Schauspieler Johnny Depp vor GerichtDer Mann für die Seltsamen und Sonderlinge

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Johnny Depp afp 17.5.

Johnny Depp im Gerichtssaal in Fairfax, Virginia.

Köln – Die Schlammschlacht, die Amber Heard und Johnny Depp sich derzeit vor einem Gericht in Virginia liefern, ist filmreif und abstoßend gleichermaßen. Das Interesse an dem im Internet übertragenen Prozess ist riesig. Kein Wunder: Schließlich sitzt dort Johnny Depp, einer der erfolgreichsten Schauspieler der vergangenen Jahrzehnte. Eine Annäherung. 

18 Hektar. So groß ist Little Hall's Pond Cay, eine Insel, die zu den Bahamas gehört. Ihre Strände heißen Lily-Rose und Jack, Vanessa Paradis, Gonzo Beach und Brando, und wer für sie das Wort „paradiesisch“ bemüht, liegt sicher nicht falsch. Dieses Paradies gehört Johnny Depp, er hat den Stränden Namen von Menschen gegeben, die ihm wichtig sind – die Insel selbst nennt er liebevoll „Fuck off Island“.

Johnny Depp vor Gericht gegen Amber Heard

Ein 3,6 Millionen Dollar teures, wunderschönes „Ihr könnt mich alle mal“, wie gemacht für einen Menschen, der sagt: „Eskapismus sichert mein Überleben.“ Im Moment aber gibt es keinen Eskapismus, kein Inselleben, kein „Fuck Off“ – im Moment wird in Fairfax, Virginia, die Verleumdungsklage von Johnny Depp gegen Amber Heard wegen eines Artikels verhandelt, in dem ihm häusliche Gewalt vorgeworfen wird. Weiter weg von „paradiesisch“ geht kaum.

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Der Prozess wird live gestreamt und hat gigantische Einschaltquoten. Ein Teil der Erklärung dafür ist sicher das Gaffer-Bedürfnis der Zuschauer, schließlich wird die Beziehung bis in die hinterletzte, schmutzige Kleinigkeit ausgebreitet. Der andere Teil ist: In diesem hässlich-braunen Gerichtssaal sitzt nicht irgendwer. Da sitzt Johnny Depp, einer der größten und erfolgreichsten Schauspieler der letzten Jahrzehnte.

Johnny Depps erster Berufswunsch: Rockstar

Dabei will John Christopher Depp II, Jahrgang 1963, als junger Mensch eigentlich Rockstar werden, vom Musikmachen, seiner – wie er sagt – ersten Liebe, leben. Gitarre spielen bringt er sich selbst bei, angeblich mit einem gestohlenen Akkorde-Buch. Mit 13 gründet er seine erste Band, sie heißt „Flame“, und Depp muss sich älter lügen, um Auftritte in Clubs in der Gegend zu ergattern.

Zu Hause läuft es nicht rund, seine Mutter schlägt ihn, heißt es, die Familie ist bis zu Depps 15. Geburtstag schon rund 20-mal umgezogen, zuletzt lebt sie in einem Vorort von Miami. Die Eltern lassen sich 1978 scheiden. Drogen, Alkohol, selbstverletzendes Verhalten, Vandalismus, Diebstahl, das sind die Hebel und Mechanismen, die Johnny Depp zur Verfügung stehen, um mit diesem Leben klarzukommen.

Er habe sich gelangweilt, er habe nichts mehr fühlen wollen, sagt er später, auf seinen frühen Drogenkonsum angesprochen, und er habe sich immer schon als Außenseiter in dieser Welt gefühlt. Erst als er die Literatur für sich entdeckt, wird alles besser. Erträglicher.

Nicolas Cage, der damals noch Nicolas Coppola heißt und der Neffe von Francis Ford ist, verhilft ihm 1984 zu einem Vorsprechen für „Nightmare on Elm Street“, 1986 dreht Depp „Platoon“ von Oliver Stone. Dass die Schauspielerei sein Ding sein könnte, glaubt Depp zunächst nicht – für ihn ist sie mehr Mittel zum Zweck. Sein Plan ist, damit sein Musikerleben zu finanzieren, und er merkt, dass es relativ leicht verdientes Geld ist.

„21 Jump Street” ist Johnny Depps erster kommerzieller Erfolg

Irgendwann packt ihn doch der Ehrgeiz, Depp nimmt Schauspielunterricht – und landet schließlich mit „21 Jump Street“ einen riesigen kommerziellen Erfolg. 81 Mal spielt er in der Serie, die 1990 in Deutschland Premiere hat, Tom Hanson, Undercover-Ermittler der Polizei.

