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Jurist zum Fall Mockridge„Gut, dass das Thema Gewalt gegen Frauen mehr Raum bekommt“

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Luke Mockridge

Luke Mockridge

  • Luke Mockridge streitet gerade vor Gericht mit dem „Spiegel“. Das Magazin hatte über Frauen berichtet, die ihm Übergriffe vorwerfen.
  • Das Hamburger Oberlandesgericht hat nun weite Teile des Berichts beanstandet.
  • Die Presse hat laut Christian Solmecke die Aufgabe, über Verbrechen zu berichten, dürfe Verdächtige aber nicht vorverurteilen.

Herr Solmecke, wie beurteilen Sie die jüngste Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts zur Berichterstattung des „Spiegel“ über Luke Mockridge? Ist das eine entscheidende Niederlage für das Magazin oder kann sich das Blatt noch wenden?

Christian Solmecke: Entscheidend ist die Niederlage noch nicht, denn der „Spiegel“ hat bereits den Antrag gestellt, Mockridge aufzuerlegen, seine Ansprüche auch in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Dann wollen sie bis zum Bundesgerichtshof und notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, um ihre Grundrechte zu verteidigen. Da das LG Köln ja bereits im Eilverfahren eine andere Entscheidung getroffen hatte, zeigt sich, dass die Meinungen der Gerichte da auseinandergehen und sich das Blatt durchaus noch wenden kann.

Warum kann man in einem solchen Verfahren erst ein Gericht in Köln und dann in Hamburg anrufen?

Grundsätzlich geht das nicht, zumindest nicht, sofern zwei identische Parteien über denselben Sachverhalt und denselben Anspruch streiten. Dann ist der Rechtsstreit bezogen auf diesen „prozessualen Anspruch“ rechtshängig und der Streit kann nicht vor ein anderes Gericht gebracht werden. Was aber geht: Den Sachverhalt aufteilen und einen Anspruch bei einem Gericht und einen anderen Anspruch bei einem anderen Gericht einklagen. Die Anwälte von Mockridge können das eigentlich nur so gemacht haben. Details sind aber nicht bekannt, weil die Aktenzeichen der Urteile nicht medial bekannt wurden. So, wie es eine „Spiegel“-Autorin schreibt, könnte das „Gerichte-Hopping“ aber ein Angriffspunkt des „Spiegel“ sein. Es könne nicht sein, dass man einfach von Gericht zu Gericht ziehe, bis einem das Urteil gefällt, schreibt sie in der Online-Version der Zeitung.

Halten Sie es für es juristisch zulässig, in einem solchen Fall die Geschichten anderer Frauen zu erzählen, die ähnliches mit der Person erlebt haben? Es sagt doch etwas über einen Menschen aus, wenn er sich anderen gegenüber ähnlich verhalten hat. Oder ist genau diese Verknüpfung problematisch?

Es kommt hier auf den Einzelfall an, also ob das Magazin die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung in jedem einzelnen Fall, in dem eine der Frauen berichtet hat, eingehalten hat. Insbesondere müsste es ein öffentliches Interesse daran geben, dass andere Frauen ebenfalls von Vorwürfen berichten. Angesichts der öffentlichen Debatte um Aniolis Vorwürfe dürfte dieses meines Erachtens gegeben sein. Die Verknüpfung selbst dürfte deswegen nicht das Problem, sondern, wie Sie sagen, umgekehrt ein Grund sein, darüber zu berichten. Offenbar fanden die Hamburger Gerichte aber andere Angriffspunkte, die uns im Detail aber nicht bekannt sind. Das LG Hamburg untersagte die Berichte über Frau Anioli wegen einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung. Und das OLG Hamburg untersagte darüber hinaus weitere Schilderungen der beiden anonym gebliebenen Frauen. Es ging sogar von einer unwahren Tatsachenbehauptung aus – weil Mockridge die Taten bestritten hatte.

Ganz grundsätzlich: Bei einer versuchten Vergewaltigung wird in der Regel immer Aussage gegen Aussage stehen. Wie kann man als Betroffene etwas nachweisen, das nicht passiert ist? Es muss ja zum Beispiel nicht zu körperlichen Verletzungen kommen. Wie gehen Gerichte da vor?

