Massenvergnügen in WuhanWarum eine Pool-Party für weltweite Empörung sorgt

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Badende im Maya Water Park

Badende im Maya Water Park

  • Wo das Coronavirus im Januar dieses Jahres seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte, feiern nun Tausende.
  • Für die Bewohner Chinas verweist das Bild auf einen medizinischen und administrativen Triumph. Im Rest der Welt sind viele empört.
  • Eine Bildbetrachtung.

Wuhan – Dass die Fotografie eines harmlosen Massenvergnügens Gefühle der Abscheu und Empörung bei Menschen rund um den Globus auslösen kann, zeigt überdeutlich, wie sehr sich unsere Wahrnehmung in den vergangenen Monaten verschoben hat.

Das Bild wurde am 15. August bei einem Festival für elektronische Musik im Maya Water Park in Wuhan aufgenommen, also just dort, wo das Coronavirus im Januar dieses Jahres seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte.

Wir sehen Badende, tatsächlich sind es badende Zuschauer, manche von ihnen im offensichtlich riesigen Becken planschend, die meisten jedoch auf der Wasseroberfläche surfend, in aufblasbaren Schwimmringen in Form einer Erdnussschale, die gleich drei Früchte umschließt, und von der Farbe eines orangefarbenen Textmarkers. Mit dem Ultramarinblau des Wassers bildet sie ein komplementäres Paar.

Wuselig-bunte Muster

Kneift man die Augen zusammen, könnte man hier eines jener computergenerierten Stereogramme erkennen, die in den 1990er Jahren unter dem Titel „Das Magische Auge“ Menschen bei dem Versuch zum Schielen brachten, ein Objekt zu entdecken, das sich hinter dem wuselig-bunten Muster verbarg.

Was sich für die meisten Betrachter hinter dem Vexierbild aus dem chinesischen Spaßbad versteckt, liegt auf der Hand: eine vergrößerte Abbildung des Sars-CoV-2-Virus. So nicht das Foto selbst an eine mikroskopische Darstellung weißer Blutkörperchen erinnert, die sich, von Covid-19 aktiviert, zusammenballen, Netze bilden und auf diese Weise zu einem schweren, wenn nicht tödlichen Verlauf der Erkrankung führen.

Fast jeder Bewohner wurde getestet

Für die Bewohner Wuhans und des restlichen Chinas aber verweist das Bild auf einen medizinischen und administrativen Triumph: Nach Monaten strikten Lockdowns und ehrgeiziger Massentests präsentiert man der Welt stolz ein Bild, das diese skandalisiert: Das darf doch nicht wahr sein!

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Seit Mitte Mai wurde in Wuhan niemand mehr positiv auf das Virus getestet, fast jeder Bewohner der Elf-Millionen-Stadt musste sich einem oder mehreren Tests unterziehen. Folglich gibt es hier auch keine behördlichen Einschränkungen für Massenveranstaltungen mehr. Die Fotografie zeigt also, was sie zeigt: eine Menschenmasse, von der zwar im Bildvordergrund noch einige Vertreter zu identifizieren sind, die zum Hintergrund hin jedoch zunehmend als ornamentale Struktur erscheint.

Wie ein Schlachtengemälde

Das erinnert an Schlachtengemälde wie Albrecht Altdorfers „Alexanderschlacht“ aus dem Jahr 1529, freilich ohne den endzeitlich dräuenden Wolkenhimmel. Und mehr noch an die ganz diesseitigen und großformatigen Bildmontagen des Düsseldorfer Fotografen Andreas Gursky; von Tanzenden auf der Dortmunder „Mayday“, Besuchern eines Tote-Hosen-Konzerts oder buntgewandeten Händlern an der Chicagoer Börse.

Selbstredend denkt man auch an Siegfried Kracauers Essay vom „Ornament der Masse“: Das Ornament bringt die Masse gedankenlos zustande, in der Draufsicht erscheint es aber als rational zu beschreibende geometrische Form. So geben die Massen, schrieb Kracauer 1927, das Prinzip des kapitalistischen Produktionsprozesses, die Berechenbarkeit des Menschen, wieder: „Der Mensch als Massenteilchen allein kann reibungslos an Tabellen emporklettern und Maschinen bedienen.“

100 Jahre später setzt zwar kaum noch jemand seine Körperkraft an unwuchtigen Maschinen ein, dafür ist die Freizeit längst zum Teil der Arbeit geworden. Die Wasserparty von Wuhan zeigt den Sieg eines autokratischen, kühl und rational berechnenden Systems über die krankheitsanfälligen Körper seiner Bürger.

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