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Neuer Kinofilm über Einsamkeit„Alle senden dauernd – das fördert Egomanie”

Lesezeit 7 Minuten
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Die Geschwister Katharina Wackernagel und Jonas Grosche stammen aus einer Schauspielerfamilie.  

  • Katharina Wackernagel und Jonas Grosch sind Bruder und Schwester. Sie ist Schauspielerin, er Regisseur und Drehbuchautor.
  • Gemeinsam haben sie jetzt den Kinofilm „Wenn Fliegen träumen” realisiert. Es ist Wackernagels erste Regie-Arbeit.
  • Ein Gespräch über soziale Medien, das große gesellschaftliche Problem der Einsamkeit, von der ihr Film handelt.

Katharina Wackernagel, ganz in Rot-Schwarz gekleidet und ihr Bruder Jonas Grosch mit schwarzem T-Shirt, dessen Aufdruck für ihren neuesten gemeinsamen Film „Wenn Fliegen träumen” wirbt, bestellen Orangensaft und Kaffee, sie sitzen über Eck, Katharina Wackernagel mit Blick zur Straße. Sie fallen einander nur selten ins Wort.

Es ist ihr vierter gemeinsamer Film, den sie gerade ins Kino gebracht haben. Im Mittelpunkt stehen eine einsame Psychotherapeutin und ihre schwerkranke Schwester. Was nach schwerer Kost klingt, erzählen Katharina Wackernagel und Jonas Grosch in Form eines heiter-melancholischen Roadmovies voller liebenswerter Gestalten, gespielt von Schauspielern wie Thelma Buabeng, Nina Weniger, Robert Glazeder und Katharina Wackernagel selbst. Zum ersten Mal führte die Schauspielerin dabei auch selbst Regie. Das Drehbuch schrieb ihr Bruder.

Was ist Einsamkeit für Sie?

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Katharina Wackernagel: Ich glaube, es gibt verschiedene Formen der Einsamkeit. Es gibt diese Einsamkeit in Norwegen, an diesem Ort unserer Kindheit, wo wir viele Urlaube verbracht haben. Dort ist Einsamkeit für uns etwas Positives, auch wenn wir uns nicht vorstellen konnten, wie man dort leben kann. Aber ich kenne auch die andere Einsamkeit: Ich bin ja oft von sehr vielen Menschen umgeben, wenn ich ein paar Monate drehe oder ein Theaterprojekt mache. Man ist dann nicht einsam im wörtlichen Sinne, aber vielleicht einsam mit dem, was man eigentlich gerne teilen würde. Dann fehlt in dem Moment der richtige Mensch dafür. In meinem Privatleben gibt es glücklicherweise kaum einsame Momente. Ich habe oft so viele Menschen um mich, dass ich nicht gerade die Einsamkeit, aber doch das Alleinsein suche.

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Einsamkeit ist ein Stigma. Kaum jemand gibt zu, einsam zu sein. Hat jemand, der einsam ist, etwas falsch gemacht?

Jonas Grosch: Nein, das glaube ich nicht. Einsamkeit erfährt jeder von uns. Aber ich finde die Spannung zwischen Alleinsein und Einsamkeit interessant. Ich habe eine Familie – einen kleinen Sohn, eine Freundin –, und trotzdem fahre ich auch mal eine Woche ganz allein nach Norwegen. Es schlummert vieles in einem, was nicht so eindeutig ist. Ich genieße es auch, eine Woche lang mit niemandem zu reden. Wackernagel: Manchmal bin ich in einer Arbeit einsam mit dem, was ich erzählen möchte. Ich merke, dass ich einen anderen Ansatz habe, einen anderen Humor. Oder dass ich dem Ganzen eine größere Wichtigkeit beimesse als andere. Diese Art von Einsamkeit ist mir auch bekannt. Grosch: Es gibt die einsamen Momente, in denen man sich unverstanden fühlt. Aber es gibt auch das Gefühl tiefer Einsamkeit: Niemanden zu haben, mit dem man sich austauschen kann. Dann ist es egal, ob man in einer Gruppe ist oder allein in seiner Wohnung sitzt. Die große Einsamkeit, die die Figuren in unserem Film erfahren, hat damit zu tun, dass sie sich ausschließlich um sich selbst drehen. Da können sie noch so viel miteinander reden: Wenn sie nicht wirklich etwas gemeinsam machen oder durchleben, wird sich das nie ändern. Im Lauf der Geschichte finden sie zusammen, obwohl sie lange wie kleine Satelliten umeinander herumschwirren. Wackernagel: Jede dieser Figuren hat ihre eigene Art von Einsamkeit. Die eine zieht sich zurück, weil sie von ihrem Mann und ihrer Mutter nicht wirklich wahrgenommen wird, die andere sucht dagegen eine andere Form von Geborgenheit, weil sie keine Familie hat.

Katharina Wackernagel

...wurde 1978 in Freiburg im Breisgau geboren, ihre Schulzeit verbrachte sie in Kassel, ehe sie 1998 nach Berlin zog.

... ist seit über 20 Jahren als Schauspielerin bekannt. Am 27. Juni kam ihr Film „Wenn Fliegen träumen“ in die Kinos, mit dem Wackernagel ihr Regiedebüt gibt und bei dem ihr Bruder Jonas Grosch ihr als Co-Regisseur, Autor und Produzent zur Seite stand.

