Neue Puppen in der SesamstraßeWie erklärt man Dreijährigen Rassismus?

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Wes und Elijah _Zach Hyman_dpa

Wes und Elijah sind neu in der Sesamstraße.

Sie sind mit Filz bedeckt oder flokatiflauschigem Pelz. Sie sind orange, gelb, königsblau oder feuerwehrrot, sind bienenklein oder riesig wie der 2,50-Meter-Vogel Bibo, dessen Schnabel sein Puppenspieler mit ausgestrecktem Arm bedienen musste: Man wird kaum einen diverseren Haufen finden als die Muppets. Jene Klappmaulpuppen, mit denen Generationen von Kindern das ABC, die natürlichen Zahlen und auch die großen Fragen des Lebens erkundet haben.

Dennoch hat es mehr als 50 Jahre gedauert – die „Sesamstraße“ debütierte 1969 im US-Fernsehen und vor genau 50 Jahren in Deutschland – bis im Frühling 2021 mit dem fünfjährigen Jungen Wes und seinem Vater Elijah die (beinahe) ersten afroamerikanischen Muppets im Jim-Henson-Universum aufgetaucht sind.

Was bloß ist Melanin?

In ihrer ersten Sesamstraßen-Szene trifft Elmo die beiden auf einer Bank in einem herbstlichen Park. Elmo will wissen, warum Wes’ Haut braun ist. „Das liegt am Melanin“, sagt Wes. Worauf der possierlichste aller Muppets selbstredend fragt, was denn bloß Melanin sei. „Das ist etwas“, erklärt ihm Elijah, „was wir alle in unseren Körpern haben, das ihnen außen ihre jeweilige Hautfarbe gibt.“

Einfache Frage, einfache Antwort. Ein Farbstoff. Unsere Unterschiede liegen an der Oberfläche. Warum hat es dann so lange gedauert, bis in der Sesamstraße darüber gesprochen wurde? Das lag paradoxerweise gerade am Antirassismus der „Sesamstraße“.

Die Sendung wurde von der TV-Produzentin Joan Ganz Cooney und dem Psychologen Lloyd Morrisett entworfen, um benachteiligten Kindern aus ethnischen Minderheiten, eine Lernhilfe zu geben. Die Muppets sind gewissermaßen alle People of Color, nur noch bunter als ihre menschlichen Freunde.

Keines hat eine „natürliche“ Hautfarbe und entdeckte man doch mal kaukasische Züge an einer Puppe, verwiesen diese stets auf eine parodistische Absicht. Etwa der frenetische Quizshow-Moderator Guy Smiley in der Sesamstraße – den Jim Henson selbst spielte – oder die übelgelaunten Zwischenrufer Waldorf und Statler in der „Muppet Show“, vielleicht die originalen alten, weißen Männer.

Es gab schon mal eine schwarze Puppe

Tatsächlich gab es in den frühen Jahren des Programms schon einmal eine schwarze Puppe namens Roosevelt Franklin. Auch wenn deren Filzfarbe eigentlich lila war. Ein Kompromiss zwischen Jim Henson, der darauf bestand, dass Muppets keine menschlichen Hautfarbe haben und Matt Robinson, der in den Straßensegmenten der Show den Gordon spielte, aber auch als Autor fungierte.

Er wies Henson darauf hin, dass alle seine Puppenspieler weiß waren, sich „weiß“ also als Standardeinstellung unter dem bunten Äußeren der Puppen verbarg. Robinson sprach Franklin denn auch gleich selbst und verwendete dabei Ausdrücke, die diesen eindeutig als afroamerikanisch auswiesen.

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Franklin kam beim Zielpublikum gut an – und doch gab es vor und hinter den Kulissen auch heftigen Widerspruch, nicht zuletzt von schwarzen Mitarbeitern der Sendung, die die Figur als zu stereotypisch empfanden.

Mitte der 1970er Jahre verschwand Roosevelt Franklin sang- und klanglos aus der Straße. Vor rund zehn Jahren tauchte unvermittelt ein schwarzes Muppet-Mädchen auf und sang das Lied „I Love My Hair“. Das Video ging viral, doch die Figur wurde nicht weiterentwickelt.

Er ist gekommen, um zu bleiben

Dass nun ein schwarzer Junge mit naturalistischer Hautfarbe in die Straße gezogen ist – und diesmal, um zu bleiben – liegt vor allem an dem Mord an George Floyd und den darauf folgenden Black-Lives-Matter-Protesten im vergangenen Jahr.

Der einzige Weg, Rassismus abzubauen, sagte Kay Wilson Stallings vom „Sesame Workshop“, der nichtkommerziellen Kreativabteilung der Sesamstraße dem „Time“-Magazin, bestünde darin, ihn mutig und offen anzugehen: „Wir müssen Dreijährigen erklären, was Rassismus ist.“

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