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Regisseur Jan Bonny„Als Rheinländer ist man in einer Provinz“

Lesezeit 9 Minuten
Filmregisseur Jan Bonny

Filmregisseur Jan Bonny

  • Am 6. August läuft der Film „Wir wären andere Menschen“ mit Schauspieler Matthias Brandt im ZDF.
  • Ein Gespräch mit dem Regisseur Jan Bonny über das Filmemachen in Corona-Zeiten und seinen neuen Film über einen traumatisierten Fahrlehrer, der in sein Heimatdorf zurückkehrt und zwei Polizisten tötet.
  • Außerdem erzählt Bonny vom Reiz der Provinz und davon, warum er Filme nicht mag, die in Köln gedreht werden und versuchen, die Stadt so aussehen zu lassen, als würde es ausschließlich aus intakten Altbauten bestehen.

Herr Bonny, wie sind Sie bisher durch die Corona-Zeit gekommen? Die Filmbranche musste ja zwischenzeitlich auch eine Zwangspause machen.

Ich habe in vor allem viel mit den Kindern gemacht. Es war eine gute Gelegenheit, mit ihnen Zeit zu verbringen, weil ich ja sonst immer unterwegs bin.

Hatten Sie keine Existenzsorgen?

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Wenn man Filme macht und freischaffend arbeitet, ist man immer ein bisschen in der Krise. Die Sicherheit ist da ja nur relativ. Gerade beim Filmmachen stellt sich die Frage, wie es weitergeht, eigentlich immer. Rückschläge gehören dazu. Aber auf Rückschläge folgen meistens auch wieder Erfolge und Fortschritte. Es puzzelt sich immer aus dem Rhythmus von auf und ab zusammen. Und das galt auch für die vergangenen Monate. Es war für mich nicht existentiell bedrohlich. Da hatte ich Glück. Es gab natürlich Kollegen, bei denen das anders war.

Kann man mit den Schutzmaßnahmen, die Corona erfordert, Filme so machen wie Sie es wollen?

Ich habe genug Fantasie, mir vorzustellen, dass es da Probleme gibt. Aber ich bin auch Optimist genug, davon auszugehen, dass man diese gelöst bekommt. Wenn man Filme macht, arbeitet man immer in seiner spezifischen Zeit und die hat immer auch ihre spezifischen Herausforderungen. Jetzt ist die Herausforderung, dass niemand an Leib und Seele Schaden nimmt. Aber darauf musste man immer schon achten, denn Film ist immer eine ausserordentlich intime Arbeit, wo sich viele Leute sehr nah kommen. Nicht nur körperlich, sondern eben auch emotional. Da musste man sich immer schon um Schutz bemühen.

Und wie kann das unter Corona-Bedingungen gelingen?

Es werden sich neue Regeln etablieren und ich kann mir vorstellen, dass man auch gute Routinen finden kann, so dass man auch wieder eine erzählerische Freiheit und mit den Schauspielern einen Weg findet, wie man sich einlassen kann auf die Situation und sich nicht die ganze Zeit Sorgen machen muss. Darum geht es: Ohne Sorge wieder ins Spiel zu geraten, in die Freiheit des Moments zu kommen, die man braucht, um einen Film zu machen. Es ist schon mühsam und kostet mehr Geld und Zeit, aber es ist nichts, was nicht lösbar ist.

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In Ihrem Film „Wir wären andere Menschen“, der am 6. August im ZDF läuft, spielt Matthias Brandt den traumatisierten Fahrlehrer Rupert, dessen Eltern und bester Freund in seiner Jugend von zwei Polizisten getötet wurden. Viele Jahre später kehrt er in sein Heimatdorf zurück und tötet die Polizisten. Was ist für Sie das Hauptthema der Geschichte: Vergeltung, Vergebung, Verdrängung?

Von außen würde man vielleicht eine Genrebeschreibung wählen wie Rachefilm. Aber das ist nur auf dem Papier so. Es ist ganz sicher eine Tragödie. Der Film handelt von Schuld und davon, dass Vergeltung sinnlos ist. Nichts ist richtig. Es gibt keine Auflösung und auch keine Erlösung für Rupert. Grade weil es auch einen leichten, komischen Ton gibt, ist es ein trauriger Film. Alles daran, die Taten, die das ausgelöst haben, die Leben, die die Menschen danach führen. Es ist eine Tragödie, wie jeder versucht, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und trotz allem ein Leben zu führen, das im Falschen wenigstens in Teilen gelingt. Und kann es das überhaupt geben?

Als Zuschauer fragt man sich, warum er an diesen Ort zurückkehrt, der für ihn so viel Leid bedeutet. Er muss doch wissen, dass Rache ihn auch nicht erlösen wird.

