Musik aus dem KubusSo ist „Die 10. Sinfonie“ in Köln

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Performance-Start über der Philharmonie: Novoflot spielt sich warm.

Performance-Start über der Philharmonie: Novoflot spielt sich warm.

  • Die freie Berliner Opernkompanie Novoflot tritt aktuell mit der „10. Sinfonie“ in der Kölner Philharmonie auf.
  • Die Corona-Pandemie hat darauf ihren Einfluss. So mussten die Sitzplätze im Saal kurzfristig neu vergeben werden.
  • Was die Opernkompanie auf die Beine gestellt hat und wie das beim Zuhörer ankommt.

Köln – Eine „Zehnte“ hat Ludwig van Beethoven bekanntlich nicht komponiert. Es gibt dazu lediglich ein nachgelassenes Skizzenbündel, das ein findiger britischer Musikologe Ende der 80er Jahre zu Partiturgröße auswalzte. Mittlerweile arbeitet im Auftrag der Telekom ein Expertenteam unter Nutzung künstlicher Intelligenz (!) an einer neuen Version, die in Bonn zur Uraufführung kommen soll.

Was die freie Berliner Opernkompanie Novoflot in der Kölner Philharmonie als „die 10. Sinfonie“ präsentierte, hatte mit diesen spekulativen Vollendungsversuchen nichts zu tun. Ursprünglich war eine „szenische Begehung“ des Hauses geplant, „die der Erkundung offener Strukturen eines noch nicht vollendeten Werkes gleicht“. Von „szenischer Begehung“ aber kann in diesen Tagen nicht die Rede sein; wegen der verschärften Corona-Regeln mussten sogar die Sitzplätze im Saal kurzfristig neu vergeben werden.

Viele leere Ränge

Das Publikum (hier ist von etwa 150 Personen die Rede) verteilte sich schließlich auf die Chorempore und die seitlichen Saalblöcke; gespielt wurde auf dem Podium und in der Saalmitte. Dort stand auch ein schiefgestellter schwarzer Kubus, aus dem gelegentlich Musik und Worte drangen. Drei Sängerinnen und fünf Darsteller zogen ihre Runden in den leeren Rängen, die von der Lichtregie immer wieder in ein dynamisches Farbenspiel getaucht wurden.

Schwer zu sagen, wie weit das noch die ursprüngliche Konzeption des Abends wiedergab. Das Ergebnis wirkte jedenfalls eher zeremoniell als theatralisch: ein den Raum einbeziehendes Oratorium mit szenischen Schnittstellen (Regie: Sven Holm), das auch durch seine stilistischen Sprünge zuweilen an die Musikrituale Bernd Alois Zimmermanns erinnerte.

Zu wenig Beethoven

Was war zu hören? Von Beethoven eher wenig. Zu Beginn setzten zwei Streichquartette im oberen Saalumgang mehrfach mit dem herzzerreißend schönen Adagio aus dem F-Dur-Quartett op. 18/1 an; auf der Bühne spielten sich zwei Pianisten Fragmente der Appassionata zu. Schatten der Waldsteinsonate, der „Fernen Geliebten“ huschten durch den Saal; aus den wie absichtslos hingebrabbelten Improvisationen eines wandernden Saxofonisten schälte sich allmählich das „Götterfunken“-Thema der „Neunten“ heraus.

Den größeren Teil des Soundtracks füllten Neukompositionen von Michael Wertmüller und Texte der Berliner Autorin Gesine Danckwart, die sich Beethoven mit poetischen wie essayistischen Mitteln näherte – und an Zentralbegriffen wie „Freude“ durchaus erkenntnisstiftend abarbeitete. Wertmüllers hochvirtuos komponierte Partitur wirkte wie ein Traumflug über Epochen und Stile; es gab berückende Gesangs- und Streichquartett-Passagen in kunstvoll verschmierter Fin-de-siècle-Harmonik, aber auch vitale Breitseiten zweier Bands auf der Bühne.

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Was das nun alles sagen wollte, wurde nicht wirklich klar. Eindrucksvoll war es trotzdem – vor allem wegen der großartigen Leistungen der vom Dirigenten Vicente Larranaga souverän geführten Kräfte, die mit höchster Konzentration und flammendem Einsatz bei der Sache waren. Auch wenn das philharmonische Gastspiel mit Sicherheit anständig honoriert war: Man mag kaum darüber nachdenken, welche Bereitschaft zur Selbstausbeutung vonnöten ist, damit eine freie Truppe wie Novoflot ein solches Projekt stemmen kann. Und das wäre schon ohne Corona so.

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