Schauspieler Albrecht Schuch„Von Social Media halte ich mich weiter fern”

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Albrecht Schuch (c) Steffen Roth

Albrecht Schuch

Wie gut kannten Sie Thomas Brasch vor diesem Film-Projekt? Hatten Sie sich schon mal intensiver mit ihm beschäftigt?

Albrecht Schuch: Nein, gar nicht. Ich kannte einen Text von ihm, den hatte ich an der Schauspielschule kennengelernt. Das war „Warum Spielen“, eine sinnliche Huldigung an das Spielen. Und am Gorki-Theater hat eine Kollegin sehr von ihm geschwärmt. Aber wirklich eingetaucht bin ich erst mit dem Film. Zeitgleich kam auch der Dokumentarfilm „Familie Brasch“ raus. Das war ein Supereinstieg, um einen Überblick zu bekommen über diese Familie, die manche die Manns des Ostens nennen. Ich habe Archive durchforstet, die Filme gesehen, Übersetzungen gelesen. Dann habe ich Weggefährt:innen getroffen, wobei die Betonung auf den Frauen liegt. Das war toll, weil der Stab des Films größtenteils aus Männern besteht, ich aber immer versuche, darauf zu achten, dass ich auch die weibliche Perspektive in meine Rollen einarbeite.

Sie konnten viele Menschen treffen, die ihn kannten. Aber welchen Zugang haben Sie für sich gefunden? Es kann ja nicht darum gehen zu versuchen, ihn eins zu eins zu imitieren.

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Absolut. Glücklicherweise ist das nicht die erste Person, die mal gelebt hat, die ich verkörpern durfte. Deshalb kenne ich die Fallen, die sich da auftun. Eine der größten für mich als Spieler ist auf jeden Fall der seltsame Wahrheitsanspruch. Die eine Wahrheit gibt es nicht. Jedes Buch, jeder Text, jede Person, die ihm begegnete, hat ihre eigene Wahrheit. Für uns war nicht der Anspruch, ein Biopic zu machen. Wir wollten ausgehend von einer Realität unsere Realität kreieren. So macht mir mein Beruf auch am meisten Spaß. Eine Realität mit meiner Fantasie und der Fantasie aller Gewerke zusammenzuschmeißen und etwas Eigenes zu schaffen auf der Grundlage dessen, was wir erfahren haben.

Was hat Sie am meisten beeindruckt an Thomas Brasch?

Das war diese ungebändigte Energie. Seine Wut nach der differenzierten Betrachtung, die macht ihn immer relevant. Er hat sich selbst nie rausgenommen, sich nicht wichtiger genommen als er ist. Klar war er auch mal ein Macho, ein Egozentriker, ein Narzisst. Aber er hat sich immer mit einer gesellschaftlichen Situation, einem politischen Zustand auseinandergesetzt, mit Menschen. Er hat den Finger draufgehalten, nachgefragt, differenziert betrachtet. Er hatte Lust zum Diskurs, zum Disput. Da muss nicht immer parallel ein Räucherstäbchen angezündet werden, aber man begibt sich auch nicht in eine Deckung und ballert 240 Zeichen über Telegram raus. Den Menschen in seiner Widersprüchlichkeit hat er für mich verkörpert.

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Er würde auch unserer Zeit guttun?

Ja. Dieses teilweise sehr populistische Niederreden mit irgendwelchen kurzen Überschriften und Worten, die alle eine Box der Degradierung aufmachen, erzeugt Wut und Missverständnisse. Es gibt keine Zwischentöne mehr, es wird schnell in Schwarz-Weiß aufgeteilt. Dann geht es gar nicht mehr um die Ursache, sondern die Symptome betrachten sich untereinander und die Ursache wird völlig außer Acht gelassen. Die Menschen wenden sich plötzlich gegeneinander. Und das auf eine Art und Weise, die wirklich hasserfüllt ist. Und zwar von allen Seiten, auch von den vermeintlich aufgeklärten, moralischen Intellektuellen. Die entwickeln auch eine krasse Wut. Natürlich werde ich auch wütend bei manchen Zuständen und will auch nicht mehr reden, wenn ich merke, da ist kein Rankommen. Es gibt auch ein Zuviel des empathischen Sich-Reinfühlens ins Gegenüber. Aber wie in den vergangenen Jahren in manchen Diskussionsrunden Schnitte getan wurden, ist schon schade. Da wünsche ich mir immer wieder einen Thomas Brasch und frage mich, was er sagen würde und wie er es betrachten würde.

Er war eine sehr tragische Figur. Er konnte auf der einen Seite der Mauer nicht glücklich sein und auf der anderen auch nicht.

Er war eine durch und durch tragische Figur. Er wurde so verletzt, dass er sich Waffen angeeignet hat und dann andere verletzt hat, bevor er wieder verletzt wird.

