandios verwebt Schöfer darin Fiktion mit realen Begebenheiten deutscher und europäischer Nachkriegsgeschichte. Seine Mitarbeit in der DKP (in den 70er/80er Jahren) sah der Autor im Nachhinein eher kritisch. In einem Gespräch mit Günter Wallraff (erschienen in dem Band „Unsichtbar lächelnd träumt er Befreiung“, Dittrich Verlag) blickte er zurück: „Ich bin in diese Partei, die DKP, gegangen, weil ich denke, man kann nicht allein als Einzelner etwas verändern, sondern man braucht Genossen. Aber wenn ihr mich nicht wollt, dann müsst ihr mich rausschmeißen. Nur das haben sie dann auch nicht gemacht“. Gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zog Schöfer ein ernüchterndes Fazit: „Wenn ich mich damals mehr auf die Schriftstellerei konzentriert hätte, wäre ich früher ein halbwegs bekannter Autor geworden.“

Heinrich Böll lehnte als Lektor seinen ersten Roman ab

Vielleicht auch, wenn Heinrich Böll als Lektor des Lamuv-Verlags das Manuskript seines ersten Romans „Tod im Athen“ nicht abgelehnt hätte. In einem langen Brief druckste Böll 1984 ziemlich herum: „Lieber Erasmus Schöfer, es fällt mir nicht leicht Ihnen zu schreiben, dass ich Tod in Athen … nicht zur Publikation empfehlen kann. Das bedeutet nicht, dass ich Ihre Arbeit für gänzlich misslungen halte … Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist, wenn Sie diese langjährige Arbeit wieder einmal „abgelehnt„ sehen. Es ist kein Trost, wenn ich Ihnen sage, dass es mir einige Male ähnlich ergangen ist“. Nur zwei Jahre später erschien der Text dann im Weltkreis Verlag. Zu dem Roman, den er viele Jahre später zum dritten Band der „Sisyfos“-Tetralogie umschrieb, hatte ihn seine große Liebe zu Griechenland inspiriert. Ein Jahr lebte er auf Patmos; und auf Ithaka, jener sonnigen Insel vor der Westküste Griechenlands, die einst die Heimat des Odysseus gewesen sein soll, baute er jahrelang ein kleines Haus um.

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