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Jazzclub oder Zahnarztpraxis?Das ist nicht mehr unser King Georg

Lesezeit 3 Minuten
  • Aus der alten Bar „King Georg” im Agnesviertel ist nach aufwendiger Sanierung ein Jazzclub geworden.
  • Besucher des alten King Georg würden die neue Bar kaum wiedererkennen.
  • Leider können wir das Bild, das den Anlass zu diesem Text gegeben hat, nicht mehr zeigen.

Köln – Was man auf diesem Bild nicht sieht: Dunkle Holzvertäfelungen, goldene Leisten, Lametta-Vorhänge über einer elliptischen Anbahnungs-Bar, mit braunem Kunstleder gepolsterte Tischnischen im rotgelben Schummerlicht. Was man auf diesem Bild also nicht sieht ist das King Georg.

Das alte King Georg, das nie die Table-Dance-Bar war, als die es gerne bezeichnet wird, das aber äußerst wirkungsvoll den Geist einer längst vergangenen Zeit ausstrahlte, als das Nachtleben an sich halbseiden war, und der Beat-Dichter Rolf Dieter Brinkmann noch trunken fluchend durch die Straßen der Stadt stoffelte.

Eben jenes King Georg, das André Sauer, als er den Laden vor zehn Jahren übernahm, dann in seiner hübschen Verkommenheit beließ, aber mit so viel Neuem, gewagt Gedachtem und Gespieltem füllte, dass der Club an der Sudermannstraße zu einem der ganz wenigen Orte wurde, an dem man sich in Köln fast schon wie in einer Großstadt vorkam.

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Traditionspflege auf Virtuosen-Niveau

Aber was sieht man denn jetzt? Ein frisch ausgepackter Blumenstrauß in einer Glasvase ziert eine aufgeräumte Theke, die so zackig wirkt, als müsste der Geist von Luigi Colani nach Mitternacht zum Abrunden vorbeischauen. Ihre Arbeitsfläche glänzt in Olivgrün, ebenso die gründlich enttäfelten Wände, die nur von großen Tafeln in komischer Camouflage-Optik geziert werden. Der Boden strahlt weiß und weiß flutet auch das Licht den ganzen Raum. Schummern ist hier nicht mehr und dort, wo man sich in dunkle Séparées verkriechen konnte, proben nun Menschen mit Notenständern.

Die nächsten Termine

19.9. Oslender & Cardinaals feat. Bruno Müller 23.9. Torsten Goods meets… 24.9. Jeff Cascaro meets… 1.10. Hubert Nuss Trio 2.10. King Georg Sessions by Andy Haderer

Ab sofort wird hier schnörkelloser Jazz gespielt. Nichts Experimentelles oder gar Umstürzlerisches, sondern solide Traditionspflege auf Virtuosen-Niveau. Na gut. Das klingt vielleicht nicht besonders aufregend. Aber immer noch besser als Table-Dance. Nur: muss das denn - so oder so ähnlich lästerten besorgte Bürger in einer nachbarschaftlichen Facebook-Gruppe - im Wartezimmer einer Zahnarztpraxis geschehen? Es fehlen wirklich nur noch die Hundertwasser-Drucke an den Wänden. Oder ein Satz dunkelblauer Umschläge aus dem Lesezirkel.

Ein Club für Fußwipper und Fingerschnipper

Besieht man sich Plattencover des Labels Blue Note aus den 50er Jahren, oder die afrofuturistischen Gemälde, die in den 70er Jahren Alben von Miles Davis und Herbie Hancock zierten, kommt man nicht umhin festzustellen, dass Jazz ästhetisch mal ganz vorne dran war. Was ist in der Zwischenzeit bloß passiert? Sah das im Katalog des ausführenden Handwerksbetriebs wild und verrufen aus? Oder soll das so sein. Sich selbst beschreibt der neue Club auf seiner Homepage als „Biotop für Fußwipper und Fingerschnipper“. Eben. So sieht es aus.

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Nein, das ist nicht mehr unser King Georg. Das ist das, was Agenten in Hollywood-Filmen passiert, wenn sie ihren Vorgesetzten den Ort des Verbrechens zeigen wollen, den sie in der Nacht zuvor unter Lebensgefahr ausfindig gemacht haben, und dieser in der Zwischenzeit mit krimineller Energie generalüberholt und umdekoriert wurde. Als wäre nie etwas passiert.

Wir würden dem neuen King Georg gerne trotzdem alles Gute wünschen. Doch die Trauer überwiegt.

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