Die Gerichte werden Beweise erheben – das können Sachverständigengutachten von Ärzten sein, welche die Frau auf Abwehrverletzungen oder Ähnliches untersucht haben. Auch andere von der Polizei gesicherte Spuren, z.B. an der Kleidung der Frau, können Beweismittel sein. Dann kann das Opfer als Zeugin vernommen werden. Der Angeklagte muss dazu nichts sagen, weil er sich nicht belasten muss. Er kann sich aber äußern und ein anderes Geschehen darlegen. Am Ende macht sich das Gericht ein Bild davon, ob es wirklich von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist. Dafür kann es reichen, wenn es von der Aussage der Frau überzeugt ist und ihr glaubt. Mehr Beweise braucht es dann nicht. Die Rechtsprechung hat hierzu psychologische Methoden entwickelt, die helfen sollen, den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu überprüfen. Die Verteidiger des Angeklagten werden hingegen versuchen, Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Aussage der Frau zu wecken. Denn wenn das Gericht aber Zweifel hat, ob die Aussage stimmt, muss es den Täter nach dem Grundsatz in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten) freisprechen.

Wie schätzen Sie die Wirkung des Falls Mockridge ein? Die Geschichte von Jörg Kachelmann zeigt, wie verheerend Vorverurteilungen sein können. Gleichzeitig werden immer noch die allermeisten Vergewaltigungen gar nicht angezeigt. Es gibt nur wenige Verurteilungen. Und die Zahl der Falschanschuldigungen ist äußert gering. Eine Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung öffentlich zu machen, bringt den Frauen oft Hass im Netz ein. Werden von einem solchen Fall nicht viele Opfer abgeschreckt?

Das ist ein komplexes Thema mit Auswirkungen zu vielen Seiten, wie Sie selbst aufzeigen. Viele Menschen sind verunsichert, was und wem sie glauben sollen. Daher lässt sich hier keine abschließende Aussage treffen. Jeder Mensch reagiert da anders. Manche Opfer werden sich bestärkt darin sehen, dass ein solcher Fall medial breit diskutiert wird und viele sich für Frauenrechte stark machen. Andere werden die daraus entstandene Öffentlichkeit vielleicht scheuen. In jedem Fall ist es aber gut, dass das Thema Gewalt gegen Frauen immer mehr Raum bekommt, denn es ist ein großes gesellschaftliches Problem. Ebenso wie der Hass im Internet, egal ob er sich nun gegen den potenziellen Täter oder das potenzielle Opfer richtet. Beides sind Themen, bei denen zum einen der Gesetzgeber gefragt ist, zum anderen wir alle als Gesellschaft.

Auch für Prominente gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung, auch ihre Persönlichkeitsrechte müssen geschützt werden. Ab wann ist eine Berichterstattung über solche Vorgänge zulässig?

Journalisten haben die Aufgabe, die Öffentlichkeit über wichtige Ereignisse der Gegenwart zu informieren. Dazu gehören auch Straftaten. Solange ein mutmaßlicher Täter aber noch nicht von einem Gericht rechtskräftig verurteilt wurde, gilt die Unschuldsvermutung. Diese müssen auch Journalisten z.T. beachten. Zudem schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht Verdächtige vor einer öffentlichen Rufschädigung durch die Prangerwirkung einer identifizierenden Berichterstattung. Auf der anderen Seite kann das Informationsinteresse der Öffentlichkeit es rechtfertigen, dass auch über Verdachtsfälle berichtet wird. Wegen dieser widerstreitenden Interessen hat die Rechtsprechung die „Grundsätze der Verdachtsberichterstattung“ aufgestellt, die Journalisten bei Berichten über Straftaten oder andere schwere Verfehlungen einer Person beachten müssen.

Wie sehen diese Grundsätze aus?

