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Olympiabewerbung 2036Große Chance oder Geschichtsvergessenheit?

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Albiker

Arisches Olympionikentum: die Großplastiken „Diskuswerfer“ von Karl Albiker auf dem Berliner Olympia-Gelände

Köln – Olympische Spiele in NRW anno 2032 – angesichts der IOC-Präferenz für das australische Brisbane scheint bereits jetzt der Zeitpunkt gekommen, sich von diesem Traum zu verabschieden. Hat jemand noch einen Pfeil im Köcher? Ja, Ministerpräsident Armin Laschet, der eine deutsche, eine NRW-Bewerbung für 2036 ins Spiel bringt. Der „Charme“ dieser Idee: Solche Spiele stiegen exakt hundert Jahre nach einem Olympia, das ebenfalls in Deutschland stattfand: in Garmisch-Partenkirchen (Winterspiele) und Berlin – und zwar unter der Ägide von und der propagandistischen Prägung und Ausnutzung durch das NS-Regime, das sich damals bereits – allen erzwungenen Friedens- und Kooperationsbeteuerungen zum Trotz – auf Kriegskurs befand.

Für den Vorschlag wird Laschet gelobt und abgewatscht: Die einen begrüßen eine optimale Chance, der Welt vorzuführen, dass das Deutschland anno 2036 mit dem von 1936 nichts (mehr) zu tun hat. Allgemeiner gesprochen: Die Konstellation „hundert Jahre später“ biete, so ist zu hören, die Gelegenheit, den fundamentalen Kontrast zwischen Olympischen Spielen in einer Diktatur und in einer Demokratie herauszustellen. Diese – zweite deutsche – Demokratie sei ja schließlich nichts anderes als die lernende Konsequenz aus der Katastrophe.

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Die anderen hingegen tadeln, dass da eine ungeheuerliche Geschichtsvergessenheit am Werk sei, jemand offensichtlich nicht wisse, was es, deutschlandbezogen, mit der Jahreszahl 1936 auf sich habe. Nun sollte man freilich den Ministerpräsidenten nicht für dümmer halten, als er womöglich ist. Zumal Laschet selbst sehr wohl um den Kontext „1936“ weiß – er hat es auch so kommuniziert.

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Ein Schwarz/Weiß-Urteil fällt schwer

Gute Argumente lassen sich für beide Seiten beibringen, so dass ein Schwarz/Weiß-Urteil schwer fällt. Man mag sogar die Fixierung auf das Datum als einen fragwürdigen Fetischismus der Zahl abtun. Wären etwa Olympische Spiele im Jahre 2040 besser? Die deutsche Bilanz für 1940 ist noch beklemmender, damals ging der Zweite Weltkrieg in sein zweites Jahr. Indes wird sich die Symbolik der Jahreszahlen kaum wegschaffen lassen – sie hat mit unserem kollektiven Gedächtnis zu tun.

Wie nun also? In Abwägung aller Aspekte ist Laschets Vorschlag erwägenswert – unter einer Bedingung, deren Einlösung freilich unabdingbar ist: Was 1936 „der Fall war“, müsste in Gestalt eines historischen Programms mit Ausstellungen, Dokumentationen, Kolloquien, Diskussionen und anderen öffentlichen Veranstaltungen zentraler Bestandteil eines neuerlichen 36er Olympia in Deutschland sein. Der Unterschied zwischen 1936 und 2036 dürfte nicht einfach behauptet oder gar stillschweigend vorausgesetzt werden – das bräche Missverständnissen Bahn –, sondern müsste Gegenstand intensiver und breitenwirksamer Erörterung sein.

Vergewaltigung einer Idee

Dazu dürfte mit der Materie Vertrauten auf Anhieb bereits jetzt einiges einfallen. Die Spiele von 1936 zeigen in der Rückschau eine extreme Instrumentalisierung, ja Vergewaltigung der olympischen Idee im Machtinteresse eines Regimes, das mit ihr von Haus aus überhaupt nichts am Hut hatte.

