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Nach Buchpreis-GewinnSicherheitsdienst muss Kim de l'Horizon auf Buchmesse schützen

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Sieger:in des deutschen Buchpreises 2022: Kim de l'Horizon

Frankfurt – Sie sind wieder da, die Schlangen an den Rolltreppen und vor den Currywurstbuden. Viele Fach-Besucher tragen am Mittwoch Maske, aber ansonsten präsentiert sich die Frankfurter Buchmesse wie in den Jahren vor der Pandemie. Die Sehnsucht nach Normalität ist groß, man will raus aus dem Krisenmodus. 2020 fand die Messe weitgehend digital statt, im vergangenen Jahr gab es sie nur in sehr abgespeckter Form. In diesem Herbst sind laut Buchmesse rund 4000 Aussteller aus 95 Ländern angemeldet.

So sehr die Messe zurück zur Normalität strebt, so sehr ist sie doch von den Krisen und Kriegen unserer Zeit geprägt. Das Gefühl, eine Zeitenwende zu erleben, ist auf dem Frankfurter Gelände allzeit präsent. Währen des Panels „Iran – wo lang? Der Aufstand gegen das Mullah-Regime und was der Rest der Welt tun kann“ demonstrieren Frauen mit einer großen Flagge. Sie skandieren laut „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frau, Leben Freiheit).

Security muss Kim de l'Horizon auf Frankfurter Buchmesse beschützen

Von Protesten zu sprechen, sei zu wenig, ist man sich auf der Bühne einig. Wir seien Zeugen einer Revolution. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sagt mit Blick auf den Brand im Ewin-Gefängnis: „Ich weiß nicht, wie es ausgebrochen ist, aber es ist mutwillig nichts dagegen getan worden. Es ist nicht neu, dass Menschen gehängt und erschossen werden – jetzt werden sie auch noch verbrannt.“ Die erste Sanktionsstufe der EU sei spät gekommen und sie sei zu klein. Nun gehe es darum, den Druck auf das Regime zu erhöhen. „Deutschland ist der Weltmeister für schäbige Geschäfte und sinnlose Dialoge“, zeigt sich Deniz Yücel hingegen wenig optimistisch.

Wolodymyr Selenskyj wird in Frankfurt zugeschaltet

Auch die Lage in der Ukraine ist ein Thema auf der Messe. Am Stand des osteuropäischen Landes versucht man sich an so etwas wie Normalität, aber der Krieg ist das alles beherrschende Thema. Am Donnerstag wird der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, eine Grußbotschaft schicken. Seine Frau Olena Selenska wird am Samstag live für einen Talk zugeschaltet.

Am Freitagabend gibt der ukrainische Friedenspreisträgers Serhij Zhadan, der nicht nur Autor, sondern auch Musiker ist, mit weiteren Künstlern aus der Ukraine ein Konzert. Die ukrainische Künstlerin Maria Kulikovska legte sich mitten auf dem Messegelände auf den Boden, bedeckt mit der ukrainischen Flagge. Die Performance ist eine Wiederaufführung einer nicht genehmigten Performance in Sankt Petersburg, bei der sie wie verwundet auf den Stufen eines Museums lag.

Groß ist auf der Messe auch das Interesse an Kim de l’Horizon, Gewinner:in des deutschen Buchpreises für  „Blutbuch“. Am Stand des DuMont Buchverlags, der den Text veröffentlicht hat, mischt sich indes große Freude mit Sorge. Als erste non-binäre Person hat Kim de l’Horizon den wichtigen Preis gewonnen, neben vielen Glückwünschen häufen sich gerade im Netz die queerfeindlichen Angriffe auf Autor:in und Werk.

Viele Hassbotschaften gingen bei Social Media ein

Der Social-Media-Beauftragte des Verlags hat alle Hände voll zu tun, Hassbotschaften zu löschen, bei Amazon häufen sich die 1-Stern-Bewertungen, die häufig sehr offensichtlich von Menschen stammen, die das Buch nicht gelesen haben. Der Verlag hat mittlerweile einen Sicherheitsdienst engagiert, um Kim de l’Horizon zu schützen. Die Termine auf der Messe, auch an den Publikumstagen sollen aber wie gewohnt stattfinden. 

Bei dem Auftritt auf der ARD-Bühne am Dienstag ist das Interesse groß. Ein Hexenkessel sei das Buch, so die/der Autor:in. Dey (selbstgewähltes Pronomen) äußert die Hoffnung, mit dem Buch zu einer „kollektiven Heilung“ beizutragen. „Es gibt so viele Wunden in der Gesellschaft. Wir sind alle untrennbar miteinander verbunden. Ich kann diese Themen nicht allein lösen“. Es sind beeindruckende Worte von einem Menschen, dem so viel Hass begegnet. Der/die Schweizer:in räumt ein, sich gegen diese Anfeindungen erst noch ein Rüstzeug anlegen zu müssen. Die aktuelle Aufmerksamkeit will de l’Horizon aber nutzen, „um für die politischen Anliegen, die ich habe, einzustehen“.

Viele große Themen auf der Frankfurter Buchmesse

Es sind viele große Themen, die die Buchmesse in diesen Tagen verhandelt. Da geht der angenehm zurückhaltende Auftritt des Gastlandes Spanien fast ein wenig unter. Natürlich sorgte der Besuch des Königspaares zur Eröffnung für viel Aufmerksamkeit, aber Spanien hat sich entschieden, im wahrsten Sinne auf die Kraft des Wortes zu setzen. Da fliegen Buchstaben und Wörter durch die Gegend, ein mechanischer Arm schreibt ein universelles Gedicht, zu dem jeder einen Vers beitragen kann. „Die Theorie der Kirschen“ heißt das Konzept des Ehrengast-Pavillons.

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Der Ansatz geht auf die spanische Schriftstellerin Carmen Martin Gaite zurück, die sagte: „Geschichten sind wie Kirschen: wenn man an einer zieht, bekommt man die nächste dazu.“ Alles hängt eben mit allem zusammen. Wenn die Buchmesse das in diesem Jahr verdeutlichen kann, hat sie schon viel erreicht.

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