... spielte im Fernsehen zuletzt im ARD-Zweiteiler „Aenne Burda – Die Wirtschaftswunderfrau“ (Regie: Francis Meletzky) die titelgebende Rolle. Im Theater war sie in diesem Jahr in einem Stück von Moritz Rinke in den Hamburger Kammerspielen zu sehen. TV-Rollen hatte sie in der Serie „Bloch“, als Ermittlerin Nina Petersen war sie Zentrum der Stralsund-Krimis, weitere Rollen hatte sie in „Waffenbrüder“ und „Adlon – Eine Familiensaga“.  

Einsamkeit wird inzwischen als großes gesellschaftliches Problem gesehen. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach will sogar den Posten eines Einsamkeitsbeauftragten schaffen.

Wackernagel: Dabei geht die Entwicklung geradlinig Richtung Einzelkämpfer, das ist das Ideal, das der Generation nach uns signalisiert wird: Guck, dass du irgendwie durchkommst. Natürlich hat die Vereinsamung auch mit den sozialen Medien zu tun, weil man zwar in ständigem Kontakt, aber gleichzeitig auch in ständigem Wettbewerb miteinander ist.

Sind Sie selbst auf Facebook, Instagram, Twitter und so weiter unterwegs?

Wackernagel: Um auf unseren Film aufmerksam zu machen, nutzen wir soziale Medien, aber sonst mache ich da nichts. Die Dinge sind diesen Netzwerken sehr kurzlebig. Etwas findet in einem bestimmten Augenblick statt, dann muss es sofort geliked und gepusht werden, und wenn es nicht sofort geliked wird, dann ist es auch nichts wert. Grosch: Alle senden dauernd. Es geht immer nur in eine Richtung, Austausch kommt so nicht zustande. So entsteht Einsamkeit ... Wackernagel: … und es fördert Egomanie ... Grosch: … die gleichzeitig dein Einsamkeitsgefühl beruhigen soll. Das ist ja das Komische daran, es ist wie eine Droge. Es gibt dir in dem Moment das Gefühl, dass du nicht einsam bist, weil du diesen Augenblick, in dem du deinen Kartoffelsalat isst, im Netz teilst. Dann liken es fünf Leute, und du meinst, die sind bei dir. Wackernagel: Und oft stellt sich dann wieder Leere ein.

Sie hingegen, Frau Wackernagel, laden lieber zu sich nach Hause ein. Angeblich haben Sie einen Tisch, an dem zwanzig Leute sitzen können.

Wackernagel: Ich koche wahnsinnig gern und immer viel zu viel. Das hat damit zu tun, dass ich in einer großen Familie aufgewachsen bin mit drei Brüdern. Wir essen alle gern und viel.

Sie sind eine sehr miteinander verbundene Familie.

Wackernagel: Ja, ich bin außerdem schon vierfache Tante, der Kleinste ist Jonas’ Sohn.

Kann es sein, dass Sie diesen Film, in dem Einsamkeit eine so große Rolle spielt, nur drehen konnten, weil Sie es selbst nicht sind?

Grosch: Ich weiß es nicht, aber wahrscheinlich wäre es ein anderer Film geworden. Ich glaube, wir hatten einfach Glück, schon durch unsere Familie, und dadurch konnten sich wohl auch Freundschaften gut entwickeln. Es gibt vielleicht auch deshalb nichts Bitteres in unserem Film, wir haben das Hoffnungsvolle als Element, das liegt wahrscheinlich in unserer Natur. Wackernagel: Ja, vielleicht. Wir haben sehr früh beigebracht bekommen, dass man auch in traurigen, schweren Momenten etwas Heiteres, Skurriles finden kann. Wir konnten gut miteinander und übereinander lachen, und wir haben früh mitbekommen, dass man sich selber nicht immer so ernst nehmen muss. Auf manche wirkt das wie ein Angriff. Es gibt Leute, die meinen, wir würden uns in unseren Filmen über den Zuschauer lustig machen. Grosch: Eine Fernsehredakteurin empörte sich mal über unseren „menschenverachtenden Humor“. Wackernagel: Dabei ist es genau das Gegenteil: Wenn man über sich selbst lachen kann, so wie wir es mit unseren Figuren erzählen, kann man doch viel offener sein.

Gab es zwischen Ihnen beiden einmal eine ernsthafte Krise? Gerade durch die Arbeit?

Wackernagel: Eine richtige Krise hat es bei uns noch nie gegeben. Streit gibt es natürlich, in der Arbeit und im normalen Leben, aber ich habe es nie als bedrohlich empfunden. Es ging nur um Dinge, bei denen wir unterschiedlicher Meinung sind. Obwohl wir uns sehr gut verstehen, sind wir sehr unterschiedliche Charaktere. Wir führen auch ganz unterschiedliche Leben. Grosch: Ja, wenn man uns im Film sehen würde, wären das zwei sehr unterschiedliche Figuren.

Das Gespräch führte Christina Bylow 

Jonas Grosch

... wurde 1981 in Freiburg im Breisgau geboren und ist in Kassel aufgewachsen.

... absolvierte das Studium der „Drehbuch-/Film- und Fernsehdramaturgie“ an der HFF Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg, ab 1998 brachte er diverse Kurzfilme als Autor und Regisseur heraus, ab 2006 folgten mehrere Spiel- und Dokumentarfilme. Seinen Film „Die letzte Lüge“ produzierte er 2011 selbst und verkaufte ihn dann an das ZDF, genau wie den Spielfilm „bestefreunde“, der Anfang 2015 mit großem Erfolg in den Kinos lief. Er lebt mit seiner Familie in Berlin und schreibt für viele Produktionsfirmen.

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