Kölner gewinnt EmmyWarum Uli Hanisch Las Vegas in Berlin nachbaute

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Das glamouröse Mariposa-Hotel in Las Vegas wurde für „Das Damengambit“ im Palais am Funkturm in Berlin eingerichtet.

Köln – Es ist verrückt: Überall auf der Welt werden Filmpreise verliehen, keine aber finden so viel Aufmerksamkeit wie die „Oscars“. Auch hierzulande fiebert man mit, gerne auch bei Filmen mit deutscher Beteiligung, selbst wenn man deren Titel zuvor noch nie gehört hat.

Wie ungerecht das ist, wird deutlich, wenn ein virtuoser Filmkünstler wie Uli Hanisch ebenfalls einen international bedeutsamen Branchenpreis erhält, dies aber kaum jemand zur Kenntnis nimmt. Auch in Köln nicht, wo Hanisch über 20 Jahre gelebt hat und eine Professur an der ifs internationale filmschule köln bekleidet.

Solche Achtlosigkeit mag daran liegen, dass Uli Hanisch kein glamouröser Schauspieler oder Star-Regisseur ist: Er ist Szenenbildner, und zwar einer der renommiertesten seiner Zunft. Im Frühjahr wurde er von der amerikanischen Art Directors Guild als bester Production Designer ausgezeichnet, und zwar für die Erfolgsserie „Das Damengambit“. Und nun hat er sogar einen Emmy, den Oscar der Fernseh-Branche, gewonnen.

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Die auch mit einem „Golden Globe“ bedachte Miniserie erzählt vom Aufstieg der fiktiven US-Schachmeisterin Beth Harmon in den 1960er-Jahren. Dabei trägt nicht nur die grandiose Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy die dramatischen Ereignisse: Wenn die labile und traumatisierte Beth von Turnier zu Turnier eilt und sich allmählich die Welt erobert, ist es vor allem die meisterhafte Filmausstattung, die ihre komplexe Art der Weltwahrnehmung versinnbildlicht.

Noch der kleinste Raum steckt voller schillernder Details. Grellbunte Stoffe, wild gemusterte Tapeten, Möbel und Leuchten sind nicht vom Inhalt zu trennen, erzählen vielmehr auf eigene Weise psychologisch und dramatisch exakt konturierte Geschichten.

„Von den ersten Gesprächen an sprach Regisseur Scott Frank davon, dass wir eine stark übertriebene, stilisierte, fast fantastisch anmutende Version der 1960er-Jahre machen wollten“, erinnert sich Hanisch. „Das war bei „Babylon Berlin“ ganz ähnlich. Es ist das Verrückte an Serien, dass man so kraftvoll auf die Tube drücken kann und dabei in einer ganz anderen Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird als bei allen Filmen zuvor.“

Kulissen für „Stauffenberg“ und „Das Parfum“

Uli Hanisch (geb. 1967) schuf Szenenbilder für Filme wie „Das Wunder von Bern“, „Stauffenberg“, „Das Parfum“, „The International“ und „Cloud Atlas“, vor allem mit Tom Tykwer verbindet ihn eine lange Zusammenarbeit. Für die Serie „Berlin Babylon“ baute er in Babelsberg ein ganzes Stadtviertel mit realer Architektur als permanente Außenkulisse, wo derzeit auch die vierte Staffel gedreht wird.

„Wir sind beim 35. Drehtag, haben noch knapp 100 vor uns. Die Arbeitsbedingungen haben sich stark verändert, eine eigene Covid-Abteilung kümmert sich um Schnelltests, PCR-Tests, Temperaturmessen und das alles. Das gesamte Team wird in einem sehr dichten Rhythmus getestet, was gut funktioniert.“ An der Arbeitsatmosphäre habe sich dabei kaum etwas geändert.

