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Ruckelndes Video-EventWie das Impulse-Festival seinen 30. Geburtstag feierte

Lesezeit 3 Minuten
Szene aus „Stricken“

Szene aus „Stricken“

Köln – 30 Jahre Impulse-Festival ergeben 30 Jahre einer Plattform für die verrücktesten, mutigsten, hippsten freien Theaterproduktionen. Das verdient eigentlich ein rauschendes Fest. Leider gab es nur ein ruckelndes Videoevent, und zudem findet das Festival in diesem Corona-Jahr auch nur als Online-Schrumpf-Version statt.

Die beiden Moderatoren Thomas Bartling und David Kilinc kämpften zur Eröffnung als offenkundige Zoom-Debütanten mit der hakenden Technik. NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen rätselte in ihrer Eröffnungsrede per Videobotschaft zu Recht, wie wohl eine „Ästhetik der Distanz“ gelingen kann. Die „Impulse“ rangen um Antworten.

So entführten sie die an der Zoom-Eröffnungs-Konferenz teilnehmenden Zuschauer zwischendurch in „Séparées“, konkret: Videoclips, in denen die Künstler die Arbeiten vorstellten, die bei den „Impulsen“ hätten gezeigt werden sollen. Da präsentierte die furchtlose Florentina Holzinger auf einem mehrfach geteilten Splitscreen eine 15-minütige Filmversion ihrer Produktion „Tanz“: Sieben nackte Frauen beim Ballett-Exercise, das um allerlei Folter-Praktiken erweitert wird: eine Ballerina hängt sich an den Haaren auf, eine andere bohrt sich die Nadeln für den obligatorischen Ballett-Dutt durch die Stirnhaut. Zweifellos: auch als Mini-Filmclips auf dem heimischen Monitor funktionieren Holzingers obszöne Schocker über die Zurichtungen des weiblichen Körpers im Tanz.

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Immerhin: Drei der insgesamt zehn eingeladenen Produktionen haben ihre Bühnen-Inszenierungen in Online-Events umgearbeitet. Beispiel: „Stricken“ von Magda Korsinsky. Die Regisseurin hat sechs afrodeutsche Frauen zu ihren Familiengeschichten befragt, konkret zum Zusammentreffen von schwarzen Vätern mit weißen, vom Nationalsozialismus geprägten Großmüttern.

Geschichten von flexiblem Rassismus, der für das „Mokka-Enkelkind“ natürlich bereitwillig eine Ausnahme machte. Erzählungen über deutsche Ordnungsliebe und deutschen Fleiß, Kriegstraumata, frühen Feminismus, Omas Küche und Omas Wäscheschrank. Den ließ Regisseurin Korsinsky für die Film-Inszenierung plündern, um dann die Gesichter der Frauen auf die Bettlaken, Tischdecken, Handtücher zu projizieren – eine altmodische Blümchen-Spitzen-Knitter-Kulisse für das genealogische Narrativ. Eine kluge Diskursperformance also, die vor allem schwierige Fragen aufwirft: Sollten diese afrodeutschen Frauen – auch sie Nachkommen deutscher Täter, Mitläufer, ignoranter Dulder – ebenso Verantwortung für die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands empfinden wie die übrige Enkelgeneration?

Die Antworten der Frauen sind überaus reflektiert und intelligent, aber jede Enkelin zieht für sich die Opfer-Täter-Trennlinie anders, moralische Eindeutigkeiten gibt es nicht. Eine aufwühlende Inszenierung und ein geschichtsbewusster Beitrag zu den aktuellen Rassismus-Debatten nach dem Tod von George Floyd. Man muss froh sein, dass sie – wenn schon nicht auf der Bühne – doch immerhin online gemeinsam mit zwei weiteren Produktionen in den nächsten Tagen zu sehen ist. Wenigstens das, nach 30 Jahren immer neuen, immer zukunftsweisenden „Impulsen“. 

„Stricken“ ist täglich zu sehen. Außerdem „Lob des Vergessens“ von Oliver Zahn am 7.6., „Es ist zu spät“ von Arne Vogelgesang am 13.6. und „Telefon-Kanon“ von She She Pop am 14.6., alle unter

www.impulsefestival.de

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