Neues BuchSeeleute erzählen von Grenzerfahrungen im Brüllen des Sturms

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Ein Trawler im Seesturm (1)

Ein Trawler im Seesturm

Köln – Spätestens in der Erzählung von Kapitän Michael Nicolaysen wird klar, worum es eigentlich geht, über die abenteuerlichen Erlebnisse der Seeleute hinaus. Schon als ganz junger Matrose macht Nicolaysen eine prägende Erfahrung: Nachdem er auf seinem ersten Landgang in Guayaquil/Ecuador ausgeraubt worden ist, nehmen ihn die Erfahreneren noch einmal mit an Land. „Die Matrosen halten mich frei. Sie wollten, dass ich die Reise in guter Erinnerung behalte“, erzählt Nicolaysen. „Sie haben mir den Weg in die Welt gezeigt. Und eine Kameradschaft, wie ich sie immer wieder auf See erlebt habe. Auch deshalb mag ich meinen Beruf“.

20 Seeleute haben Stefan Kruecken ihre Geschichten erzählt, die er für sein Buch „Kapitäne!“ aufgeschrieben hat. Aber vor allem haben sie ihm von Werten berichtet: Verlässlich, vorbildlich, entscheidungsfreudig, kameradschaftlich, auch nervenstark kommen sie daher, ohne das selber übermäßig zu betonen. Nüchtern erzählen sie, was wichtig ist auf einem Schiff, wenn eine Gruppe mit oft überraschenden Bedingungen klarkommen muss. Verantwortlich sind immer noch die Kapitäne – auch wenn die Seefahrt sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert hat.

In den Erzählungen heult der Sturm, haushohe Wellen schlagen über dem Schiff zusammen, unter der Gewalt des Wassers geben stabile Stahlteile nach – Grenzerfahrungen auf See, wie sie Kapitän Friedhelm von Staa auf seinem Fischtrawler vor Grönland gemacht hat. Vor ihm bricht eine massive Glasscheibe aus dem Rahmen, als er das Schiff durch die Brecher steuert, Wasser dringt ein, die Elektronik fällt aus. In stundenlangem Kampf kann die Mannschaft das Schiff stabilisieren. „Wir schreien uns an. Sonst können wir uns im Brüllen des Sturms nicht hören“.

Schließlich schaffen sie es, eine Aluminiumplatte vor den Scheibenrahmen setzen und so das Loch zu schließen, und von Staa resümiert lapidar: „Es sind wirklich fähige Handwerker an Bord. Improvisieren ist alles, wenn man draußen ist auf See“.

Außer Kontrolle im Hafen von New York

Aber es sind nicht nur Erfolgsgeschichten, die Kruecken gesammelt hat. Ein Großcontainerschiff, das in der Hafeneinfahrt vor New York außer Kontrolle gerät, ein Frachter, der an der Küste von Wales so spektakulär auf Grund läuft, dass die „Tagesschau“ die Bilder zeigt; auch Geschichten von Schlägereien, Gewalt und Kriminalität – die Kapitäne sind ehrlich und verweigern sich falscher Romantisierung. Manchmal sind die Erinnerungen quälend. Kapitän Dietrich Heinz verlor seinen dritten Offizier durch einen tödlichen Unfall im Sturm. Hatte er alles getan, um das zu verhindern? Waren vielleicht die Sicherungen unzureichend gewesen?

„Ich habe nie Antworten gefunden, doch diese Fragen bedrücken mich heute noch, nach so vielen Jahren.“ Viele Kapitäne erzählen Geschichten aus vergangenen Zeiten, als sie noch Zeit hatten, Häfen zu erkunden, als Seefahrt noch nicht gezeichnet war von der Rastlosigkeit des Containertransportes, von Zeitdruck und elektronischer Überwachung.

Politische Aspekte wie illegaler Fischfang

In den jüngeren Geschichten kommen sehr politische Aspekte hinzu wie in Hauke Macks Erzählung vom Kampf der „Rainbow Warrior 2“ gegen illegale Fischfangmethoden in der Biskaya. Oder hochaktuell: Kapitän Stefan Schmidts Schilderung einer Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer durch die „Cap Anamur“, die 2004 von italienische, aber auch deutschen Behörden behindert wurde.

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Mehr als einhundert Kapitäne hat Stefan Kruecken inzwischen interviewt und mehrere Bücher darüber veröffentlicht. Der Journalist aus dem Rheinland (der in der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ lernte und dann Reporter für Magazine war) hat den Ankerherz Verlag bei Hamburg gegründet und inzwischen zu einer maritimen Instanz aufgebaut, die nicht nur an den Küsten Deutschlands anerkannt ist. Er zeigt seinen Respekt vor den Seeleuten, indem er ihre Werte weiterträgt (auch in Zeitungskolumnen, einem Blog und in einem Facebook-Auftritt mit mehr 145 000 Abonnenten).

Kruecken lässt sie reden, schreibt auf und fasst die Erzählungen in unspektakuläre Sätze, die dennoch packend sind, weil sie ihr Gewicht durch die Inhalte bekommen. Und durch eine Haltung, die weit über die Abenteuer auf See hinaus wirken kann, ja wirken sollte – weil sie vorbildhaft ist für manch eine Situation an Land.

INFOS ZUM BUCH

Stefan Kruecken: „Kapitäne! Glaube, Liebe, Hoffnung: Seeleute erzählen ihre besten Geschichten“. Das Buch ist im Ankerherz Verlag erschienen, umfasst 239 Seiten und kostet 29,90 Euro (E-Book: 14,99 Euro).

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