Offener Brief an Olaf ScholzPhilosophin Flaßpöhler erklärt ihre Unterschrift

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Svenja Flaßpöhler. 

  • In einem Offenen Brief an Olaf Scholz haben sich zahlreiche deutsche Prominente gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausgesprochen.
  • Der Brief hat viel Kritik auf sich gezogen.
  • Auch Svenja Flaßpöhler hat unterschrieben. Im Interview erklärt sie warum und wie sie auf die Kritik reagiert.

Frau Flaßpöhler, warum haben Sie den Offenen Brief an Olaf Scholz unterschrieben? Svenja Flaßpöhler: Ich habe diesen Brief unterschrieben, weil der Krieg eine Eigendynamik hat. Diese Eigendynamik heißt Eskalation. Und das können wir gerade sehr gut beobachten, wie ein Tabu nach dem nächsten fällt. Noch vor einigen Tagen war es Linie der Bundesregierung, keine schweren Waffen zu liefern, weil man keine atomare Eskalation riskieren wollte. Auch dieses Tabu ist jetzt gefallen. Annalena Baerbock ist sich nicht sicher, ob der Weg, der damit beschritten wurde, der richtige ist. Das hat sie Sonntag bei Anne Will offen gesagt. Das heißt, die Bundesregierung kann eine atomare Eskalation nicht ausschließen.

„Wenn wir das hinnehmen, ist das eine Einladung für mehr“ sagt Annalena Baerbock über die russische Aggression. 

Es geht ja nicht um hinnehmen - davon steht nichts in diesem Brief. Es steht auch nichts davon darin, dass die Ukraine sich nicht wehren soll. Es steht übrigens auch nichts darüber drin, dass es von vorn herein falsch gewesen wäre, Waffen zu liefern. Es geht darum, dass wir jetzt an einem sehr kritischen Punkt sind. Die Gefahr, dass wir als Kriegspartei angesehen werden, ist inzwischen mit den Händen zu greifen. Zudem: Jede Waffenlieferung befeuert einen Krieg, in dem immer mehr Menschen sterben und fürchterlich leiden, während wir vom sicheren Balkon aus zusehen. Die Unterzeichner des Briefes sagen: Sollte der russische Aggressor nicht zurückweichen muss es hier eine Grenze geben; oder sollen sich die Menschen dort unbegrenzt für „unsere“ Freiheit opfern? Zumal überhaupt nicht klar ist, wie ein militärischer Sieg gegen Putin aussähe.

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Zur Person und zum Offenen Brief

Die Philosophin Svenja Flaßpöhler ist Chefredakteurin des Philosophie Magazin und mit verantwortlich für das  Programm der Kölner Phil.cologne. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Sie appelliert mit vielen anderen Prominenten  in einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), nicht noch mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.

Für den Brief gab es viel Unterstützung aber auch scharfe Kritik. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann fragte in einem Interview: „Wo sollen »Kompromisse« sein, wenn Putin völkerrechtswidrig ein freies europäisches Land überfällt, Städte dem Erdboden gleichgemacht, Zivilisten ermordet werden und Vergewaltigung systematisch als Waffe gegen Frauen eingesetzt wird?“. Der Satiriker Jan Böhmermann twitterte: „Der Offene Brief an Olaf Scholz sendet das beruhigende Signal: Wenn Putin Deutschland mit Atomraketen angreift, wird sich der intellektuelle Schaden jedenfalls in Grenzen halten.“

Glauben Sie denn, dass Putin überhaupt so berechenbar handelt? Wenn es ihm nutzt, Deutschland zur Kriegspartei zu erklären – dann wird es ihm dafür womöglich  egal sein, wie viele und welche Waffen wir der Ukraine liefern?

Wir alle stecken nicht in Putins Kopf, wir alle wissen nicht, ob er verrückt ist. Aber wir müssen doch alles dafür tun, um die das Risiko einer atomaren Eskalation zu verhindern. Man kann gegen eine Atommacht keinen Krieg gewinnen. Das ist unmöglich, weil diese Karte immer noch im Ärmel von Putin steckt. Welches Ziel hat also dieser Krieg, welches Ziel haben die Waffenlieferungen? Denkt man wirklich, dass Putin irgendwann sagt: „Jetzt sehe ich ein, dass ihr viel stärker seid, ich ziehe mich dann mal komplett aus der Ukraine zurück“?