Depp wird zum Teenie-Star, wo er hinkommt, kreischen die Mädchen, er landet mehrfach auf dem Cover der „Bravo“. Doch Depp wird damit nicht glücklich. Jeden Tag, erzählte er dem „Esquire“ vor einer Weile in einem Interview, wurden 15, 16 Seiten Drehbuch runtergespielt, das Ganze war eine Tretmühle. „Ich war nicht glücklich“, sagte Depp. Und: „Ich liebe es, mich frei zu fühlen.“

Nach vier Staffeln ist er raus – und sucht sich fortan Rollen, die man heute viel eher mit Johnny Depp assoziiert. Die Andersartigen, die eckigen, nicht mehr die glattgebügelten. Außenseiter halt – wie er einer war.

1990, Johnny Depp ist 27 Jahre alt. „Cry Baby“, eine Komödie und Parodie auf Musical-Filme wie „Grease“, soll ihm beim Umstieg helfen. „Es war geradezu belebend, den Film zu machen, nachdem ich versehentlich zu einem Posterboy-Teenie-Idol geworden war“, sagte Depp im „Esquire“-Interview. Durch die Rolle Cry-Baby, ein 50-er-Jahre-Rock’n’Roller und heftig umschwärmter Anführer einer Jugendgang, schafft Depp spielerisch Distanz zu seinem verhassten Image: „Es war die perfekte Gelegenheit, mich darüber lustig zu machen, was sie aus mir hatten machen wollen.“

Sehr viel später, 2021, sagt er in einem Interview etwas, das auch gut in diese Zeit, in diesen Umbruch gepasst hätte: „Ich gebe mir Mühe, nur Filme auszuwählen, die mir wirklich etwas bedeuten. Denn ich habe keinen Funken Ambition in mir, zum Glück… Was ich aber habe, ist Hunger, Lust auf eine Sache, das Bedürfnis, etwas Besonderes zum Ausdruck zu bringen.“

Die 90-er sind Johnny Depps Jahrzehnt

In den 90-ern geht es Schlag auf Schlag, Depp liefert praktisch einen großartigen Film nach dem nächsten: „Edward mit den Scherenhänden“ ist die erste Zusammenarbeit Depps mit Regisseur Tim Burton, es folgen „Benny und Joon“, „Gilbert Grape“, „Ed Wood“ (Tim Burton, die Zweite), „Donnie Brasco“, „Fear and Loathing in Las Vegas“, „Sleepy Hollow“ (Tim Burton, die Dritte), und diverse Golden-Globe-Nominierungen. Depp zeigt, wie vielseitig er ist, dass er tragisch und durchgeknallt und angegruselt kann.

Mit den 2000-ern tritt Captain Jack Sparrow auf den Plan – und damit auch der unmittelbare Witz im Spiel von Johnny Depp. Er ist die Hauptfigur in „Fluch der Karibik“, und er prägt das Bild von Johnny Depp bis heute. Sein Pirat trägt zu starkes Augen-Make-up, er trinkt zu viel, er schwankt zu viel, er lallt und nuschelt und nimmt die Welt insgesamt zu wenig ernst. „Er agiert zwischen Wahn und Witz, ein hysterisches und hypochondrisches Männchen, ein verspulter Zausel, ein Irrlicht, eine halbe Portion. Sein Stilmittel ist der gelassene Übermut“, schreibt die „Rheinische Post“ aus Anlass von Teil Nummer drei.

Keith Richards von den Rolling Stones steht, so erzählt Depp es damals, Pate für Jack Sparrow. Bei geschätzten Produktionskosten von 140 Millionen Dollar spielte der Film bis zum Dezember 2021 654,26 Millionen US-Dollar ein. Allein in den 2000-ern entstehen drei Filme aus der Reihe, zwei weitere folgen.

Vor Vanessa Paradis gab es Winona Ryder, Jennifer Grey und Kate Moss

Privat ist es in diesem Jahrzehnt ruhiger als in denen davor. Vom Ende der 90-er bis 2012 ist Depp mit der französischen Sängerin Vanessa Paradis zusammen, gemeinsam haben sie zwei Kinder, die Beziehung scheint weitgehend skandalfrei. Vorher gab es unter anderem Winona Ryder und Kate Moss, angeblich auch Schauspielerin und Sängerin Juliette Lewis und Dirty-Dancing-Hauptdarstellerin Jennifer Grey. Depp war mehrfach ver- und wieder entlobt, geheiratet hat er aber nur zwei Mal: als 20-Jähriger Lori Anne Allison, 32 Jahre später Amber Heard. Ryder und Paradis, zu Heards Vorwürfen befragt, sagen beide, sie hätten Depp nie gewalttätig erlebt.

