Megafon für die Ich-Form

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Silvia Walter und Uwe Kalkowski im Café Franck

Silvia Walter und Uwe Kalkowski im Café Franck

Misslungene Häuser in Belgien oder verkaterte Menschen am Sonntagmorgen – Blogs im Internet gibt es zu fast jedem Thema, sei es noch so verrückt. Dann sind da noch die Männer und Frauen, die am liebsten beim Seitenumblättern in irre oder jedenfalls fremde Welten abtauchen. Rund 1300 Buchblogger gibt es laut Studien im deutschsprachigen Raum. Für manchen Feuilletonisten waren sie lange Zeit das Enfant terrible des Literaturbetriebs: Dahergelaufene aus dem Netz, die in ihrem Metier wildern. Uwe Kalkowski aus Sülz schreibt seit 2013 unter dem Namen „Kaffeehaussitzer“ Rezensionen und Texte über besondere Leseerlebnisse. „Wenn ich mich für ein Buch begeistere, möchte ich mich am liebsten mit einem Megafon auf die Straße stellen und es laut herausschreien“, sagt er. Silvia Walter geht es ähnlich. Die Porzerin bloggt gemeinsam mit Astrid Meine aus Hamburg seit fünf Jahren unter „Leckere Kekse“ über Romane, Sachbücher – und ja, Süßgebäck. Ums Geldverdienen geht es ihnen dabei nicht. Auch nicht darum, dem Feuilleton Konkurrenz zu machen. Was ist es dann?

„Ich sage immer: Ich bin Missionarin“, so Walter. „Sogar im Buchladen verwickele ich Leute in Gespräche und gebe Tipps.“ So seien auch im Netz der persönliche Eindruck und die Authentizität des Schreibers die ausschlaggebenden Kriterien. „Bei einer Literaturkritik in der Zeitung ist die Ich-Form verpönt“, sagt Kalkowski. „Auf meinem Blog werden diese Texte am besten geklickt. Die Leute wollen wissen, warum dieser Blogger, dessen Geschmack sie schätzen, genau dieses Buch empfiehlt.“

Einen Verriss sucht man auf beiden Blogs vergebens. „Ich sehe mich als Buchbegeisterer. Wenn ich eins nicht mag, ist mir meine Zeit zu schade, um darüber zu schreiben“, erklärt Kalkowski. Was er bespricht, sollte außerdem einen literarischen Anspruch haben. Neben Rezensionen, die gerne länger ausfallen dürfen, gibt es bei ihm auch Links zu anderen Bloggern oder Tipps, wo er Bücher kauft und wo nicht. „Ich möchte damit die Buchhändler vor Ort stärken.“ Daneben stellt er auch kreative Fotos online, aus Kaffeehäusern oder von interessanten Covern. „Herr Lehmann“ von Sven Regener war lange mein Lieblingsbuch“, erinnert sich Kalkowski. „Als ich es für den Blog fotografieren wollte, stand in der Küche zufällig eine Bierflasche herum. Ich habe beides fürs Bild arrangiert.“ Seitdem ist er auf den Geschmack gekommen: Ein Buch über den Ersten Weltkrieg lichtete er mit einem Karabiner aus dem Militärhistorischen Museum ab, „Verbrechen und Strafe“ von Dostojewski mit Hackebeil.

Walter und Astrid Meine bringen auch Texte über unabhängige Buchhandlungen und kleinere Verlage. Sie haben einen Redaktionsplan. Jede verfasst mindestens einen Beitrag pro Woche. In der Rubrik „Zwei Blogger, ein Buch“ nehmen sie sich auch mal im Duett einen Titel vor. Zwei bis drei Stunden investieren die Macher von „Kaffeehaussitzer“ und „Leckere Kekse“ in ihre Texte, ein gutes Foto kann genauso viel Zeit verschlingen. Das wandert unter Umständen auch in die sozialen Netzwerke: Facebook, Instagram, Pinterest oder Twitter. Wer dort aktiv ist, rührt nicht nur kräftig die Werbetrommel für seinen Blog. „Es ist die totale Vernetzung und dabei sehr persönlich“, so Kalkowski. „Früher habe ich mit Leuten im Lesekreis zusammengesessen und über Bücher gesprochen. Heute kann ich das mit Menschen auf der ganzen Welt, die sich auch außerhalb meiner sozialen Blase befinden. Da duze ich mich mit einem Jura-Professor. Und kürzlich habe ich mit Autor Jonathan Franzen über »Krieg und Frieden« philosophiert.“

Klar, dass Autoren und Verlage längst auf den Zug aufgesprungen sind. Denn Blogger sind auch in der Literaturbranche wichtige Meinungsmacher. Kostenlose Rezensionsexemplare bestellen Walter und Kalkowski aber eher selten, auch wenn der Kontakt zu den Verlagen durchaus intensiv ist. „Das stresst mich“, bestätigen sie. „Wenn ich ein Buch kaufe, dann, weil ich es erst mal haben will“, erklärt Kalkowski. „Es kann sein, dass ich es erst fünf Jahre später bespreche.“ Ein Verlag sei natürlich daran interessiert, dass eine Rezension sofort erscheint – um den Verkauf zu stärken.

Mit einem Literaturblog Geld zu verdienen, sei sowieso eine absurde Vorstellung. Denn im Gegensatz zum Kosmetik- oder Reisemarkt sei der Buchmarkt relativ klein. „Die Beschäftigung mit Literatur ist und bleibt ein Nischeninteresse“, sagt Kalkowski. Blogger besetzten darin noch einmal eine Nische, die sich wiederum in verschiedene Genres splittet: von Fantasy bis zum Sachbuch. Vielleicht auch deshalb sei die Kölner Buchblogger-Szene relativ klein. Einsteigern empfehlen Uwe Kalkowski und Silvia Walter: „Einfach machen.“ Das Netz verschafft schließlich jedem Begeisterten ein Megafon.

ZU DEN PERSONEN

Silvia Walter (51) aus Köln-Porz bloggt gemeinsam mit Freundin Astrid Meine aus Hamburg unter www.leckerekekse.de, gelesen von 2500 Lesern monatlich, verfolgt von 600 Twitter-, 250 Facebook- und 450 Instagram-Nutzern. Beide arbeiten in der IT-Branche. In Mails und Telefonaten sprechen sie sich ab: Was machen wir als Nächstes? Was lief gut? Beide backen gern. Auf ihrem Blog schreiben sie über ihre Hobbys, Keksrezepte und natürlich die Bücher: Meine eher Sach- und Geschichtsbücher, Walter Thriller und Romane. Uwe Kalkowski (50) aus Köln-Sülz hat als Buchhändler gearbeitet und ist Absolvent des Studiengangs Verlagswirtschaft in Leipzig. Seit 2009 ist er Marketingleiter des RWS Verlags. Er fungiert außerdem als Vorsitzender des Vereins Literaturszene Köln. Unter www.kaffeehaussitzer.de bloggt er über Bücher, Literatur- und Leseerlebnisse. 2017 war er Gewinner des ersten Buchblog-Awards vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Sein Blog hat 6000 bis 8000 Leser im Monat und rund 6000 Follower auf Twitter.

Silvia Walter, Literaturbloggerin

Uwe Kalkowski, Blogger

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