Es liegt ein Mindestbestand an Beweistatsachen vor. Es besteht ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit, welches die Rechte des Verdächtigen überwiegt – hier muss man in jedem Einzelfall abwägen. In Bezug auf die Tat - z.B. besonders schwere Straftat bzw. starke Auswirkungen auf das öffentliche Leben, Bezug zur öffentlichen Diskussion. In Bezug auf die Identität der verdächtigen Person - z.B. weil sie in der Öffentlichkeit ein hohes Vertrauen genießt. Die journalistischen Sorgfaltspflichten bei der eigenen Recherche wurden eingehalten. Der Verdächtige hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Verdächtige wird nicht vorverurteilt: Hier darf der Verdacht nicht als Tatsache dargestellt werden, daher auch die Formulierung „mutmaßlicher“ Täter. Außerdem muss auch über entlastende Fakten berichtet werden.

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Trotz dieser klaren Grundsätze kommt es sehr oft zu juristischen Auseinandersetzungen. Warum?

Diese Grundsätze sind auch nur Richtlinien – am Ende muss doch in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen vorgenommen werden. Daher gibt es auch viele unterschiedliche Urteile zu dem Thema. Als Journalist oder Blogger kann man sich aufgrund der Unbestimmtheit dieser Grundsätze letztlich nie ganz sicher sein, legal zu berichten. Geschieht dies doch, so kommt es häufig zu rechtlichen Streitigkeiten - wie auch im Fall Mockridge. Wer die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht einhält, dem drohen Abmahnungen, einstweilige Verfügungen oder Klagen des Betroffenen, außerdem Maßnahmen durch den Presserat.

Ist es nicht problematisch, wenn Medien nicht berichten, in den sozialen Netzwerken der Fall aber bereits rauf und runter verhandelt wird?

Problematisch ist das durchaus, denn die Vorverurteilung findet ja nicht nur in offiziellen Medien, sondern auch in Social Media Feeds statt. Allerdings unterliegen Privatpersonen – anders als die Presse – nicht den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung. Hier überwiegt die Meinungsfreiheit, sie dürfen also sagen, was sie über den Fall denken. Natürlich dürfen sie dabei keine falschen Tatsachen behaupten - also etwa sagen, sie wüssten ganz genau, was passiert ist und hätten da zuverlässige Quellen, die es nicht gibt. Das wäre eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und sogar als Verleumdung oder Üble Nachrede strafbar.

Wo ist denn die Grenze zwischen Privatperson und professionellem Medium?

Die Grenze ist fließend. So müssen Blogger durchaus „anerkannten journalistischen Grundsätzen“ entsprechen – auch wenn die Rechtsprechung da nicht so streng ist wie bei offiziellen Medien, weil Blogger natürlich nicht so aufwändig recherchieren können wie der Spiegel. Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung sollte man ab einer gewissen Reichweite allerdings auch als Blogger einhalten, der in den sozialen Medien aktiv ist.

Zur Person

Foto: Tim Hufnagl

Christian Solmecke (48) ist Rechtsanwalt und Partner der Kölner Medienrechtskanzlei Wilde Beuger Solmecke.

Eine breite Diskussion in sozialen Netzwerken erzeugt ja auch Druck auf die Presse. Wie sollte sie damit umgehen?

Jeder, der journalistischen Grundsätzen unterliegt, hat keine andere Wahl, als sich an die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung zu halten. Das gilt auch, wenn in der Öffentlichkeit bereits eine Vorverurteilung stattfindet. Gerade dann muss die Presse dagegenhalten und der Öffentlichkeit klarmachen, dass es sich nur um einen Verdacht handelt. Sie darf keinesfalls Öl ins Feuer gießen.

Nicht alles, was als sexueller Übergriff empfunden wird, ist strafbar. Gibt es aus juristischer Sicht ein richtiges Vorgehen, über solche Graustufen zu sprechen und zu berichten?

Auch, wenn es sich um eine nicht strafbare Handlung halten würde – der Vorwurf der versuchten Vergewaltigung gegen Mockridge wäre allerdings strafbar – so würde es sich doch um eine „schwere Verfehlung“ eines Menschen handeln. Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung gelten auch in diesen Fällen. Schließlich besteht fast dieselbe Gefahr einer Prangerwirkung in der Öffentlichkeit.

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