Das war genauso unsäglich wie die willfährige Bereitschaft einer internationalen Öffentlichkeit einschließlich des IOC und maßgeblicher NOCs, sich von der verlogenen Performance der – ihre Organisationsfähigkeit freilich eindrucksvoll unter Beweis stellenden – Diktatur einlullen und besänftigen zu lassen. Wider den Protest jener, die es wussten und auch sagten: dass das nationalsozialistische Deutschland mitnichten das zur Schau gestellte Land der Gastfreundschaft, Weltoffenheit und Liberalität war, sondern bereits damals das einer gnadenlosen Unterdrückung, Ausgrenzung, Verfolgung.

Weiterbau am KZ Sachsenhausen

Während der Sommerspiele in Berlin vom 1. bis zum 16. August wurde unverdrossen am KZ Sachsenhausen vor den nördlichen Toren der Stadt weitergebaut, und der antisemitische „Stürmer“ verschwand nur taktisch, für die Dauer der Spiele, aus den Berliner Zeitungs-Stellkästen. Ins deutsche Olympia-Kader wurden – auch das ein infames Täuschungsmanöver – zwei Alibi-Juden aufgenommen. „Wenn die Spiele vorbei sind, werden wir rabiat“, notierte NS-Propagandaminister Goebbels in sein Tagebuch.

Tatsächlich hatten die Nazis zunächst versucht, den bereits 1931 erfolgten Zuschlag des IOC für die 1936er Spiele wieder loszuwerden. Der Gedanke eines friedlichen Wettstreits junger Sportler, bei dem Nationen- und „Rassen“-, Kultur- und Religionszugehörigkeit kein Kriterium für irgendetwas sein sollte, war ihnen zutiefst zuwider. Sport war für sie wesenhaft Wehrsport im Sinne einer Vorbereitung auf einen tödlichen Entscheidungskampf, in dem sich die Angehörigen der „wertvolleren Rasse“ durchsetzen würden.

Grandiose Chancen der Eigenwerbung

Indes erkannte das Regime nach der Machtübernahme schnell die grandiosen Möglichkeiten der Eigenwerbung, die Olympia bereithielt – inklusive der Nationenwertung beim Medaillenspiegel, wo Deutschland im Sommer schließlich mit 33 Goldmedaillen allen anderen beteiligten Ländern davonziehen sollte (USA: 24). Wie aber konnte die olympische Idee der ihr widerstrebenden NS-Ideologie kompatibel gemacht werden? Hier vollbrachte das Dritte Reich eine Anpassungsleistung, die genial genannt werden muss. Das Rassentheorem wurde nicht vollends eliminiert, bekam aber einen leichten „shift“ verpasst: Das Ideal des starken, kühnen, ausdauernden Olympioniken terminierte jetzt im Bild des typischen „Ariers“; es war die Körperfeier, in der olympische und faschistische Ideologeme zusammenkamen. In ähnlicher Weise schien in Architektur (das von Werner March entworfene Olympiastadion) und Skulptur (die heldischen Kämpfer Arno Brekers) der Brückenschlag zwischen der NS- Ästhetik und einer heroisch-monumentalistisch verstandenen griechischen Antike zu gelingen. Und mit Hakenkreuze formierenden Massenchoreografien sowie mit „Lichtdomen“, die mit Hilfe von Flakscheinwerfern (!) erstellt wurden, vollzog sich jene „Ästhetisierung der Politik“, die Walter Benjamin genuin dem Faschismus zurechnete. Direkter und genauer müsste man eigentlich von einer „Ästhetisierung des Krieges“ sprechen.

Ein warnendes Exempel

Als warnendes Exempel für die abstoßende politische Indienstnahme und damit Verfälschung einer ursprünglich „hehren“ Idee taugt „Olympia 1936“ allemal und vielleicht heute erst recht wieder. Wenn dieser „Lerneffekt“ angestrebt würde – auch im Sinne der Warnung vor einer wie auch immer gearteten „Repeat Performance“ –, wäre dem Projekt „Olympia 2036 in NRW“ etwas abzugewinnen.

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