Suizid, Putsch, Den HaagUkrainischer Botschafter sieht drei Szenarien für Putin

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Andrij Melnyk 

Berlin – Gerade noch hatte die Runde in Frank Plasbergs außer der Reihe einberufener „Hart aber fair“-Sendung darüber diskutiert, wie man Putin eine „Off-Ramp“ bereitstellen könne, einen gesichtswahrenden Ausweg aus seinem schon verfahrenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Publizist Gabor Steingart hatte sogar schon Details möglicher Friedensverhandlungen herbeifantasiert, unter anderem die Anerkennung der „Volksrepubliken“ im Donbass.

Moderator Frank Plasberg reagierte schnell und bezog Andrij Melnyk, den zugeschalteten ukrainischen Botschafter in Deutschland, in die Studiorunde mit ein. Jede Diskussion um Verhandlungen, erklärte Melnyk rundheraus, sei falsch: „Wenn ein Verbrecher jemanden ein Messer an die Kehle hält, fragt man doch nicht das Opfer, was es tun kann, damit dieser Verbrecher sein Gesicht wahren kann?“ Man dürfe die Ukraine nicht so schnell abschreiben: „Wir sind 40 Millionen Menschen mitten in Europa.“

Droht Putin ein Afghanistan 2.0?

Im Gegensatz zum Motto der Sendung: „Wie hilflos ist der Westen gegen Putin?“ gaben sich die Diskussionsteilnehmer ansonsten aber eher entschlossen. Dass sich der Krieg in der Ukraine noch lange hinziehen werde, glaubten sie indes fast alle. Hans-Lothar Domröse, deutscher Nato-General a.D., schätze, dass Putin ein „Afghanistan 2.0“ bevorstehe. Partisanenkämpfe seien freilich auch die einzige Chance für die Ukrainer.

Die Aussichten sind für beide Seiten keine guten: Udo Lielischkies, bis 2018 Leiter des ARD-Studios Moskau, erinnerte an Bilder aus dem tschetschenischen Grosny: „Putin schreckt nicht davor zurück, eine Stadt in Schutt und Asche zu legen.“ Das Kiew, das wir heute kennen, werde vielleicht bald nicht mehr existieren.

Unzufriedene Minderheit in Russland wächst

Fragt sich, wie ein langer Krieg auch mit vielen russischen Opfern in Putins Heimat ankommen wird. Schon jetzt, schätzt die Russland-Expertin Sabine Fischer, gäbe es eine wachsende unzufriedene Minderheit, die vielleicht 30 Prozent der Bevölkerung ausmache. Das könne man auch daran erkennen, dass die Berichterstattung der staatseigenen Sender eher Erklärungs- statt Mobilisierungspropaganda sei. Fischer fürchtet allerdings, dass die Repressionen in Russland nun noch drastisch zunehmen werden. Mittelfristig jedoch sei dieser Krieg für Putin hochgefährlich.

Der derzeitige Hauptsport solcher Diskussionsrunden, die Putin-Deutung, blieb natürlich auch hier nicht aus. Michael Roth, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, geht die Sache von außen an, spricht von „moralischer Bankrotterklärung“ und Putins „hässlicher Fratze“. Dass uns Putin jetzt daran erinnere, dass er das größte  Atomwaffenarsenal der Welt hat, zeige, dass er steht mit Rücken zur Wand stehe: „Er will Angst und Uneinigkeit im Westen erzeugen. Deshalb dürfen wir Zweifel nicht zulassen.“

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Udo Lielischkies hat in seiner Zeit in Moskau beobachtet, wie Putin die Nato aus innenpolitischen Erwägungen zum Thema gemacht habe. „Inzwischen hat Putin die innenpolitischen Regierungsgeschäfte fast sausen lassen, ist zum Hobbyhistoriker geworden.“ Woran sich die bange Frage anknüpfe, ob das jetzt sein großes Endspiel sei? Gabor Steingart hält eine Lösung des Konflikts noch für möglich. Weniger aus Vertrauen in Putins Urteilskräfte, sondern weil der kein freies Schussfeld habe: „Die Chinesen können ihm jederzeit den Stecker ziehen.“

Worauf Andrij Melnyk eine weitere Demonstration ukrainischen Kampfgeistes gibt: Er sehe drei Möglichkeiten, wo es für Putin enden wird, verkündet der Botschafter in ruhigem Ton: „Selbstmord, Putsch oder Den Haag.“

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