Problematische Straßen-Benennungen„Das ist kein Name, sondern nur noch Reklame“

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In Berlin wurde die Mohrenstraße durch Aufkleber zur Möhrenstraße – ein Zeichen des Protests.

In Berlin wurde die Mohrenstraße durch Aufkleber zur Möhrenstraße – ein Zeichen des Protests.

  • Dietz Bering war an der Uni Köln Professor und hat viel zu Straßennamen geforscht.
  • Der Sprachwissenschaftler ist dafür, dass historische Namen grundsätzlich erhalten bleiben sollten – hier erklärt er, warum.
  • Außerdem erklärt er, wie es zu Straßennamen kommt und was für Probleme es dabei geben kann – zum Beispiel, wenn Firmen Straßenbenennungen fordern.

Köln  – Herr Professor Bering, was macht die Besonderheit von Straßennamen aus?

Um sofort auf den Kern des Problems zu kommen: Die Straßennamen sind deshalb so heikel und schwierig, weil sie zwei großen Arealen angehören – dem kommunikativen Gedächtnis einerseits, das sich ungefähr über drei Generationen erstreckt und einem ohne eine besondere Anleitung durch das Leben selbst zuwächst; dagegen steht andererseits das kulturelle Gedächtnis, in dem die Schätze aufbewahrt sind, von denen die Gesellschaft überzeugt ist, dass sie als Erinnerungen am besten für alle Zeit erhalten bleiben.

Das kommunikative Gedächtnis brauche ich zum Beispiel deshalb, um mich in der Stadt zu orientieren?

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Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Es sorgt für Beheimatung. Es ist vollkommen unreflektiert, es ist zuständig für die kommunikative Verortung innerhalb eines Systems. Daher klammern sich die Menschen aus gutem Grund an diese Straßennamen. Ohne diese wären sie aufgeschmissen, und die emotionalen Bindungen wären gekappt.

Zur Person

Dietz Bering, geboren 1935, studierte in Münster und Berlin Germanistik und Geschichte. 1977 promovierte er an der FU Berlin, 1986 habilitierte er sich an der Uni Köln, wo er bis 2000 lehrte. Bekannt wurde er mit Büchern zum Intellektuellenbegriff und zur historischen Namensforschung. (ksta)

Straßennamen sind also in beiden Welten zu Hause?

Das Wesen des Straßennamens besteht darin, dass er im Zentrum des kommunikativen Gedächtnisses sitzt und gleichzeitig eine ideologische Komponente aufweist, weil das kulturelle Gedächtnis etwas ist, das von hoch spezialisierten und interessierten Zeitgenossen konkretisiert wird, in vielen Sitzungen, im Kulturausschuss der Bezirksvertretungen. Was hat ein solches Gewicht, dass es im ewigen Gedächtnis seinen Platz finden muss?, das fragen sich diese Experten. Das Gedächtnis blickt zurück, ist aber gleichzeitig wichtig, um einen Weg in die Zukunft zu zeigen.

Anders das kommunikative Gedächtnis: Ich weiß, wo die Sömmeringstraße liegt, mir kann es aber gleichgültig sein, wer Herr Sömmering war.

Vollkommen richtig. Hier kommt es zu einem Problem: Wie kann man Straßennamen überhaupt verteidigen, wenn man nicht dafür sorgt, dass man den darin festgeschriebenen kulturellen Inhalt auch tatsächlich erfahren kann? Deswegen plädiere ich schon lange für erklärende Tafeln unter den Straßennamen.

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Wie setzt sich die Gruppe derer zusammen, die über den Inhalt des kulturellen Gedächtnisses entscheiden?

In Köln ist eine wichtige Grundsatzentscheidung gefallen, als es 1975 zur großen Gebietsreform kam. Da gab es auf einmal Namen, die vier oder fünf Mal in Köln vorkamen. Natürlich die deutschen Heroen, aber auch Hermann Löns kam vier Mal vor. Ich erwähne Löns, um darauf hinzuweisen, dass es ganz selbstverständlich Straßen gibt, die nach ideologisch hochverdächtigen, falschen Ausrichtern der Gehirne benannt sind. Bis 1975 hat der Rat der Stadt sämtliche Straßennamen bestimmt, seit der Neuaufteilung steht dieses Recht den einzelnen Bezirken zu. Nur bei Namen und Orten von stadtübergreifender Bedeutung gibt es eine Ausnahme, was uns gleich zu einem ganz besonderen Fall führt, nämlich Heinrich Böll.

Ein Kölner, aber einer von weit über die Stadt hinausreichender Bedeutung.

Es kam 1985 zu einem unbegreiflichen Ringen: Die Hülchrather Straße war viel zu klein für den großen Böll; dann kam das Argument auf, dass eine solche Straße im Zentrum liegen müsse – zum Beispiel der Appellhofplatz. Man wollte den Platz also umbenennen, doch dann kam aus historischen Tiefen eine Kraft hervor, befördert vor allem durch die Juristen, die daran erinnerten, dass der rheinische Appellhof diejenige juristische Institution war, die gegen den preußischen Staatsrigorismus den kölsch-französischen Liberalismus hochhielt. Also gelang es nicht, den Platz nach dem einzigen Literaturnobelpreisträger, den Köln je hatte, zu benennen.

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Gibt es weitere Beispiele für Streit um Straßennamen?

