Premiere am Schauspiel Köln„Shades of Grey“, aber diesmal mit verteilten Rollen

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Szene aus Martin Crimps „Wenn wir einander ausreichend gequält haben“  

Köln – Eine Dienerin, 15 Jahre alt, mittellos doch wunderschön, wird von ihrem adligen Herrn begehrt. Vergeblich versucht er, sie erst zu verführen, dann zu vergewaltigen. Schließlich entführt er sie auf seinen Landsitz, setzt ihr dort mit Geldofferten zu. Die Begehrte bleibt standhaft. Bis die Begehrte ihrem Meister endlich gesteht, dass sie ihn liebt – und er sie zur Belohnung ehelicht.

In den 1740er Jahren war Samuel Richardsons „Pamela oder die belohnte Tugend“ ein echter Publikumsreißer, ein Lob der Keuschheit zur sexuellen Erregung seiner Leser. Das „Fifty Shades of Grey“ seiner Zeit. Zudem einer der ersten englischen Roman überhaupt, und deshalb bis heute Cringe-Pflichtlektüre im Anglistikstudium.

Wobei sich „Pamela“ durchaus gegen den Strich als feministischer Klassiker lesen lässt: Die gequälte Dienerin erzählt ihr Leid in Briefen und Tagebucheinträgen und erweist sich als Protagonistin von gedanklicher und emotionaler Tiefe. Diese Lesart hat der britische Dramatiker Martin Crimp in seinen „Pamela“-Variationen „Wenn wir einander ausreichend gequält haben“ zeitgenössischer Gender-Theorie angepasst: Das Machtgefälle wird hier zum Sadomaso-Spiel mit wechselnden Rollen. Noch immer ist es tendenziell der Mann, der quält und die Frau, die gequält wird.

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Cate Blanchett war die Sensation in London

Nur wer hier die Rolle von Mann oder Frau übernimmt, ist Verhandlungssache. Die Uraufführung am Londoner National Theater im Januar 2019 wurde in der Presse als Sensation gehandelt, allerdings nicht wegen des Stückes, sondern wegen ihrer Besetzung mit Cate Blanchett.

Vielleicht hat es deshalb fast vier Jahre bis zur deutschsprachigen Erstaufführung gedauert, oder Covid war mal wieder schuld. Jetzt hat Chefdramaturg Thomas Jonigk das Stück am Schauspiel Köln inszeniert, überfälligerweise: Es mag ein wenig Schlagseite haben  – weil er als alter, weißer Mann unter Generalverdacht steht, hat Crimp die männliche Rolle zu schwach angelegt, der Herr und Meister ist hier eine ziemlich arme Wurst. Aber interessant, ja faszinierend ist der Text allemal. Und eine dankbare Spielvorlage.

Stückbrief

Regie: Thomas Jonigk

Bühne: Lisa Dässle

Kostüme: Esther Geremus

Choreografie: Teresa Rotemberg

Musik: Mathis Nitschke

Licht: Michael Gööck

Dramaturgie: Sibylle Dudek

Mit: Ines Marie Westernströer, Jörg Ratjen, Marek Harloff, Lisa Birnkott, Ramona Petry

Termine: 24., 27. November, 10., 21. Dezember, Depot 2, 95 Minuten, keine Pause

Im Depot 2 wetzen Ines Marie Westernströer und Jörg Ratjen die Klingen im Geschlechterkampf, der Landsitz ist die Terrasse eines modernistischen Bungalows, im Carport steht ein Audi, ebenso weiß wie das Anwesen. Es kann nicht allzu schwer sein, von hier zu fliehen, sich der Unterdrückung zu entziehen. Aber es ist ja alles nur ein elaboriertes Spiel: „Ich heiße nicht Pamela“, versichert   Westernströer gleich zu Anfang, nicht willens Ratjens Dominanzwünsche zu erfüllen.

Die Macht liegt hier eindeutig auf der Seite der Gequälten. Nur: warum übernimmt sie dann überhaupt noch diese Rolle? Ines Marie Westernströer spielt sie mit ruhiger, manchmal giftiger Autorität, Jörg Ratjen windet sich in seinen Männerfantasien wie ein Wurm. Es ist eine Lust, den beiden bei ihren Wortduellen zuzuschauen und das Publikum lacht ob Martin Crimps mal schneidender, mal brutal stumpfer Dialoge mehrmals vor Vergnügen auf.

Du bist dick, weil du arm bist

Verkompliziert wird das Machtgefüge von der – ebenfalls aus Richardsons Briefroman entliehenen – Haushälterin Mrs. Jewkes, die Pamela (oder Nicht-Pamela) gleichfalls heiß begehrt. Freilich ohne jede Chance. Sie sei eben dick, weil sie arm sei, wirft ihr Ratjens Herr klassenbewusst an den Kopf. Bei Crimp redet niemand lange um den heißen Brei herum. 

Thomas Jonigk hat diese Mrs. Jewkes freilich mit einem dünnen Mann besetzt und Marek Harloff scheint hier weniger die intrigante Haushälterin zu spielen, als jemanden, der ein abseitiges Vergnügen darin findet, diese Rolle auszufüllen.  Manchmal kommentiert Harloff auch die Richardson-Handlung mit zur Ukulele geflöteten Unschuld-Bekundungen aus der  Sicht von Pamela, als wäre dies der Gipfel der Perversion.

Und wer sind nur die beiden von Lisa Birnkott und Ramona Petry gespielten Gören, die immer wieder bewegungssynchron ins Bild platzen und alles irgendwie krass finden? Die Tochter des Hausherrn und deren Freundin? Oder bezahlte Prostituierte, die man eingekleidet hat, als wären sie einem Gemälde von Balthus entsprungen? Einmal glauben sie, Westernströers Gefangene daran erinnern zu müssen, dass es gar doch nicht sie selbst sei, die da spreche.

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Selbst wenn „Mann“ und „Frau“ nur Rollen ohne biologische Grundlagen sein sollten – es ist gar nicht so leicht, sich von ihnen zu emanzipieren. Einen jungen Konkurrenten namens Ross hat Jonigk aus dem Stück gestrichen, beziehungsweise lässt er seinen Text von Ratjen sprechen, der sich auf diese Weise selbst Anlass zur Eifersucht schafft. Das hätte man sich allerdings noch klarer gewünscht.

Am Ende lümmeln sich Westernströer und Ratjen in Alltagsklamotten auf dem Boden herum, streiten sich über die ungerechte Aufgabenverteilung, hier angesichts eines geplanten Picknicks, das er einfach nur schön und sie ganz schön viel Arbeit findet. Die eine oder die andere Seite dieses Dialoges wird wohl jede und jeder schon mal gesprochen haben. Allerdings übernimmt e den männlichen Part und er den weiblichen. So wird selbst der allergewöhnlichste Ehealltag zum verkorksten Vergnügen. Großer Jubel im Depot.

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