Neuer StudiengangKermani und Peltzer lehren Kölner Studierende das Schreiben

Lesezeit 6 Minuten
  • Die Kölner Kunsthochschule für Medien startet den Studiengang „Literarisches Schreiben“
  • Ulrich Peltzer und Navid Kermani begleiten das Angebot
  • Im Interview sprechen sie über das Schreiben, Seminare und das Hochschulsystem

Herr Peltzer, Herr Kermani, seit dem Wintersemester bietet die Kölner Kunsthochschule für Medien, kurz KHM, ihren neuen Studienschwerpunkt „Literarisches Schreiben“ an. Für die erste Gastprofessur konnten Sie, Herr Peltzer, gewonnen werden, Sie, Herr Kermani, begleiten den Aufbau des Studiums als Berater. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?

Ulrich Peltzer: Was mich vor allem bewogen hat, diese Aufgabe zu übernehmen, ist die Tatsache, dass die Fächergrenzen an der KHM durchlässig sind. Ein Student, der unseren Kurs besucht, kann auch in eine Drehbuchwerkstatt gehen, ein Bresson-Seminar besuchen, er kann sich für Installation oder Sound interessieren. So sitzen auch Film-Studenten in meinen Seminaren.

Der neue Studienschwerpunkt schließt eine Lücke im Angebot der KHM …

Navid Kermani: Richtig, und es ist durchaus nicht so, dass das Ziel sich darauf beschränkt, Schriftsteller auszubilden – falls das überhaupt ginge. Es geht um das literarische Schreiben in seiner ganzen Breite und Vielfalt, von der Poesie bis hin zu Drehbuch, der literarischen Reportage oder Formen, die überhaupt nicht in ein Genre zu stecken sind.

Aber ist es nicht ein gewaltiger Unterschied, ob man ein Drehbuch schreibt oder einen Roman oder eine Kurzgeschichte?

Peltzer: Es gibt aber Überschneidungen, und es geht immer um die Frage des Stoffes: Warum will ich daraus einen Film machen, warum einen Roman? Im vergangenen Semester zum Beispiel hatte ich eine Studentin, die zunächst einen Film aus ihrem Stoff machen wollte, dann aber gemerkt hat, dass der literarische Zugang sehr viel besser ist. Sie hat dann aus dem Drehbuch eine längere Erzählung gemacht. Wir konzentrieren uns auf die Frage, was das spezifisch Filmische, und was das spezifisch Literarische an einem Stoff ist.

Wie entscheiden Sie das?

Peltzer: Das hängt davon ab, was die Autoren erzählen wollen. Was zum Beispiel die Figurenpsychologie betrifft, so habe ich in der Literatur sehr viel mehr Möglichkeiten. Das müsste ich im Film alles szenisch auflösen, doch der Film ist zeitlich begrenzt.

Es gibt den Trend zur Serie.

Peltzer: Ja, und es gibt so etwas wie schlechte Unendlichkeit. Da regt sich mein Widerspruchsgeist, und ich möchte gerne fragen, wie man etwas auch in eine kurze Form bringen kann. Was zwingt mich dazu, von Anfang an eine Haltung zu meinem Stoff zu entwickeln? Welche politische, ästhetische Haltung habe ich zu meinem Stoff? Wenn ich nur anderthalb Stunden zur Verfügung habe, muss ich mir von Anfang an darüber im Klaren sein, wo die Geschichte hingeht und – das in großen Anführungszeichen – welche „Moral“ sie hat. Ohne dem Rezipienten etwas aufzudrücken natürlich. Bloß keine Botschaft!

Der Studiengang „Literarisches Schreiben“

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft in NRW, eröffnet offiziell das Studienangebot „Literarisches Schreiben“ der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM).

Anschließend diskutiert die Ministerin unter anderen mit der Literaturkritikerin Sandra Kegel (FAZ) sowie den Autoren und KHM-Professoren Ulrich Peltzer und Navid Kermani zum Thema „Untergang des Abendlandes. Ist die literarische Bildung am Ende? “ Hans Ulrich Reck, Rektor der KHM, moderiert die Diskussion. Das neue Studienangebot der Kunsthochschule wird jährlich mit 670000 Euro vom Land gefördert.

Der Termin: 13. April 2018, 19 Uhr, in der Kunsthochschule für Medien Köln, Filzengraben 2, 50676 Köln

Wie laufen die Seminare praktisch ab?

