Schauspiel KölnDie Geschichte der Lehman Brothers

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Aus purer Lust am Spiel: die Banker der Lehman Brothers.

Aus purer Lust am Spiel: die Banker der Lehman Brothers.

  • Im Depot 1 des Schauspiel Köln wird im April die Geschichte der Lehman Brothers als Theaterstück aufgeführt.
  • Das Stück überzeugt als süffige Primetime-Soap in „Dallas-Manier“.

Köln – Am 15. September 2008 meldete Lehman Brothers Insolvenz an. Angeblich hatte die viertgrößte amerikanische Investmentbank auf jeden Dollar ihres Eigenkapitals 35 Dollar an Krediten vergeben. Dann brachen die Preise am Immobilienmarkt zusammen.

Die Bank blieb auf Krediten sitzen, die niemals zurückgezahlt werden würden. Lehman ging also Bankrott, 25000 Mitarbeiter verloren ihren Job und die Welt das Vertrauen in Finanzprodukte, die ja ihrem Namen zum Trotz keine Waren sind, sondern etwas schwer Greifbareres.

Man investierte im Glauben, dass sich die Investition auch lohne. Man investierte in diesen Glauben. Der war nun gründlich erschüttert, und die globale Finanzkrise die Folge.

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Die Familiengeschichte der drei „Lehman Brothers“

Im Depot 1 des Schauspiel Köln beginnt sie mit einem 23-jährigen Mann, dessen gesamte Habseligkeiten in einen Koffer passen. Heyum Lehmann, Sohn eines jüdischen Viehhändlers aus dem unterfränkischen Rimpar, hat nichts zu verlieren. Also sucht er sein Glück in der Neuen Welt, in der „Spieluhr, die man Amerika nennt“.

Als Henry Lehman eröffnet er ein kleines Tuchgeschäft in Montgomery, Alabama. Bald kommen zwei Brüder hinterher, der Heißsporn Emanuel und der junge Meyer, „glatt wie eine gerade geschälte Kartoffel“. Die Lehman Brothers. Drei unterschiedliche Temperamente, die den gleichen, den amerikanischen Traum träumen.

Der italienische Theatermacher Stefano Massini erzählt diese Familien- und Unternehmenshistorie in der knapp 250 Seiten umfassenden Trilogie „Lehman Brothers. Aufstieg und Fall einer Dynastie“. Stefan Bachmann hat aus der Vorlage einen rund dreistündigen (zwei Pausen nicht mitgezählt) Theaterabend destilliert, sie zu einer quasi biblischen Geschichte gestrafft. Von Söhnen und Brüdern und ihrem Verhältnis zum Gott der Väter und dem Geld der Mitbürger.

Der Zuschauer erfährt hier zwar nicht, was Subprime Loans oder Credit Default Swaps sind. Und für eine leicht verständliche Analyse der spätkapitalistischen Wirtschaftswelt muss er weiterhin Thomas Piketty lesen. Aber im Schauspiel Köln kann im miterleben, wie sich Geld, Glaube und Familienstrukturen im Laufe von 150 Jahren verflüchtigen, wie der Markt zum neuen Gott wird.

Vor zwei Jahren hat sich Bachmann am selben Ort die Genesis zur Spielvorlage genommen, jetzt erzählt er die Genese des Risikokapitals. Es geht ihm weniger um das Bankenwesen, als um das Wesen der Bank.

Symbolträchtiges Bühnenbild

Olaf Altmanns Bühne betont den Symbolcharakter der Finanzsaga: Gespielt wird vorm Halbrund einer weiß erleuchteten Wand, die sich in Zeiten der Krise tiefrot verfärbt. Eine riesiges Rad durchtrennt die Bühne im Längsschnitt. Es könnte ein Schaufel- oder ein Hamsterrad sein, die Sensen an seinen Speichen könnten Baumwolle schneiden - oder Menschen aufspießen und ins Getriebe der großen Maschine ziehen, frei nach Charlie Chaplin.

Beständig dreht sich dieses Rad, droht die Schauspieler vom Boden zu heben. Nur in den Krisen kommt es zum Stillstand. Doch aus jeder Krise – vom Sezessionskrieg bis zum Schwarzen Freitag – gehen die Lehman Brothers gestärkt hervor. Handeln mit Baumwolle, Kaffee, Erdöl. Investieren in Eisenbahnen. Bis Philip, Emanuels Sohn, den Schritt weg von der Ware, hin zum reinen Finanzinstitut wagt. Immer schneller dreht sich das Rad, aggressive Trader fahren jetzt die Milliarden ein, das Rad rast im zuckenden Strobo-Licht.

Doch eigentlich würde dieser Abend auch ohne jede Kulisse funktionieren, die sieben Schauspieler in wechselnden Rollen greifen die Geschichte sozusagen aus der Luft. Ein paar Kleiderwechsel, ein Sack Baumwolle und Spray, das die Haare ergrauen lässt, der Rest ist reine Behauptung. So, befürchtet der Laie, funktioniert wohl auch der Hochfinanzsektor.

Infos zum Stück

Regie: Stefan Bachmann

Bühne: Olaf Altmann

Kostüme: Barbara Drosihn

Musik: Sven Kaiser

Mit: Sascha Göpel, Simon Kirsch, Philipp Lux, Ahmad Mesgarha,Thomas Müller, Torsten Ranft, Jörg Ratjen

Termine: 10., 19. April, Depot 1, Länge: 3 1/2 Stunden

Schauspieler-Ensemble überzeugt

Der Abend ist eine Koproduktion mit dem Staatsschauspiel Dresden, dort fand auch die deutschsprachige Erstaufführung statt (in der Übersetzung von Gerda Poschmann-Reichenau), bereits im vergangenen Sommer. Deshalb stehen nun nicht nur Schauspieler aus Dresden – Torsten Ranft, Ahmad Mesgarha, Philipp Lux, Sascha Göpen – und Köln – Thomas Müller, Jörg Ratjen, Simon Kirsch – gemeinsam auf der Bühne, sie sind auch bestens aufeinander eingespielt. Ja es ist die reine Freude, ihnen zuzuschauen.

Rein formal weiß man nach fünf Minuten, wie der Rest der Inszenierung ablaufen wird, Bachmann zieht keine neuen Ebenen ein oder hält Überraschungen in der Hinterhand. Doch man bleibt dran. Schon aus purer Lust an der Erzählung. Vor allem aber, weil Ranft als cholerischer Emanuel und Mesgarha sanguinischer Meyer ein so kongeniales Komikerpaar abgeben. Oder weil der Konflikt zwischen Ratjens stocknüchternen, buchführenden Vater Philip und Lux’ flatterhaft-träumenden Sohn Robert bester „Dallas“-Stoff ist.

Die Nerven liegen bei beiden blank. Der „Yes, we can“-Geist der frühen Jahre ist längst verflogen. Ausgerechnet Bobbie Lehman muss sich dann durch die Jahre der Depression zittern – und baut die Bank mit dem Kapital neuer Investoren zu jenen Finanzriesen aus, der später so spektakulär von den Mächten des Marktes gefällt wird.

Stefano Massinis Spielvorlage funktioniert nicht zuletzt als süffige Primetime-Soap. Das Vertrauen in die Banken mag nachhaltig erschüttert worden sein. Nach der Krise ist vor der Krise. Das Vertrauen in die Macht der großen Erzählungen aber hält vorerst, was der herzliche Schlussapplaus bestätigte.

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