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Opernpremiere im StaatenhausDie überfällige Ehrung eines Kölner Meisters

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Szene aus „Der Meister und Margarita“ in der Oper Köln 

Köln – Elf Jahre lang, von 1929 bis 1940, arbeitete Michail Bulgakow an seinem Hauptwerk, dem Roman „Der Meister und Margarita“. Kurz nach der Vollendung starb er in Moskau, durch anhaltende Schikanen der stalinistischen Kulturbürokratie in einen frühen Tod getrieben.

Vielleicht wäre er ohne sein vorzeitiges Ableben irgendwann dort gelandet, wo manch anderer missliebige Kollege endete: in der Psychiatrie. So ergeht es auch seiner Romanfigur, dem namenlos bleibenden „Meister“, der sich erdreistet hat, ein Buch über Pontius Pilatus zu schreiben. Darin tritt zwangsläufig Jesus Christus auf, an den brave Sowjetbürger natürlich ebenso wenig glauben wie an Gott und den Teufel.

Letzterer, in Gestalt des sinistren Magiers Voland, schickt sich daraufhin an, im Moskau der 30er Jahre schlagende Beweise für seine Existenz zu liefern. Bulgakow schildert das in einer Fülle bizarrer Episoden, die kunstvoll mit Szenen jenes verbotenen Pilatus-Romans verknüpft sind.

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Stückbrief

Musikalische Leitung: André de Ridder

Inszenierung: Valentin Schwarz

Bühne: Andrea Cozzi

Kostüme: Andy Besuch

Mit: Nikolay Borchev, Adriana Bastidas-Gamboa, Bjarni Thor Kristinsson, Matthias Hoffmann, John Heuzenroeder, Dalia Schaechter, Oliver Zwarg, Martin Koch, Lucas Singer, Ján Rusko, Dustin Drosdziok, Judith Thielsen, Oscar Musinowski, Mine Yücel, Artjom Korotkov, Michael Terada, David Howes, Julian Schulzki, Sung Jun Cho, Guido Sterzl

Orchester: Gürzenich-Orchester Köln

Termine: 8., 10., 12., 17. April, Staatenhaus, Saal 1

Die effektvolle Verbindung von Mythos und Groteske prägt auch York Höllers Vertonung des epochalen Buches, zu der er selbst das Libretto schrieb. „Der Meister und Margarita“ stand in Köln bereits 1991 auf dem Spielplan, kurz nach der Pariser Uraufführung. Der 1944 geborene Komponist und Kölner Hochschullehrer studierte bei Bernd Alois Zimmermann - und wie dessen „Soldaten“ nach einem halben Jahrhundert auf die Kölner Opernbühne zurückkehrten, wurde nun auch dem monumentalen Werk seines Schülers eine Neuproduktion zuteil.

„Musiktheater“ heißt das personenreiche und fast drei Stunden dauernde Stück im Untertitel; aber eigentlich hatte Höller keinen Grund, der konventionellen Gattungsbezeichnung „Oper“ auszuweichen. Es gibt hier große, arios geformte Soloszenen, breit ausgeführte Ensembles, sogar ein Ballett. Die Handlung läuft zwar auf unterschiedlichen Zeitschienen ab, folgt aber durchweg einer linearen Erzähldramaturgie. Dazu kommt Höllers Musik, die bei aller konstruktiven Strenge ausgesprochen zugänglich, imaginativ, ja illustrativ ist - im Grunde steht „Der Meister und Margarita“ Gounods „Faust“ und Verdis „Don Carlo“ näher als dem avantgardistischen Musiktheater Kagels oder Stockhausens.

Als nächstes inszeniert Valentin Schwarz den Bayreuther „Ring“

In der Kölner Neuproduktion ergeht es dem gut 30 Jahre alten Werk denn auch ähnlich wie den Klassikern des Opernkanons, die  unter das Seziermesser des Regietheaters geraten: Valentin Schwarz, der designierte „Ring“-Regisseur des kommenden Bayreuther Festspielsommers, hat dem Stück eine eigene Konzeption aufgesetzt, in der weder das biblische Judäa noch das stalinistische Moskau eine erkennbare Rolle spielen.