Peltzer: Ich gebe den Studenten Projekte auf, aber wir lesen auch. Navid gibt den Studenten alle zwei Wochen richtig dicke Wälzer zu lesen – ich entscheide mich für kürzere Bücher …

Kermani: Schick sie mal zu mir!

Peltzer: Ich sehe manches wohl pragmatischer – bei einem Buch zum Liebesdiskurs des Ancien Régime habe ich mich gegen „Gefährliche Liebschaften“ mit fast 500 Seiten und für „Manon Lescaut“ von Abbé Prévost entschieden.

Sie setzen also auch auf die Lektüreerfahrung?

Kermani: Natürlich, ich kenne keinen guten Autor, der nicht zugleich ein enthusiastischer Leser wäre. Durch Lesen bildet sich auch die eigene Sprache heraus, indem man antwortet auf das, was Literatur bereits geschaffen hat. Jedes Buch antwortet auf andere Bücher.

Peltzer: Aber die Studenten sollen sich damit nicht wie im germanistischen Seminar auseinandersetzen, sondern Literaturkritiken zu den Büchern schreiben. Dann gibt es aber auch verschiedene Übungen: Schreiben Sie einen Abschiedsbrief, schreiben Sie einen Liebesbrief, schreiben Sie eine Abrechnung mit Köln oder Berlin, definieren Sie, was eigentlich Liebe ist, und so weiter.

Besteht die Gefahr, dass man in einem solchen Seminar das Schreiben zu sehr einengt?

Kermani: Die Idee des Studiengangs an der KHM ist gerade, dass man es nicht einengt, im Gegensatz zu anderen Schreibschulen. Eigentlich darf es gar keine Schreibschule geben! Die wirklich guten Autoren haben ihre je eigene Stimme – nach zwei, drei Seiten weiß man als Leser, wer das geschrieben hat. Das ist so individuell wie der Mensch, der dieses Buch geschrieben hat. So kommt es meiner Meinung nach darauf an, die Persönlichkeit beim Schreiben hervorzulocken, dem Autor zu seiner eigenen Stimme zu verhelfen, ihm zu helfen, dass er diese Stimme zulässt. Welche Gattung er dafür wählt, ist zweitrangig, und es gibt für mich auch überhaupt keine Hierarchie der Gattungen.

Peltzer: Man kann Schreiben nicht so lehren wie man Malen lehrt. Natürlich spielt die Frage des Handwerks eine Rolle, aber keineswegs so unmittelbar, wie dies in der Bildenden Kunst der Fall ist. Aber in erster Linie kommt es darauf an, Schreibenden einen Raum zu öffnen, ihnen zu zeigen, welche Möglichkeiten es gibt. Vielleicht ist das Old School, aber ich versuche nicht, Kunsthandwerk zu lehren. Der Lebensweg von Autoren ist nicht so vorherzubestimmen wie bei einem Ingenieursstudium. Das Kriterium ist die innere, individuelle Stimme. Das scheint mir die Aufgabe einer Kunsthochschule zu sein.

Es geht Ihnen also nicht um praktische Anleitung?

Peltzer: Auch – zum Beispiel stelle ich den Studenten folgende Frage: Wovon lebt der Protagonist Ihrer Geschichte eigentlich? Welche Arbeit hat er, womit verdient er sein Geld: Der slackert jetzt schon seit drei Tagen durch den Kölner Clubsumpf, hat der geerbt? Dann antwortet der Student: Der fährt Foodora aus. Worauf ich dann wieder sage, das will ich wissen. Erzählen Sie mir, wie er bei diesem Lieferservice arbeitet.

Noch einmal zurück zu Leipzig und Hildesheim, und auch an der Universität in Köln gibt es ja von diesem Sommersemester an ein Angebot zum kreativen Schreiben, das weit über die Literatur hinausgeht – worin besteht der Unterschied zur KHM?

Peltzer: Im Maß der Verschulung. In Leipzig und Hildesheim besteht das reguläre Bachelor- und Mastersystem gemäß der Bologna-Reform. Ich finde aber, dass man nicht nach Modulen schreiben und lehren kann.

Kermani: Man kann Bildung generell nicht in Module stopfen.

Peltzer: So ist es. Ich habe eine prinzipielle Abneigung gegen dieses System. Da geht es um Scheine und Credit-Points – mir aber ist der eigene Antrieb der Studenten wichtig, ich bin kein Freund von Kontrolle. Die Universität ist einer der letzten Freiräume, die es geben sollte, und der ist total zerstört worden.

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