Protest im Staats-TVWelchen Preis muss Marina Owsjannikowa für ihren Mut zahlen?

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Owsjannikowa Protest

Anti-Kriegsprotest im russischen Staatsfernsehen: Marina Owsjannikowa (r.) hält ein Plakat mit der Aufschrift  „No War“.

Moskau – Sie wird als Heldin gefeiert, als Kämpferin für die Freiheit und die Wahrheit: Marina Owsjannikowa hat mit ihrem Protest gegen die Lügen Russlands im Krieg gegen die Ukraine wohl Millionen erreicht. Die russische Journalistin zeigte während der Abendnachrichten im russischen Staatsfernsehen ein Schild mit der Aufschrift „No War“, kein Krieg, und rief dazu auf, nicht der russischen Propaganda zu glauben. Doch welchen persönlichen Preis wird sie für die mutige Tat zahlen müssen?

Ein russisches Gericht hat die Journalistin bereits am Dienstag, also nur einen Tag nach der Aktion, zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (ca. 226 Euro) verurteilt. Allerdings könnte dies erst der Auftakt der Strafen sein, berichtet der „Spiegel“.  Demnach wird erwartet, dass gegen Owsjannikowa weiter ermittelt wird, es wird befürchtet, dass an ihr ein Exempel statuiert wird, um weitere Protestaktionen gegen Putins Krieg zu unterdrücken.

Neues „Zensur“-Gesetz in Russland

Informationen und Nachrichten sind ein umfassender Teil des Kriegs. Russland braucht die Unterstützung aus der Bevölkerung, hat auch deswegen Anfang März ein Gesetz erlassen, dass zahlreiche Einschnitte für die Berichterstattung über russische Truppen mit sich bringt. Zahlreichen ausländischen Medien wurde die Sendelizenz entzogen oder die freie Berichterstattung eingeschränkt. Auch ARD und ZDF haben nach einer kurzen Pause zwar ihre Arbeit im Moskauer Hauptstadt-Büro wieder aufgenommen, sie berichten jedoch nicht direkt vom Krieg in der Ukraine.

Nach dem neuen Artikel 207 des Gesetzes darf nicht öffentlich von Krieg gesprochen werden, offiziell muss es „militärische Sonderoperation“ genannt werden. Die Strafen sind hoch, bis zu 15 Jahre Gefängnis drohen bei Verurteilung.

Laut „Spiegel“ wird nun auch gegen Marina Owsjannikowa auf Grundlage dieses Gesetzes ermittelt. Sie könnte zur Märtyrerin im Kampf um die freien Informationen in Russland werden. Die russischen Behörden gehen seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine hart gegen den Protest auch auf der Straße vor. Laut des russischen, unabhängigen Menschenrechts-Projekts OWD-Info wurden bis Sonntagabend mehr als 14.000 Menschen bei Demonstrationen verhaftet.

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13. März in Moksua: Russische Polizisten nehmen einen Mann fest, der gegen den Krieg in der Ukraine protestiert hat.

Die größte, russische Nachrichtenagentur TASS veröffentlichte am Dienstagmittag eine Mitteilung, die auf die Ermittlungen gegen Owsjannikowa schließen lässt. „Das russische Ermittlungskomitee hat eine Voruntersuchung gegen Marina Owsjannikowa eingeleitet“, heißt es aus dem Englischen übersetzt in der Mitteilung. 

Weiter heißt es, dass nun ermittelt werde, ob ein Strafbestand nach Artikel 207.3 – dem neu erlassenen „Zensur-Gesetz“ – besteht. Offiziell heißt es in dem russischen Gesetz: „Öffentliche Verbreitung vorsätzlich falscher Informationen über den Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation.“ Die Ermittlungsbehörden sollen Putin direkt unterstellt sein.

Kreml-Sprecher nennt Owsjannikowa „Mädchen“ und Protest-Aktion „Rowdytum“

Wie unerfreut der Kreml über den Protest zur besten Sendezeit im russischen Live-Fernsehen war, lässt sich auch aus dem Statement des Kreml-Sprechers Dmitri Peskow ablesen. „Was dieses Mädchen angeht, das ist Rowdytum“, zitierte die russische Nachrichtenagentur Interfax Peskow am Dienstag. Er setze darauf, dass der Nachrichtensender, bei dem Owsjannikowa arbeitete, „sich darum kümmere“.

Marina Owsjannikowa hatte zuvor in einer Video-Botschaft ihre Protest-Aktion erklärt. Ihr Vater sei Ukrainer, ihre Mutter Russin und sie könne es nicht ertragen, die Länder im Krieg zu sehen: „Leider habe ich in den vergangenen Jahren für Perwy Kanal gearbeitet und Propaganda für den Kreml gemacht. Dafür schäme ich mich heute sehr“, sagte sie.

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Marina Owsjannikowa verlässt das Gericht am Dienstagabend, nachdem sie zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

„Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles erst begann“, sagte sie weiter und bezog sich damit offenbar auf die Übernahme der Krim durch Moskau und die Unterstützung der pro-russischen Separatisten in der Ukraine. „Wir sind nicht zu Protesten gegangen, als der Kreml (den mittlerweile inhaftierten Oppositionellen Alexej) Nawalny vergiftete. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach schweigend beobachtet. Und jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewandt.“

Große Solidarität mit Owsjannikowa – Macron bietet Asyl an

Für ihre Generalabrechnung und ihr Statement bekam Owsjannikowa, Mutter von zwei Kindern, tausende Likes in den sozialen Netzwerken. Unzählige Solidaritätsbekundungen, auch von deutschen Politikerinnen und Politikern, waren zu lesen. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich via Twitter für die Protest-Aktion im russischen Staatsfernsehen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat angeboten, Owsjannikowa konsularischen Schutz zu bieten. „Wir leiten diplomatische Maßnahmen ein, damit sie unter den Schutz der (französischen) Botschaft gestellt wird“, sagte Macron am Dienstag beim Besuch einer Aufnahmestelle für ukrainische Flüchtlinge im Département Maine-et-Loire. Darüber wolle er auch „sehr direkt“ bei seinem nächsten Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sprechen. „Frankreich verurteilt jede Inhaftierung von Journalisten“, sagte Macron.

Wann die Ermittlungen abgeschlossen seien und eine weiterer Prozess gegen Owsjannikowas stattfinden könnte, ist noch nicht bekannt. Offiziell hat der Kreml auch auf Macrons Angebot noch nicht reagiert. Über Owsjannikowas aktuellen Verbleib gibt es derzeit wenig gesicherte Informationen. Sicher scheint nur, dass Russland eine neue Feindin ausgemacht hat. Die Frage ist, ob Russland sich auch traut, drakonische Strafen durchzusetzen, wenn die ganze Welt zuschaut. (mit das/lp/afp)

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