Andrea Cozzis Bühne, drehbar, leer und von Lichtern gesäumt, erinnert an ein Varieté-Podium, das im Laufe des Abends immer wieder neu und mit perfektem Timing umdekoriert wird. Zum Verhör Jesu Christi (der hier Jeschua heißt) fahren zwei stilisierte Kölner Domtürme und ein Gerhard-Richter-Fenster herein, das den Prokurator Pontius Pilatus in einen starren Ornat hüllt. Soll die berühmte Szene um Macht und Schuld hier vielleicht etwas über gegenwärtige Kölner Kirchenverhältnisse aussagen?

Kunstgrößen mit frei baumelndem Geschlechtsteil

Man lässt den Gedanken schnell fallen; die Regie entzieht sich jeder politischen oder moralischen Stellungnahme. Valentin Schwarz möchte lieber spielen, und das tut er phantasievoll, temporeich und virtuos. Die Literaten des Moskauer Schriftstellerhauses bilden eine Puppengarde aus internationalen Kunstgrößen von Albrecht Dürer bis Jonathan Meese, die der Kostümbildner Andy Besuch allesamt mit frei baumelndem Geschlechtsteil ausgestattet hat. Die Schulbank drückt eine jugendliche Statisterie, die geradewegs der Monster AG entlaufen scheint.

Voland und sein Gefolge sind eine Truppe gesichtsloser, deformierter und schwarz verhüllter Gestalten: eindrucksvoll anzuschauen, aber sicher nicht im Sinne einer individuellen Charakterzeichnung. Bei aller Bildkraft, die Valentin Schwarz’ Inszenierung entfaltet - mit manchen Forderungen des Stückes macht er es sich doch ein bisschen zu leicht. Beim „Satansball“ im zweiten Akt etwa sieht man nur eine leere Bühne, während sich Orchester und Zuspielband zu einer überwältigenden Klangorgie aufschwingen - reich bestückt mit Zitaten von Berlioz’ „Symphonie fantastique“ bis zu „Sympathy for the Devil“ der Rolling Stones.

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Viel mitfühlende Sorgfalt und Differenzierung widmet der Regisseur den Hauptrollen, die er deutlich von ihrer satirisch überzeichneten Umgebung abhebt - inklusive Erlösung in der Virtual Reality. Den Meister, der mit der Figur des Jeschua gedoppelt ist, zeichnet Nikolay Borchev eher als vergrübelten Skeptiker denn als leidensbereiten Schmerzensmann; die Rolle seiner aufopferungsvollen Geliebten Margarita singt und spielt Adriana Bastidas-Gamboa mit flammender, hingebungsvoller Intensität. Auch wenn er fast seine gesamte Partie im schwarzen Sack singen muss, entfaltet Bjarni Thor Kristinsson als Magier Voland eine dämonische Bass-Autorität.

Imponierend ist die Leistung des gesamten Kölner Opernensembles, das mit makelloser Textverständlichkeit, vitalem sängerischem Schwung und hoher Spielenergie  für einen spannenden Theaterabend sorgt. Besonders hervorzuheben sind hier die mit umfangreichen Doppelrollen betrauten Sänger Oliver Zwarg, Martin Koch und Lucas Singer, ebenso der Schauspieler Oscar Musinowski.

Das Gürzenich-Orchester ist - sicher notgedrungen - rechts der Bühne postiert, wodurch sich eine wenig vorteilhafte akustische Verschiebung gegenüber der Tonband-Zuspielung ergibt. Gleichwohl macht die musizierende Hundertschaft ihre Sache ganz ausgezeichnet: Unter der umsichtigen Leitung von André de Ridder glitzert und lodert Höllers hinreißende Musik in jedem Takt. Das Publikum schloss den anwesenden „Meister“ am Ende des langen Abends denn auch vernehmlich in seinen Jubel ein.

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