Poetica 4Speed Dating mit Versen

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Gäste in der ersten Reihe: Ernst Osterkamp, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Jan Wagner, Teju Cole, Pianistin Aki Takase, Anneke Brassinga und Kim Hyesoon (von rechts nach links).

Gäste in der ersten Reihe: Ernst Osterkamp, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Jan Wagner, Teju Cole, Pianistin Aki Takase, Anneke Brassinga und Kim Hyesoon (von rechts nach links).

  • Eröffnung des Kölner Festivals für Weltliteratur mit elf Autoren

Wasser, wohin man schaut! Pazifik da und Atlantik dort, mal Rhein und mal Ruhr, dann die Nordsee und überdies der Michigan-See. Lyrikerin Yoko Tawada, die die vierte Ausgabe der Kölner Poetica kuratiert, hat zum Auftakt in der Aula der Universität aufgezählt, von welchen Küsten und Ufern die Autoren zu diesem "Festival der Weltliteratur" angereist sind. Und was ist mit uns Zuhörern? "Wir sind ausgeliefert im Weltmeer der Sprache." Jedes Wort, das wir hören, verändere uns. Stechen wir also mal in See!

Tawada hat eine herrliche internationale Schar einladen können - mit einer Extra-Dosis Asien. Mit wem wir da die Ehre haben, wurde im Schnelldurchlauf bekanntgemacht: Ein Speed Dating mit Versen und Dialogen. Die Vorstellung begann jeweils mit Angaben zur Biographie, einer Lesung, bei Bedarf auch einer Übersetzung und obendrein gab es noch zwei, drei Fragen. Dabei erwies sich Yoko Tawada als Moderatorin mit Charme und Witz. Keiner der zehn Gäste schien pikiert darüber zu sein, nach nur minimaler Auskunft wieder Platz nehmen zu müssen. Aber es ist ja auch so - im Laufe der Kölner Woche kommen alle noch einmal ausführlicher zu Wort.

-> Monique Truong, in Saigon geboren und in den USA aufgewachsen, las eine Passage aus ihrem Roman über den vietnamesischen Koch im Haus von Gertrude Stein. Das veranlasste Tawada zu der Feststellung, dass Hinweise aufs Essen in der asiatischen Literatur von großer Bedeutung seien - "aber in der deutschen Literatur überhaupt nicht." Truong schlug in dieselbe Kerbe und sagte, wie wichtig solche Speise-Szenen seien, um einen intimen Einblick in fremde Seelen zu gewinnen.

-> Morten Sondergaard aus Dänemark hingegen, sagte Yoko Tawada, widme sich in seiner Larik nicht selten dem Schlaf. So jedenfalls in dem Gedicht "Bienen sterben im Schlaf". Was da behauptet werde, also dass die Tiere im Schlaf sterben, stimme übrigens nicht, sagte Sondergaard: "Doch wenn man das als Lyriker nur stark genug behauptet, wird es wahr." Dann trug der Däne noch ein Gedicht auf deutsch vor und bekannte, als er an der entsprechenden Stelle zweimal ansetzen musste, dass "Hubschrauber" seine deutsche Lieblingsvokabel sei.

-> Barbara Köhler, in der DDR aufgewachsen und in Duisburg zu Hause, gab einen Mini-Einblick in ihre Schreibwerkstatt. Sie setze ihre Gedichte in Blocksatz, so dass alle Zeilen dieselbe Zeichenzahl haben müssen. So empfinde sie am Beginn jeder Zeile die Freiheit, sich auf alles Mögliche einzulassen, aber müsse gegen Ende zusehen, dass sie noch rechtzeitig die Kurve bekomme: Vom Ende der Zeile entwickele sich eine Gegenbewegung zur Freiheit.

