Premiere am RudolfplatzSo lustig ist die kölsche Doppelmoral im „Automatenbüffet“

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Nele Sommer und Gerd Köster 

Köln – Als wär’s ein Stück vom Paradies: Herr Adam wollte eigentlich nur ein wenig im trüben Weiher fischen – Marc Fischer balanciert vom Balkon eine lange Angelrute über den Köpfen der Zuschauer im Parkett – da zappelt eine Eva am Köder.

Doch die Wasserleiche in spe will weder verhuschte Ophelia sein, noch als mysteriöse Projektionsfläche herhalten wie in Horvaths „Die Unbekannte aus der Seine“. Das Fräulein Eva denkt gar nicht daran, sich für die Rettung vom Freitod zu bedanken.

Aber dann verspricht Adam, Vorname Leopold, ihr einen Neustart ins Leben. Er besitzt ein hochmodernes Automatenbüffet im Städtchen Seebrück. Brötchen, Bier, sogar Musik – und alles auf Knopfdruck zu Groschenpreisen. Genau genommen gehört das Restaurant seiner Frau, aber die Gerettete kann dort vorläufig Unterschlupf finden. Einen warmen Ofen gibt es auch.

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Jüdische Autorin im letzten Jahr der Weimarer Republik

Die jüdische Autorin Anna Gmeyner hat ihre satirische Komödie „Automatenbüffet“ im letzten Jahr der Weimarer Republik geschrieben. Am 30. Januar 1933 arbeitete sie gerade in Paris am Drehbuch für G.W. Pabsts Film „Du haut un bas“; sie kehrte nicht mehr nach Deutschland und auch nicht an ihren Geburtsort Wien zurück. Ihr letztes Stück wurde ein Bühnenerfolg, wenn auch nur ein kurzlebiger. Die Nationalsozialisten beendeten Gmeyners Theaterkarriere abrupt.

Die Wiederentdeckung des Textes kam spät, mit Barbara Freys gefeierter Inszenierung am Wiener Burgtheater vor anderthalb Jahren. Die Regisseurin Susanne Schmelcher hat im „Automatenbüffet“ nun den idealen Stoff zum hundertjährigen Jubiläum des Vereins Freie Volksbühne Köln gefunden: leicht zugängliches, genussfreudiges Volkstheater, dessen schneidender Blick auf die Gesellschaft auch nach 90 Jahren noch nicht stumpf geworden ist.

Eine ausgehöhlte Gesellschaft

Schmelcher ist in Köln zuletzt mit Inszenierungen von „Kleiner Mann – Was nun?“ und Doğan Akhanlıs „Madonnas letzter Traum“ positiv aufgefallen, beide im Theater im Bauturm. Die gegenüberliegende Volksbühne am Rudolfplatz, das ehemalige Millowitsch-Theater, hat allerdings ganz andere Dimensionen.

Doch Schmelcher zeigt sich dem Raum mehr als gewachsen, obwohl es anfangs so scheint, als würde Christina Kirks Café-Kubus mit seinen weißen Streben die Bühne unnötig verkleinern. Er tut es nicht, stattdessen verdeutlicht er noch Gmeyners Kleinstadtmodell einer ausgehöhlten Gesellschaft.

Honoratioren hängen an alten Pfründen

In der klammert sich jeder umso fester an seinen Platz, und sei es die Bank im Park, desto hoffnungsloser die Zukunft erscheint. Gefragt (und gefürchtet) sind Ideen. Leopold Adam hat eine solche: Er will die stehenden Gewässer der Gemeinde zu Zuchtteichen optimieren: Süßwasserfische für ganz Deutschland, Vollbeschäftigung vor Ort.

Aber die Honoratioren hängen an ihren alten Pfründen. Der Oberförster verdient mit Anglerlizenzen, der Stadtrat scheut die Ausgaben, der künftige Schwiegersohn des Apothekers ist Metzger – was, wenn künftig niemand mehr Fleisch isst?

Adam ist eher Idealist als Geschäftsmann, aber doch findig genug, die junge Eva, nach der sich sämtliche Augen im Restaurant richten, als Köder einzusetzen. Die Lustspiel-Verwicklungen, die sich bald ergeben, kann man sich leicht zusammenreimen. Interessanter ist, wie Anna Gmeyner die klassischen Komödienrollen unterhöhlt: Der junge Liebhaber Pankraz (Jonathan Schimmer) entpuppt sich als durchtriebener Kostgänger, in der geizig-bürstigen Wirtin (Nicole Kersten) schlummert eine unbefriedigte Frau, der schwärmerische Lokaljournalist würzt seine Artikel mit einem Schuss Antisemitismus, etc. 

Die hochkomische Susanne Pätzold

Letzteren spielt Daniel Breitfelder. Zusammen mit der hochkomischen Susanne Pätzold verkörpert er die gesamte Riege städtischer Standespersonen, mit Bärten, Bäuchen, Dialekten und Sprachfehlern, virtuos und mit Gusto im abenteuerlich-fliegenden Wechsel: Die Nebenrollen sind das Hauptvergnügen.

Geraden Rücken zeigt einzig Gerd Köster als Parkbankpenner Puttgam, er hat nichts mehr zu verlieren. Kösters gemeinsam mit Frank Hocker verfasste, hier mit  Buddy Sacher gespielte kölsche Krätzje bilden  den kommentierenden Chor zur laufenden Handlung und Schmelcher hat sie wunderbar organisch in diese integriert. Die Hommage an den kölschen Geist des Ortes ist eine vergiftete: Seebrück, das könnte Köln sein, es gibt dort sogar einen Karnevalsumzug.

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Am Ende bückt sich auch der aufrechte Puttgam nach dem auf den Boden geworfenen Wurstzipfel, „Wurst ist Wurst“ verkürzt er das Brecht’sche „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Gmeyner lässt keinen ihrer Charaktere ungeschoren, sie gibt mehr als einen Hinweis darauf, dass die großen Ideen des grundanständigen Adams vielleicht sogar das gefährlichste  Element im sozialen Gefüge Seebrücks sind. Diese Menschen suchen händeringend nach einem Führer.

Einzig ihre Eva behält bis zuletzt Oberwasser. Und rettet schließlich ihren Retter aus dem Weiher. Nur wozu, dass wissen sie beide nicht so recht. Starkes Stück, starke Aufführung, bittere Moral.

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