Wenn man sagt, die Russen sind sowieso unbesiegbar – bedeutet das nicht, dass man ihnen dann das Feld  kampflos überlässt?

Niemand spricht von „kampflos überlassen“. In dem Brief steht nur, dass wir jetzt an einem Punkt sind, wo man alle Kraft zu hundert Prozent in die Diplomatie stecken muss, weil die weitere Eskalation auf militärischem Feld ein extremes Risiko birgt.

Was wäre der Effekt davon, keine schweren Waffen zu liefern, wie es in dem Offenen Brief gefordert wird?

Die Russen haben hohe Verluste hinnehmen müssen und das Land ist extrem geschädigt worden durch die Sanktionen. Diesen Moment der Schwäche muss man nutzen, um zu einem Kompromiss zu kommen. Und ja, der Kompromiss würde dann wahrscheinlich unter anderem bedeuten, dass die Ukraine die Krim verliert.  Selbstverständlich geht es um Solidarität mit der Ukraine. Selbstverständlich geht es darum, diesen Krieg als völkerrechtswidrig zu verurteilen. Aber noch höher steht die Maxime, eine Eskalation dieses Krieges zu verhindern. Alles andere wäre ein Pokerspiel.

Wollen Sie die Ukraine in diesem Pokerspiel im Stich lassen?

Was soll das genau heißen? Es heißt immer, alle Ukrainer wollen kämpfen für ihr Land. Wir übernehmen vollkommen unkritisch die Rhetorik von Selenskyj. Aber glauben Sie wirklich, dass alle Frauen und Kinder, die sich zitternd in Kellern versteckt halten, lieber sterben als einen Kompromiss zu finden? Dass alle Männer, die gezwungen sind, in diesen Krieg zu ziehen, das aus voller Überzeugung tun? Wir dürfen uns vor allem nicht moralisch erpressen lassen. Wir sollen Waffen liefern und ansonsten die Klappe halten, weil das bevormundend ist? Wer etwas von mir fordert, der muss auch damit leben, dass ich über das ethisch Gebotene nachdenke und gegebenenfalls eine Forderung zurückweise.

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Sie drängen auf Verhandlungen. Die gab es ja schon, bislang allerdings ohne Erfolg.

Das geht ja schon seit Wochen nicht mehr ernsthaft voran. Jetzt fährt Herr Merz nach Kiew unter Lebensgefahr, um sich zu profilieren als der neue Kanzler. Da sieht man, wie viel Kalkül hier im Spiel ist. Wir müssen alles dafür tun, dass die, die wirklich einen Friedensschluss vereinbaren können, an den Verhandlungstisch zurückkehren. Der Krieg muss beendet werden, und zwar so schnell wie möglich.

Tragen wir als Deutsche eine besondere Verantwortung in diesem Krieg?

Es wäre sehr zu begrüßen, wenn Deutschland auch aufgrund seiner Geschichte eine Führungsrolle auf dem Weg zu einem Friedenschluss übernimmt. Wer aber meint, zu führen heißt, zu machen, was Selenskyj will, hat das Prinzip des Führens nicht verstanden. Wir müssen uns erinnern, wie der Erste Weltkrieg entstanden ist. Der ist schlafwandlerisch entstanden, durch Bündnistreue. Niemand wollte diesen Krieg, plötzlich war er da. Was also ist falsch daran, eindringlich vor einer solchen Dynamik zu warnen – zumal im Atomzeitalter?

Wie erklären Sie sich die scharfe Kritik an dem offenen Brief?

Ich habe nichts gegen scharfe Kritik. Ich habe auch nichts gegen Streit, zumal nicht in einer so komplexen, dilemmatischen Situation. Aber der Hass, der den Unterzeichnern vor allem in den sozialen Medien entgegenschlägt, offenbart einmal mehr, wie es um die Debattenkultur bestellt ist. Der Brief hat innerhalb kürzester Zeit 150000 Unterzeichner gefunden. Immerhin fast die Hälfte der Bevölkerung ist der Ansicht, dass die Lieferung schwerer Waffen problematisch ist. Unser Brief ist ein Türöffner für eine längst überfällige Diskussion. Schreihälse auf Twitter schlagen diese Tür mit einem lauten Knall wieder zu. Das sagt mehr über sie aus als über den Offenen Brief.

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