Dasselbe geschah, als der Breslauer Platz nach dem Tod von Willy Brandt nach dem Politiker benannt werden sollte – da meldeten sich die Heimatverbände und beschwerten sich, dass ihnen nun dieser Anker genommen werden sollte.

Gibt es auch Firmen, die gerne möchten, dass eine Straße nach ihnen benannt wird?

Das ist ein ganz schlimmes Kapitel. Dem wurde in den 90er Jahren zum ersten Mal stattgegeben, als eine Straße nach Toyota benannt wurde. Dasselbe geschah mit der Colonia-Allee, nachdem der Rat beschlossen hat, man müsse die Firmen pflegen. Das Kuriose war, dass diese Allee in dem Moment ihre Existenzberechtigung eigentlich verlor, als die Colonia von der Axa abgelöst wurde. Hier droht, dass städtisches Bewusstsein entlang von Firmenwünschen geformt wird, so wie es auch im Fall der Stadien passierte. Zunächst trugen die Stadien Ortsnamen, gemischt mit Namen berühmter Fußballspieler – mittlerweile gibt es kein einziges Stadion, in dem nicht die Firmen dominieren.

Welche Folgen hat das?

Man kann diese Namen eigentlich nicht mehr als Namen bezeichnen, denn zum Namen gehört, dass er für alle Zeit vergeben wird. Bei den Fußballstadien aber werden die Namen nur für eine bestimmte Zeit vergeben, so dass der Name seiner Kraft, einen gewissen Ewigkeitswert herzustellen, entledigt wird und er nur noch ein Etikett darstellt. Eine Reklame.

Was erzählen Straßen über die Stadt? In Tel Aviv sind sie nach Zionisten benannt, in New York durchnummeriert.

Darin spiegelt sich ein wenig der amerikanische Geist. Und was Tel Aviv betrifft, so gäbe es ohne Zionisten kein Israel. Es gibt den sehr schönen Fall der Straßennamen von Vechta. Vergleicht man die mit Lingen, dann bemerkt man, dass die Einwohner der schönen Stadt Vechta ganz auf sich selbst konzentriert sind, während die in Lingen nach draußen blicken und schauen, was sie hereinholen könnten. In Vechta heißen die Straßen Alter Fladder oder Am Klapphaken, in Lingen Apollostraße, Rubensstraße, Röntgenstraße.

Wie sieht das für Köln aus?

Köln ist so groß, dass man das nicht mehr in einer Richtung festlegen oder ausdeuten könnte. Aber man kann das sehr gut für einzelne Zeitabschnitte bestimmen. Das Straßennamensystem ist ein Polysystem, in dem sehr verschiedene Kategorien vorkommen – monarchistische, militärische, religiöse. Es kommt darauf an, welche Präponderabilien plötzlich entscheidend sind: Bis 1900 herrschte ein Gleichgewicht zwischen einer preußischen Orientiertheit – also nach außen hin – und einer nach innen orientierten Perspektive, mit kölschen Heiligen etwa. Ab 1900 kommt dieses Gleichgewicht zwischen nationaler und städtischer Orientierung durcheinander zugunsten eines starken Zugs nach Preußen und in Richtung Militär.

Wie schlug sich das nieder?

Ein Ratsherr hat um 1905 geäußert, man habe viel zu wenige bedeutende Namen – aber doch einen guten Anknüpfungspunkt, denn auf dem Heumarkt stehe doch das schöne Reiterstandbild mit den darum gruppierten Figuren. Doch weder fiel die Wahl auf den Freiherrn von Stein noch auf die Humboldts.

Nun sind Namen, die mit dem Kolonialismus in Verbindung stehen, in die Diskussion geraten. Umbenennen oder nicht?

Ich bin erst einmal dafür, die Straßennamen zu erhalten. Man muss differenziert vorgehen und darf nicht gleich alles verdammen. Man hat ja die Lüderitz- und die Karl-Peter-Straße umbenannt, wofür einiges spricht, wie ich sagen würde, denn das waren Implantate der Nazis. Diese Namen konnten keine historische Weihe für sich in Anspruch nehmen, das waren rein ideologische Produkte. Dass man das rückgängig gemacht hat, kann ich unterschreiben …

.. aber?

Anders verhält es sich mit den Namensgebungen, die aus der Kolonialzeit selbst stammten. Das war ja kein rein deutsches Phänomen, sondern eine Verirrung fast sämtlicher europäischer Staaten mit Methoden, die unbedingt verachtenswert sind. Doch man kann nicht sagen, dass die deutschen Kolonien in besonderer Weise unterdrückt worden wären – in Namibia werden sogar bis heute auch positive Aspekte mit der Zeit verknüpft. Doch auch, wenn man die schrecklichen Seiten in Betracht zieht, so ist die Kolonialzeit eine Zeit, an die man erinnern muss, und in diesem Zusammenhang müssen auch die Straßennamen systematisch klargemacht werden – zum Beispiel durch erklärende Tafeln. Es gibt keine aseptische Vergangenheit, die nur voller Florence Nightingales wäre. Deswegen plädiere ich dafür, dass die Namen bleiben sollten.

Auch die „Mohrenstraße“?

Ich bin gegen einen Rigorismus, der sich jetzt sogar gegen „Mohrenstraßen“ wendet. Über das Benennungsmotiv des Kölner Exemplars, auf St. Gereon zulaufend, 1844 benannt, sagen Straßennamenlexika: „In Köln soll der heilige Maurus im Jahre 297 mit 360 Mohren den Martertod erlitten haben.“

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