„Der Fall Richard Jewell“Der Versager wird plötzlich zum Helden

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Paul Walter Hauser (M.) als Richard Jewell 

Paul Walter Hauser (M.) als Richard Jewell 

  • Clint Eastwood hat die Außenseiter-Geschichte von Richard Jewell verfilmt.
  • Auch wenn die Titelfigur dabei immer wieder in ein schlechtes Licht gerückt wird, so ist Eastwood im Kern doch ganz und gar auf der Seite des Mannes.
  • Mit den aktuellen gesellschaftlichen Debatten über staatliche Gewalt, Stigmatisierung und Feindbilder hat der Film dennoch nichts zu tun.

Köln – Die ideale Zielscheibe für Spott und Gelächter, ein Watschenmann, ein regelrechter Vollidiot, all das kann man in Richard Jewell sehen. Wie er schon so übergewichtig dahertrampelt, mit einem Hundeblick, mit dem er sich für den eigenen Auftritt zu entschuldigen scheint. Richard Jewell (Paul Walter Hauser) ist das Gegenteil des amerikanischen Traums, ein ehemaliger Polizist, der sich nun für ein mageres Gehalt als Wachmann verdingt und bei der Mutter wohnt. Am Abend des 27. Juli 1996 tut er im Centennial Olympic Park in Atlanta Dienst, bei einem Rockkonzert zu Ehren der Olympischen Spiele, deren Gastgeber die Stadt ist. An diesem Abend wird Richard Jewell, der schmerbäuchige Versager vom Dienst, zum Held.

Es ist eine Außenseiter-Geschichte ganz nach dem Geschmack von Clint Eastwood, die der Altmeister nun zu einem Film verarbeitet hat. Es ist der erste wirklich prominente Film, der nach dem Corona-Lockdown wieder auf die Leinwand gelangt – nachdem er im März der allgemeinen Schließung öffentlicher Veranstaltungsorte zum Opfer fiel. Natürlich ist dieser neue Starttermin ein Zufall, aber er passt wie absichtsvoll gewählt in die Zeit, nachdem in den USA durch den Tod des George Floyd eine erbitterte Debatte über staatliche Gewalt, Stigmatisierung und gesellschaftliche Feindbilder entbrannt ist. Eastwood, der konservative Rebell, konzentriert sich dazu auf einen Fall, der ganz und gar dem weißen amerikanischen Milieu verhaftet bleibt, aber er widmet sich ihm mit umso größerer Erbitterung, indem er wie bereits in „Sully“ vom Schicksal eines gefallenen Helden erzählt.

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Im Übrigen ist er nicht allein mit diesem „Fall Richard Jewell“. Auch die zweite Staffel der Netflix-Serie „Manhunt“ beschäftigt sich zu einem großen Teil mit dieser erstaunlichen Geschichte, in der ein krasser Niemand über Nacht zum Liebling der Nation avanciert, nur um sich wenig später erneut in der Außenseiterrolle, diesmal aber als verhasstes Objekt polizeilicher und medialer Verfolgung wiederzufinden. Denn auf Jewell, der im Centennial Parc als erster den Rucksack mit einer Bombe entdeckte und dadurch zahlreiche Leben rettete, fällt bald der Verdacht, dass er ein falscher Retter sein – dass er den Anschlag also selbst hätte inszenieren können, um sich seinen größten Traum er erfüllen: als selbstloser all american hero dazustehen, der sich wie von selbst für eine Polizeikarriere empfiehlt, die ihm einst wegen allzu großer Waffenliebe und anderer Charakterschwächen verwehrt blieb.

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Starttermin ist purer Zufall

Auch wenn Eastwood nichts ungeschehen lässt, um seine Titelfigur in ein schlechtes Licht zu rücken – und hierin weit zugespitzter vorgeht als die Serie „Manhunt – , indem er Richard Jewell also mit rechtsradikalem Gedankengut in Verbindung bringt und ihn auch aufgrund seiner körperlichen Eigenschaften ein ums andere Mal regelrecht denunziert – im Kern ist er trotzdem ganz und gar auf der Seite dieses Mannes, dem übel mitgespielt wird, wie er voll des moralischen Furors zeigt. Hauptverantwortlich, und hier liegt Eastwood ganz auf der Linie seines Präsidenten, sind dafür die Medien, vor allem in Gestalt der ehrgeizigen Lokalreporterin Kathy Scruggs (Olivia Wilde), die für einen Scoop auch schon mal zum kokainbeschleunigten Sex bereit ist. Scruggs ist eine Skandalschlampe durch und durch, mehr Klischee geht wirklich nicht, und dieses wird allenfalls eingeholt durch das Karrieristentum des FBI-Agenten Tom Shaw (Jon Hamm), der ebenfalls nichts unversucht lässt, dem dicken Richard den Terroranschlag anzuhängen. Nur gut, dass der an den Anwalt Watson Bryant gerät, dem Sam Rockwell zwar eine vertrödelte Weltfremdheit verleiht, der in Wahrheit aber ein ganz schön ausgeschlafener Zeitgenosse ist.

Mit anderen Worten: Eastwood stellt zwar einen unheldischen Protagonisten in den Mittelpunkt seiner Geschichte; eine Heldengeschichte bleibt sie dennoch. Ihm geht es nicht um gesellschaftliche Analyse und auch nicht um das Verhältnis von Staatsgewalt und Minderheit. Der Spruch hinter des Anwalts Schreibtisch bleibt eine leere Provokation: „I fear government more than I fear terrorism.“ Eastwood will vom mythischen Kampf zwischen Zwergen und Giganten erzählen, aber wie viel Glaubwürdigkeit darin steckt, vermag man rasch nicht mehr zu sagen. Insofern ist der Starttermin dieses Films wirklich nichts anderes als purer Zufall.

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