-> Jeffrey Angles aus Ohio ist ein Wanderer zwischen den Sprachwelten. Als er, der Japanisch studiert und in Japan gelebt hat, anfing, auf Japanisch zu träumen, hat er dies als Zeichen genommen, auf Japanisch auch zu dichten. Das ist ihm nachweislich geglückt: Im vergangenen Jahr wurde ihm in Tokio der Yomiuri-Literaturpreis zuerkannt, der mit dem Pulitzer-Preis in den USA vergleichbar sein soll.

-> Bei Dao stammt aus Peking und lehrt heute an der Universität von Hongkong. Dort hat er selbst ein Lyrik-Festival auf die Beine gestellt. Welche politische Bedeutung die Poesie in China habe, wollte Tawada von ihm wissen. Bei Dao beließ es bei dem Hinweis, dass das Politische im Poetischen ein kompliziertes Thema sei - besonders in China.

-> Hiromi Ito aus Japan hat sehr viele Bücher veröffentlicht, sagte Tawada, "von denen ich aber nur 15 besitze". Itos Auftritt mit Nicola Gründel vom Schauspiel Köln war ein munteres japanisch-amerikanisches Sprach- und Beziehungsduell. Anschließend versicherte Ito, sie habe die englische Sprache gehasst, als sie nach Kalifornien gezogen sei. Ob sie die Sprache mittlerweile liebe? Die Antwort kam mit großem Nachdruck: "No!"

-> Teju Cole (den wir schon in unserer gestrigen Ausgabe ein wenig vorgestellt haben) las aus seinem neuesten Buch "Blind Spot" und folgte dann der überraschenden Aufforderung, sich zwei Minuten lang entweder über Beethoven oder Mahler zu äußern. Er entschied sich nach kurzer Verblüffung für den Bonner Meister. Denn: "Beethoven ist so sehr ein Synonym für einen Komponisten, dass man über ihn nichts mehr sagen kann - was aber gerade deshalb dazu reizt, über ihn zu reden." Mehr musste er aber nicht sagen. Denn weiter ging's!

-> Anneke Brassinga aus den Niederlanden unternahm eine Exkursion in die Welt des Übersetzens. Dort ist sie selbst tätig, zuletzt noch mit der Übertragung von Texten Samuel Becketts. Das keine Übersetzung der anderen gleiche, also das Original in vielen Variationen weiterblühe, sieht sie als Gewinn an.

-> Kim Hyesoon gilt als eine der wichtigsten Stimmen Südkoreas und hat - so sagt es Tawada - "den Geist des Nichteinverstandenseins nie verloren". Sie selbst versicherte, in Korea als "Frauendichterin" bekannt zu sein. Das rühre daher, dass sie in ihren Texten auf die Frauenfeindlichkeit reagiere, die es eben auch in ihrer Heimat gebe.

-> Jan Wagner setzte den Schlusspunkt in diesem Vorstellungsreigen. Der Büchnerpreisträger, zuletzt im November in Köln zu Gast, sprach in aller Kürze davon, dass es auch beim Dichten aufs Handwerk ankomme. Dass dann aber immer wieder auch der glückliche Zustand zu erleben sei, "in dem man sich selbst vergisst".

Die Start-Präsentation blieb notgedrungen an der Wasseroberfläche. Aber erfrischend, stimulierend, neugierig machend war sie gleichwohl. Sie wurde am Flügel umspielt von der virtuos auftrumpfenden Pianistin Aki Takase. Weitere Unterstützung kam von den Schauspielern Nicola Gründel, Yuri Englert und Philipp Plessmann. Grußworte gab es schließlich noch von jenen, die mit ihren Kräften, aber zumal denen ihrer jeweiligen Institution die Poetica stemmen: Uni-Rektor Axel Freimuth, Günter Blamberger vom Kolleg Morphomata und Ernst Osterkamp von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Sie alle betonten, dass gerade jetzt, da Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit alltäglich seien, der Austausch so wichtig sei - das Nachdenken über Identitäten und die Kunst der Verwandlung.

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