Der Film lässt ja offen, ob er die Vergeltung suchte, als er zurückkommt. Ob es das ist, wonach er sich sein Leben lang gesehnt hat. Es ist dem Zuschauer überlassen, das zu beurteilen. Der Film lebt von großen Auslassungen, die der Zuschauer ausfüllen muss. Ich sehe schon auch eine Allegorie im Film zu unserer Gesellschaft insgesamt. Wir leben als Gesamtgesellschaft auch mit einer historischen Schuld. Wie arrangiert man sich damit, in welchen Ritualen erstickt man das? Das wird natürlich alles nicht auf der ersten Ebene verhandelt, aber natürlich lebt Rupert so in einer Welt, die auch unsere Welt ist. Und letztlich ist er, wie jeder von uns, dann doch darin mit sich allein.

Sie sagen, der Zuschauer muss Leerstellen aushalten. Das ist anstrengend. Wird dem Zuschauer sonst zu wenig zugetraut?

Nicht jeder Film muss solche Leerstellen haben. Es gibt auch sehr schöne Filme, die einen sehr fest an die Hand nehmen und führen und halten. Aber grundsätzlich kann man dem Zuschauer mehr zutrauen, als es gemeinhin getan wird. Ich halte ihn für ziemlich pfiffig. Es ist eine schwierige Haltung, zu glauben, der Zuschauer müsse sich immer auf sicherem Terrain bewegen. Er hat auch Lust auf Überraschungen und Irritationen. Es sollte eine größere Bandbreite an Erzählungen und Erzähltönen in unserem Sprachraum geben.

Aber Sie mögen diese Leerstellen schon sehr gerne.

Ich mag es gerne, einer Figur zu folgen und diese Leerstellen alle mit mir selbst ausfüllen zu müssen. Mit meinem Erfahrungen, meinem Wissen von der Welt. Jeder von uns schleppt doch Ungelöstes mit sich herum, das er irgendwann lösen will. Das ist hier auch so – wenn auch in einer katastrophalen Verdichtung. Es gibt Widersprüche, die man nicht auflösen kann, und es gehört zum Erwachsensein auszuhalten, dass manches widersprüchlich bleibt. Man muss damit leben, dass es fürs Leben keine einfache Lösung gibt. Es gilt, das ganze Leben auszuhalten. Und grade in einer Demokratie gilt es eben auch, alles wieder neu zu verhandeln. Es gibt keinen Stillstand, es gibt nicht den Moment, wo man endlich mal alles geschafft hat.

Zur Person

 Jan Bonny, Jahrgang 1979, ist ein deutscher Filmregisseur und Drehbuchautor. Er studierte von 2000 bis 2006 an der Kunsthochschule für Medien Köln. Sein Kinofilm Wintermärchen feierte 2018 seine Weltpremiere im internationalen Wettbewerb des Filmfestivals von Locarno.

Die Provinz kommt in diesem Film ja nicht so gut weg. Sie wirkt traurig.

Oh doch, ich finde, sie kommt sehr gut weg. Das ist ja auch ein bisschen unsere Provinz hier. Als Rheinländer ist man ja ohnehin in einer Provinz, auch wenn Kölner, Düsseldorfer und Bonner das anders sehen. Aber das ist nicht schlecht, das ist eine große Qualität. Das ist ein lebendiger, realistischer, zugewandter Blick auf diese Figuren. Ich finde die alle herrlich. Es ist keine Idealisierung, aber die Figuren gefallen mir alle sehr gut. Auch die Welt, in der das spielt. Hemmerich und diese ganze Gegend da oben haben mich sehr gerührt.

Gut, das Licht ist sehr schön, und der Rhein sieht toll aus. Aber wenn die da etwa in diesem Tennisvereinsheim oder auf Plastikstühlen auf der Straße sitzen und trinken, das ist doch trostlos.

Ich finde das überhaupt nicht trostlos. Genauso ist es doch auch. Der Deutsche kommt öfter mit einem Gläschen in Schwung, ich habe dafür Verständnis. Das ist kein abwertender Blick, sondern ein verständnisvoller darauf, dass das Leben nun mal so ist. Mir gefällt auch dieses Vereinsheim ausgesprochen gut. Das ist einfach unsere westdeutsche Wirklichkeit. Die besteht nicht nur aus Beachclubs und nachgemachten französischen Bistros, es gibt etwas spezifisch Westdeutsches. Es ist ein westdeutscher Heimatfilm.

Vielleicht sieht man das auch einfach zu selten so im Fernsehen, und es erscheint deshalb trist.

