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Sam Smith in KölnKonfetti, Balladen und brennende Sehnsucht in der Lanxess-Arena

Lesezeit 4 Minuten
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Avatar unser aller Traurigkeit: Sam Smith in der Lanxess Arena

Köln – „Ich weiß ja, dass meine Musik manchmal ein wenig deprimierend sein kann“, bekennt Sam Smith und lächelt dabei so entwaffnend, dass selbst Kritikerherzen schmelzen. Von den 15.000 Fans, die sich am Samstagabend in der ausverkauften Lanxess-Arena versammelt haben, gar nicht zu reden. Sie hatten sich ja schon nach dem ersten Song, auf die geringste Geste von Smith hin, von ihren Plätzen erhoben, trotz des bestuhlten Innenraums. Nun verspricht ihnen Smith, dass der ganze Abend erhebend sein wird: „Werdet Ihr jedes Lied mitsingen? Werdet Ihr tanzen?“

Sie werden. Sie wollen zumindest. Soweit trübselige Songs über Liebeskummer und Balladen, die James Bonds weiblich-verletzliche Seite erkunden, denn tanzbar sind. Dabei hatte Smith den Abend selbst sitzend begonnen, war hängenden Kopfes auf einem Stuhl sitzend aus der Unterbühne gehoben worden, als Denkmal seiner selbst, des Schutzheiligen radiofreundlicher Zerknirschtheit. Die Bühne ragt wie eine schnittige, schwarze Yacht ins Arenarund, eine steile Pyramide markiert das Hochsegel. Dahinter ein warm leuchtender Kreis, die Sonne im Rücken.

Vom Brennen seiner Sehnsucht hatte er sogleich gesungen, von der kalten Asche des Verlassenseins. Aber seine Stimme verwandelt diesen Beziehungs-Fall-out in ein freundlich strahlendes Wärmebad. Jede Note, die Smith an diesem Abend singt, scheint von einem „Singstar“-Funkeln umflort. Selbst sein Falsett wirkt, als könnte es jede nur mögliche Menge an emotionalen Ballast tragen, und der Übergang von Brust- zu Kopfstimme ist makellos.

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Als Smith 2015, mit gerade einmal 22 Jahren, vier Grammys gewann, vergaß er in seiner Rede nicht, den Mann zu erwähnen, in den er sich ein Jahr zuvor unglücklich verliebt hatte: „Danke, dass du mein Herz gebrochen hast, du hast mir vier Grammys besorgt.“ Das preisgekrönte Debütalbum, „In the Lonely Hour“, verkaufte sich mehr als 12 Millionen Mal, und das zu einer Zeit, in der doch schon kaum jemand mehr ganze Alben erwarb.

Einflussbereich endet nicht an der Stadtgrenze

Kritiker monierten die lauwarme Farblosigkeit der Songs auf „In the Lonely Hour“ und dem Nachfolger „The Thrill of It All“. Doch Sänger, deren Schmerz und queere Identität sich durchdringender, stechender in ihrer Musik abbilden – man denke etwa an Jamie Stewart von Xiu Xiu oder Perfume Genius – sind leider weiterhin nicht massentauglich. Ihr Einflussbereich endet an der Stadtgrenze, Sam Smith aber reicht noch zu jeder frisch bebauten Wiese hin.

Selbst als er „Scars“ als den persönlichsten Song, den er jemals geschrieben habe oder schreiben werde, ansagt, entpuppt sich dieser als höchst versöhnliche Hymne an seine getrennten Eltern. Weiland, bei Andrea Jürgens (“Aber dabei liebe ich euch beide“), hatte man mehr vom Drama des Scheidungskindes erfahren. Die Narben, von denen Smith singt, sind längst verheilt.

Den gut Hundert Konzertminuten fehlt es also an Intensität. Smith macht diesen Mangel durch kluge Dramaturgie wett – Tanznummern, die er zusammen mit dem UK-Garageduo Disclosure aufgenommen hat, unterbrechen das Balladen-Einerlei. Auch seine makellose Band und die vier ebenfalls exzellent aufeinander eingestimmten Backgroundsänger helfen. Und nicht zuletzt das enorm einnehmende Wesen des jungen Engländers.

„Writing's On the Wall“, seinem Titelsong zum letzten James-Bond-Film, öffnet sich dramatisch die Bühnenpyramide, als verberge sie die Höhle eines megalomanischen Bösewichts. „How fucking demented was that?“, lacht Smith anschließend und obwohl der Effekt ja nun gar nicht so furchtbar abgedreht war, möchte man ihm sofort emphatisch beipflichten. Ja, total verrückt, und Scheinwerfer, Kunstnebel und Konfetti gibt es ja auch noch! Und ein Lichtermeer aus Handylampen, und eine Wendeltreppe im Inneren der Pyramide, die Smith zur ersten Zugabe, dem dramatischen Duett „Palace“, ersteigt!

Nein, der beste – durch keine Aufbauten und Lichtzaubereien zu übertreffende – Effekt, ist Smith' ehrliche Rührung, ob der Begeisterung und Liebe, die ihm hier entgegenschlägt, bevor er zu den Schlussakkorden von „Pray“ wieder im Bühnenboden versenkt wird, erneut hängenden Kopfes auf einem Stuhl sitzend, als Avatar unser aller Traurigkeit.

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