Kann man sich der Geschichte, in diesem Fall der Geschichte der DDR immer nur über einzelne Schicksale annähern, um sie zu verstehen?

Ja. Es sind so unterschiedliche und individuelle Geschichten und Schicksale. Aber das sind immer wieder nur Annäherungen. Man kann nur neue Bausteine, neue Blickwinkel auftun, um begreifbar zu machen, um eine Enttäuschung zu beleuchten und eine Frustration, die weitergegeben wurde. Es kommt ja immer wieder die Frage auf, ob es denn wirklich noch einen weiteren Film braucht über die DDR. Doch wenn man sich mit den unterschiedlichen Schicksalen beschäftigt, kann es kein Zuviel geben. Weil ein Erlebnis allein immer unterschiedlich betrachtet werden muss, auch wenn es kollektiv passiert.

Ihr nächstes Projekt ist eine Verfilmung des Romans „Im Westen nichts Neues“. Wie lange dauerte da der Vorbereitungsprozess?

Das ist bei jedem Projekt unterschiedlich. Manchmal ist es ein Monat, manchmal sind es vier. Manchmal ist es eher ein theoretisches Herangehen, manchmal eher ein emotionales an die Figur. Manchmal geht es eher von außen in den Kern, manchmal vom Kern nach außen. Entscheidend sind die Zustände, in denen sich die Figur befindet. Die erzählen mir viel. Die Zusammenhänge werden größer. Es geht darum, immer wieder die Verknüpfung zu den Menschen herzustellen. Dann wird es greifbarer, als wenn man sich nur mit geschichtlichen Daten befasst. Da macht es bei mir nicht Klick. Ich muss daran erinnert werden, dass die Menschen damals auch eine Seele hatten, ein Herz. Sie haben auf Dinge reagiert. Die Umstände und Zustände waren anders, aber ansonsten gibt es keine Unterschiede zu uns heute.

Sie haben in den vergangenen Jahren in sehr vielen Literaturverfilmungen gespielt. War das Zufall?

Ja, das ist ein Zufall. Die Stoffe haben mich einfach besonders interessiert. Ich achte nicht darauf, dass ich nur noch historische Filme und Literaturverfilmungen auf meiner Agenda haben. Es sind einfach tolle Menschen, die dahinterstehen, die mit mir gemeinsam diese Geschichte erzählen wollen. Das ist das Entscheidende.

Können Sie verstehen, dass manche Menschen Literaturverfilmungen skeptisch gegenüberstehen, weil ein Film immer anders ist als die eigene Fantasie?

Es gibt keinen besseren Film als die eigene Fantasie beim Lesen. Es kann nie besser sein, auf mich trifft das zu. Deswegen ärgert es mich auch, dass ich manchmal ein Buch nicht vor dem Film gelesen habe, weil es dann drei Jahre braucht, damit ich nicht beim Lesen den Film vor Augen habe. Die eigene Fantasie, der eigene Film ist etwas so Tolles, deswegen ist Lesen ein schöner Film-Trip. Aber manche Zuschauer sind auch gnädig und können den Film als eine Lesart akzeptieren.

Sie wurden dieses Jahr als European Shooting Star bei der Berlinale geehrt, nun gewinnen sie den International Actors Award des Filmfestival Cologne. Wie haben Sie diese Ehrungen erlebt in diesen Pandemie-Zeiten?

Wenn ein Filmpreis stattfindet, an dem man nur Zuhause allein am Computer teilnehmen kann, finde ich das erstmal nicht so schlimm. Dann ist der Rummel um einen nicht ganz so groß, aber den brauch ich auch nicht immer. Mich überfordert das sogar manchmal. Bei der Berlinale während dieser Zeit konnte ich mich in Ruhe darauf konzentrieren, was ich zu sagen hatte. Nach der Verleihung wurde dann der Computer zugeklappt, und es war wieder alles normal. Das finde ich schön ehrlich. Aber natürlich weiß ich es sehr zu schätzen, dass ich gerade in den Mittelpunkt gerückt werde und meine Arbeit gesehen wird. Trotzdem versuche ich mich davon nicht zu sehr beeinflussen zu lassen. Deshalb sag ich artig „Danke!“ und mache weiter.

Sie hatten lange kein Smartphone. Das hat sich geändert, aber Sie sind in den sozialen Netzwerken, anders als viele Kollegen, weiterhin nicht aktiv. Warum nicht?

Von Social Media halte ich mich weiter fern. Ich sehe so viele, die von dem Kram traurig werden, die nervös werden und abhängig. Das ist eine große Sucht und wir wissen ja mittlerweile, was das mit unserem Selbstwertgefühl anstellen kann.

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