Rahner-AkademieAn den Grenzen der Erfahrung

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Papst Franziskus gibt zu denken - und zu streiten. Wenn selbst Kardinäle, deren purpurrote Robe symbolisch für die unverbrüchliche Treue zum Papst "bis aufs Blut" stehen soll, kritische Interviews zuhauf geben und dem Papst böse Briefe schreiben, dann braucht sich über Auseinandersetzungen zwischen den schon von Berufs wegen streitlustigen Theologen niemand zu wundern.

In der Kölner Karl-Rahner-Akademie trafen jetzt, wie Direktor Bernd Wacker hervorhob, drei Kontrahenten erstmals öffentlich aufeinander, die einander seit Monaten in Aufsätzen und Büchern beharken. Der Bonner Dogmatiker Karl-Heinz Menke wirft seinen Theologen-Kollegen Magnus Striet (Freiburg) und Stephan Goertz (Mainz) vor, sie verabschiedeten sich von der Vorstellung, dass es eine dem Menschen von Gott vorgegebene Wahrheit gebe, und propagierten stattdessen eine Freiheit, in der sich jede - insbesondere moralische - Verbindlichkeit ins Nichts auflöse.

Mit dem Philosophen Immanuel Kant verteidigen Striet und Goertz ihr Konzept menschlicher Selbstbestimmung. Der Mensch ist aus sich heraus fähig, das Wahre und Gute zu erkennen und zu tun. Er kann dies autonom, kraft der Vernunft. Weil diese im Prinzip jedem Menschen zukommt, gibt es also sehr wohl eine Verbindlichkeit, auch in sittlichen Fragen: Absoluter Wert und Maßstab, so Goertz, ist die Würde des Menschen. "Das erkennen wir, indem wir über uns selbst nachdenken."

Von solchen Höhen ausgehend, begaben sich die drei Theologen in Köln auch in die Niederungen des gelebten Lebens, wo ihr Dialog dann durchaus giftig geriet. Menke fühlte sich von Goertz als "Gottprotz" (Elias Canetti) und weltfremder Prinzipienreiter gescholten, der Mainzer Moraltheologe von Menke mit Unterstellungen und absichtsvollen Missinterpretationen überzogen. "Ich verstehe Ihre Vorwürfe nicht" - dieser Satz fiel sinngemäß gleich mehrfach. Und erwartungsgemäß verhakten sich die drei Diskutanten genau an den Stellen, an denen der Papst seine Kirche aus erratischer Starre und alten Fixierungen zu lösen begonnen hat: Scheidung und Wiederheirat, Sexualmoral, Homosexualität... Für Menke ergibt sich aus der gottgewollten Geschlechterdifferenz von Mann und Frau die homosexuelle Veranlagung als "etwas Nicht-sein-Sollendes". Es frage sich nur, woher er - Menke - denn so genau wisse, was Gott will, entgegnete Striet. Im voll besetzten Auditorium brach spürbar Unruhe aus, als Menke die gleichgeschlechtliche Orientierung die "verunglückte" Ausbildung sexueller Identität nannte und sie mit einem Erdbeben als katastrophale Kollision zweier Erdplatten verglich.

Auf Menkes Plädoyer für die Anerkennung unumstößlicher, über Zeit und Raum hinweg gültiger und von der Kirche vorgelegter Normen reagierte Striet mit dem Hinweis auf offenkundige "Lern- und Reflexionsschübe" des kirchlichen Lehramts. Seit wann es in der katholischen Kirche eigentlich einen Gott gebe, der die Freiheit des Menschen achte und die Menschenrechte garantiere? "Das ist doch ein relativ junger Gott", spottete Striet. Die Tradition einer Kirche, die "täglich mit dem Logos kommuniziert", und das Urteil ihres Lehramts, ätzte Menke in die Gegenrichtung, seien ihm "wesentlich verlässlicher als das Urteil von Herrn Goertz". Ohne Gott sei der Mensch in seiner Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit überhaupt "nur der bis dato am höchsten entwickelte Affe".

Ist also "alles erlaubt", wenn Gott nicht existiert, wie Fjodor Dostojewski einmal formulierte? Striet verneinte und sprach vom "dümmsten und fatalsten Satz", den der auch von ihm verehrte Autor je geschrieben habe. Für die Erkenntnis und Befolgung sittlicher Normen "brauche ich Gott nicht", sagte Striet mit Nachdruck, und Goertz bekräftigte: Der Glaube an Gott bewährt sich an den Grenzen der Erfahrung, im Bereich dessen, was "nicht mehr menschenmöglich" ist. Das, so steht zu vermuten, hätte auch Papst Franziskus nicht treffender sagen können.

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