Mindestens zwei „Fluch der Karibik“-Filme hätte es nicht zu geben brauchen, vielleicht sogar drei – der sehr spezielle Sparrow-Witz, der zu Beginn noch witzig war, lutscht sich aus, alles an diesem Film schreit „Ich bin eine gigantische Gelddruckmaschine.“

Und doch: Depp kann es noch, das große Kino, er zeigt es immer wieder: in „Charlie und die Schokoladenfabrik“ (2005, Tim Burton, die Vierte), als verrückter Hutmacher in den Alice-im-Wunderland-Filmen, als eiskalt-böser Gellert Grindelwald in zwei Filmen der „Phantastische Tierwesen“-Reihe, in „Wenn Träume fliegen lernen“ als Schöpfer der Peter-Pan-Geschichte.

Depp spielt die Seltsamen, die Sonderlinge, die Einzelgänger

Es mutet verrückt an: Zu Beginn seiner Schauspieler-Karriere hasst Johnny Depp es, ein Teenie-Idol zu sein, vereinnahmt zu werden, unfrei zu sein – und wendet sich den Indie-Filmen zu. Heute sind viele seiner Filme Blockbuster, die Hunderte Millionen Dollar einbringen, Depp kassierte absurd hohe Gagen, war der „Sexiest Man Alive“.

Verschiedene Welten.

Aber etwas verbindet doch das Früher mit dem Heute: Depp spielt noch immer wie kein Zweiter die Seltsamen, die Sonderlinge, die Einzelgänger, die, die aus der Rolle fallen. Und das ist dann doch wieder ein bisschen Indie.

Seit etwa 2016 steht der Vorwurf der häuslichen Gewalt im Raum. Rund 15 Monate nach der Hochzeit ruft Amber Heard, ebenfalls Schauspielerin; die Polizei, weil Depp ihr ein Handy ins Gesicht geworfen haben soll. Heard reicht die Scheidung ein und behauptet, Depp habe sie die ganze Zeit verbal und körperlich misshandelt. Der Schauspieler bestreitet alles, zahlt eine Abfindung.

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2018 schreibt Heard in einem Text für die „Washington Post” über Erfahrungen mit häuslicher Gewalt. Namen nennt sie nicht, dennoch ist klar, um wen es geht. Die „Sun“ nennt Depp daraufhin „Wifebeater“, Ehefrauen-Schläger. Depp verklagt seine Ex und die Zeitung, gegen die „Sun“ verliert er. Jetzt, in Fairfax, geht es erneut um die Frage, ob dieser Artikel rufschädigend war, Depp fordert 50 Millionen Dollar Schadenersatz, Heard ihrerseits 100 Millionen Dollar. Schon die Summen sind absurd.

Vergisst man manchmal: Dies ist kein Trash-TV-Format

Ähnlich absurd wie das, was der Zuschauer alles zu hören bekommt: Neben Handgreiflichkeiten ist die Rede von Drogen- und Alkoholsucht, von Verleumdung, er, so heißt es, habe sie sexuell missbraucht, sie, so heißt es, habe ihm die Fingerkuppe abgetrennt und ihn regelmäßig geschlagen, es wird diskutiert, wer wohin uriniert, wer wo seine Exkremente hinterlassen hat. Diese ganze peinliche, traurige, verstörende Schlammschlacht wird live gestreamt, manchmal vergisst man darüber sogar, dass das keine Trash-TV-Fiktion ist, sondern dass es um echte Menschen geht und dass es hier um Wahrheitsfindung gehen soll. 

Aussage steht gegen Aussage, die Geschworenen müssen entscheiden. Doch egal wie das Ganze ausgeht, wer wem am Ende wie viele Millionen zahlen muss: Der hässlich-braune, amerikanische Gerichtssaal, die Bilder, die dort entstanden sind, die Geschichten, die dort verbreitet wurden, kleben künftig an Johnny Depp. Wie seine Figuren, wie Edward mit den Scherenhänden, Jack Sparrow, Willy Wonka oder der verrückte Hutmacher.

Die Frage wird am Ende sein: Welche Bilder verblassen zuerst?

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