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Wobei es für Hanisch spannend wäre, über Corona einmal aus Sicht des Szenenbildners nachzudenken: „Natürlich kann man Abstand und Isolation, Trennung und Krankheit visuell darstellen, das sind dramatische Zustände, die man einer Situation, einem Raum hinzufügen kann. Ich könnte die Schauspieler für einen Dialog an einem zwölf Meter langen Tisch weit voneinander entfernt platzieren, das hätte eine große Wirkung. Es geht immer zuerst um eine inhaltliche Idee, aus der sich Gestaltung und Form entwickeln.“

Fast alle spektakulären Schauplätze für „Das Damengambit“ entstanden in Berlin: Das glamouröse Mariposa-Hotel in Las Vegas wurde im Palais am Funkturm eingerichtet, das Aztec Palace Hotel in Mexiko City im Friedrichstadt-Palast, das suggestiv ausgeleuchtete Schach-Finale in Moskau im Bärensaal des Alten Stadthauses. „Wir haben einige Moskau-Szenen an der Karl-Marx-Allee gedreht, als Momentaufnahmen, die digital ergänzt wurden. Das Las Vegas im Jahr 1966 ist zunächst beinahe komplett virtuell, es beginnt mit einem digitalen Drohnenflug über die Stadt, die Kamera schwebt tiefer und erwischt Beth zehn Meter vor dem dann real vorhandenen Gebäude. Das ganze Areal am Palais am Funkturm verschlägt einem den Atem, auch innen ist das Gebäude spektakulär.

Bling-Bling-Welt für „Das Damengambit“

Der Spaß bestand nun zu überlegen: Wie stellen wir uns hier „unser„ Las Vegas vor? Ein Schachturnier in dieser Bling-Bling-Welt musste entsprechend groß aufgezogen werden, allein die riesige Hotel-Lobby war nur dafür gut, einmal durchschritten zu werden. Das ist maximale Angeberei, um klarzumachen, dass die Welt für Beth größer wird und sie anfängt, daran Spaß zu haben. Und den hatten wir mit ihr! Wenn eine Serie an solchen Stellen nicht groß auftrumpft, muss man sie gar nicht erst machen. Die Freude an der Kunst liegt halt oft im Verschwenderischen. Jeder Barock-Palast ist übertrieben, doch wenn er es nicht wäre, würde er keine Freude auslösen.“

Freude und Übertreibung also als konstituierende Elemente der Gestaltungskunst. Wobei es faszinierend ist zu erleben, wie perfekt analoges Handwerk und filmische Illusion ineinandergreifen. So ziehen sich durch  mehrere Szenen im Innern von Flugzeugen, die Beth um die halbe Welt bringen.

Fundstücke vom Flugzeugfriedhof

Hanisch: „In einem Flugzeug-Innenraum zu drehen, ist immer lästig, erst recht, wenn die Szenen in historischen Flugzeugen spielen. Man baut so genannte Mockups, weiß aber schon, dass man so einen Raum nicht neu erfinden kann. Es braucht die echten, modularen Wandelemente, Bullaugenfenster und die Sitze. In Holland gibt es einen Flugzeugfriedhof, da haben wir uns die Fenster- und Deckenmodule leihen können. Sie wurden vor Ort ausgebaut, nach Berlin geschafft und dort in einem Studiobau wieder zusammengefügt. Für die verschiedenen Flüge haben wir unterschiedliche Sesselbezüge nähen lassen und überlegt, welcher Stoff für die Aeroflot-Airline passt, welcher für Pan Am nach Paris usw. Das war eine Choreografie aus Stoffbezügen und Sitzanordnungen.“

Wie aber vermittelt und lehrt man solche Kunst, die den Zuschauer an einen Raum schlicht „glauben“ lässt? „Eigentlich ist es einfach“, meint Hanisch. „Das Zentrum meiner Lehre an der ifs ist, immer darauf hinzuweisen, dass es zunächst nicht um Gestaltung geht, sondern immer um Inhalte. Es ist nicht so, dass einen aus dem Nichts die Inspiration überkommt. Man muss der Motivation einer Geschichte folge und ihre Aussage visuell unterstützen. Daraus entwickeln sich dann Gestaltung und Umsetzung.“

Womöglich ist es tatsächlich so einfach, und doch bleibt eine ordentliche Portion Bewunderung und Staunen: Uli Hanisch schafft ganze Welten, allein aus der puren Freude an der Übertreibung.

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