Das ist wahr, man sieht das zu selten. Man sieht immer Idealisierungen, die aber überhaupt nicht liebevoller sind, als einen solchen Blick darauf zu werfen. Es ist abgründig, aber lebendig und zart in gewisser Weise. Man spürt, wie die Infrastruktur auseinanderfällt. Die sitzen nun mal nicht um die Dorflinde herum, in dem Ort ist noch genau eine Kneipe auf. Das gilt es nicht zu betrauern, sondern mit Leben zu füllen. Mir ist das hochsympathisch. Mir gefallen auch die Plastikstühle gut. Das hat doch etwas wahnsinnig Entspanntes. Da herrscht eine große Normalität. Das ist keine zusammengewünschte Wirklichkeit, sondern da gibt es eine große Schönheit im Rand. Aber diese sehr eigene Schönheit kommt selten vor unseren Filmen.

Das stimmt. Im Fernsehen sieht meistens alles sehr schick aus.

Ja, es gibt eine Fernsehwirklichkeit. Besonders lustig sind ja Filme, die in Köln gedreht werden und versuchen, Köln so aussehen zu lassen, als würde es ausschließlich aus intakten Altbauten bestehen. Das ist nicht wahr und auch nicht schön. Was ist das für eine Verabredung? Das ist doch einfach auch ein bisschen dünn. Mich interessieren Geschichten, die immer auch von konkreten Orten ausgehen, ich verfilme genauso sehr Orte wie Geschichten. Denn die Geschichte, die in unserem Film vorkommt, ist ja so ähnlich schon hundertmal erzählt worden. Aber wie man sie jetzt in unserer Gegenwart an einem Ort erzählt und wie aus diesem Ort bestimmte Figuren erwachsen, das macht einen Film aus. Klar kann man das auch in dusseligen Altbauwohnungen spielen lassen, aber da sitzen dann immer Leute drin, die da gar nicht reingehören. Und dann ist es Kulisse, Mumpitz. Bornheim ist kein Mumpitz. Es ist nicht egal, wo das spielt. Das ist erzählenswert.

Deutschland ist bekannt für seine 90-minütigen Fernsehfilme. Auch Sie haben schon viele gemacht. Schränkt einen diese Form nicht sehr ein?

Es schadet einem Film nicht, innerhalb bestimmter Rahmungen stattzufinden. Ich mag 90-Minüter sehr gern. Es ist ein konzentrierter, guter Zeitraum, den man ja auch ganz unterschiedlich füllen und bearbeiten kann. Ich finde die Ellipse und die Auslassung sind mit die herrlichsten Mittel des Films. Die Verdichtung ist das Beste, deshalb habe ich auch keine endlose Serienbegeisterung, weil mir das oft zu redundant und zu breit erzählt ist. Es ist eine Kunstform, mit Auslassungen zu erzählen. Das zieht mich fast immer mehr rein, das ist die erwachsenere Erzählform. Ich muss mehr tun, mehr leisten, bin mehr gefragt. Ich sehe natürlich, was für tolle Figuren in Serien möglich sind, aber ich finde die Form der abgeschlossenen 90 oder 120 Minuten ganz toll.

Sie wollen also keine große Serie machen?

Ach doch klar, man kann ja überall etwas Gutes machen. Es gibt großartige Serien. Aber die eine Form ist nicht der anderen überlegen. Es ist ja das Interessante im Moment, dass so viel in Bewegung ist, weil man sich die richtige Form für seinen Stoff suchen kann. Die Serie amerikanischen Zuschnitts hat neue Erzählwelten aufgemacht, eine neuen Erzählton gefunden. Das ist vielleicht ihr größtes Verdienst.

In Ihren Filmen gibt es oft ziemlich viele Tote. Hätten Sie nicht auch mal Lust auf leichtere Stoffe, Komödien etwa?

Der Tod ist natürlich die nochmal größere Zuspitzung der existentieller Krisen. Deshalb ist es kein Wunder, dass Filme da oft rum suchen. Das treibt Filme und Erzählungen ja an. Aber ich hätte Lust, eine Komödie zu machen. Mein Theaterfilm „Jupp, watt hamwer jemaht?“ ist ziemlich lustig, finde ich. Das war mein größter Komödien-Smash-Hit bisher. Den hat aber kaum jemand gesehen. Aber tja, jede gute Komödie ist auch Tragödie.

Und welche Projekte stehen jetzt bei Ihnen an?

Ich schreibe was über Heinrich Heine. Der war mir immer schon wichtig und in all meine Filme schleicht er sich irgendwie ein, in Liedern, in Texten, Konflikten. Da habe ich gedacht, das ist eine gute Figur für die Gegenwart. Ein politischer Künstler, letzter Romantiker und Überwinder der Romantik. Ein Europäer, jemand, der erstaunlicherweise alles überlebt hat.

Das Gespräch führte Anne Burgmer

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