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Sexuelle BelästigungWDR ringt um die angemessene Aufarbeitung der Vorwürfe

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Buhrow und Schönenborn

Die Geschäftsleitung, allen voran Jörg Schönenborn (links) und Tom Buhrow, muss die Vorwürfe aufarbeiten.

Köln – Der WDR kommt nicht zur Ruhe. Im Kölner Sender herrscht große Unsicherheit. Die Stimmung ist so schlecht wie schon lange nicht mehr.  Seit vor drei Wochen erste Vorwürfe sexueller Belästigung gegen einen inzwischen beurlaubten Auslandskorrespondenten durch Recherchen von „Stern“ und „Correctiv“ bekanntgemacht wurden, kamen immer neue Vorfälle ans Licht.  Die Pressestelle erklärte bislang  stets, sie könne Detailfragen zu bestimmten Mitarbeitern   nicht beantworten, doch der Sender gehe den Vorwürfen intensiv  nach. „Unser klares Signal ist nicht erst jetzt: Wir dulden sexuelle Nötigung und Missbrauch nicht“, sagte Intendant Tom Buhrow in einem Interview.

Mitarbeiter bezweifeln Entschlossenheit der Geschäftsleitung

 Doch gerade unter den eigenen Mitarbeitern bezweifeln viele, dass die Geschäftsleitung mit der nötigen Entschlossenheit an die Aufarbeitung geht. Der WDR ist, gemessen an der Mitarbeiterzahl, nach der britischen BBC der zweitgrößte Sender Europas. Dass es in einem solchen Unternehmen auch zu Fällen sexueller Belästigung kommt, ist nicht verwunderlich.  Die Frage stellt sich, wie man mit solchen Vorwürfen umgeht.

Vor einigen Tagen appellierte Tom Buhrow im Intranet  des Senders nach Bekanntwerden neuer Fälle an die Kollegen: „Lassen Sie uns gerade jetzt einen kühlen  Kopf bewahren  und respektvoll miteinander umgehen.“ Doch genau an diesem respektvollen Umgang mangelt es nach Ansicht vieler Mitarbeiter im WDR. Wer sich im  Sender umhört, registriert eine Einschätzung häufig: Die Strukturen seien zu hierarchisch. Gerade freie Mitarbeiterinnen, Praktikantinnen und Volontärinnen seien oft ängstlich, wenn es darum gehe, Vorfälle zu melden. Viele hätten Angst, ihr berufliches Fortkommen zu gefährden. „Die Hierarchie straft keine Vorgesetzten ab“, sagt ein  Mitarbeiter. Die aktuellen Vorfälle scheinen das zu bestätigen.

Vorwürfe ins Lächerliche gezogen?

Auch die Vorsitzende des Personalrats trat kurz nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe aus dem  Interventions-Ausschuss mit ähnlichen Argumenten zurück. Ihre Begründung: „Der Personalrat hat immer wieder vergeblich gefordert,  im absolut hierarchisch geprägten WDR eine wirklich umfassende, strukturelle  Kontrolle und Ahndung von Machtmissbrauch und  Herabwürdigung gegenüber Schwächeren und Abhängigen zu gewährleisten.“  Derartige Vorschläge seien jedoch teils ins Lächerliche gezogen, teils als überflüssig oder zu aufwendig erklärt worden.  „Sie wurden abgelehnt, verwässert oder aufgeschoben.“ Sie forderte eine neue Unternehmenskultur.

Kein wirklicher Dialog mit Buhrow

Es ist ein Vorwurf, der nicht erst seit Bekanntwerden der Fälle von sexueller Belästigung, immer wieder zu hören ist.  Der Intendant rede nicht mit den Mitarbeitern. Es gebe zwar viele Veranstaltungen, auf denen es theoretisch einen Dialog geben solle. Allerdings würden Mitarbeiter, die dort Kritik äußerten, zurechtgewiesen oder man bedauere, dass die angesprochenen Probleme nicht lösbar seien. Mitarbeiter beklagen, dass sich die Gesprächskultur im Sender in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert habe. Früher hätte sie immer gewusst, an wen sie sich in einem Falle einer Belästigung hätte wenden können, berichtet eine langjährige Redakteurin. Heute sei das anders.

Die Geschäftsleitung hat unterdessen ein Paket  beschlossen, das  helfen soll,  besser gegen sexuelle Belästigung vorzugehen. Führungskräfte sollen den Angaben zufolge zusätzlich geschult und sensibilisiert werden. Zudem seien sogenannte Dialogveranstaltungen geplant. Der Sender will außerdem dauerhaft eine externe Ombudsstelle einrichten, an die sich Betroffene wenden können.

Redaktion schreibt Brief an Buhrow

Zudem gab es intern einen sogenannten Sonderdialog, bei dem über die Vorgänge gesprochen wurde. Daraufhin entstand  in der Redaktion Aktuelle Stunde/WDR Aktuell ein Brief an Tom Buhrow, den rund 70 Kollegen unterzeichneten. Sie seien in tiefer Sorge um den WDR, für den in diesen Tagen großer Schaden entstehe. „Statt mit maximal möglicher Transparenz darzulegen, was geschah, was der Sender unternommen hat, als die Vorwürfe erstmals bekannt wurden, und was er nun unternimmt, schweigt das Haus oder äußert sich allgemein und mit Verweis auf

arbeitsrechtliche Beschränkungen ausweichend. Auf diese Weise wird der Eindruck in Kauf genommen, dass etwas vertuscht werden soll oder beteiligte Personen geschützt werden sollen.“ Der WDR lebe von seiner Reputation, seiner Unbestechlichkeit, Transparenz, Neutralität und hohen ethischen Standards, nach denen alle aufgefordert seien zu handeln. „Sie stehen in dieser Situation auf dem Prüfstand. Versagen wir, in dem wir unsere Prinzipien verraten, wird dem Haus schlimmer Schaden zugefügt.“ Und weiter heißt es: „Wenn wir nun durch Zögerlichkeit, Verschleppung und Intransparenz in eigener Sache versagen, geben wir unseren Wesenskern auf und werden Glaubwürdigkeit und Vertrauen verlieren.“

Auch dies ist eine Sorge, die Mitarbeiter im Gespräch mit dieser Zeitung äußern. Wie solle der WDR künftig glaubhaft über  Missstände berichten, wenn er selbst nicht in der Lage sei, die Vorfälle umfassend aufzuarbeiten? Am vergangenen Donnerstag wandte sich auch der Personalrat in einem Offenen Brief im Intranet an die Kollegen.  Darin heißt es, die kritische Auseinandersetzung mit Missständen gehöre zum Kerngeschäft des WDR und sei maßgeblicher Bestandteil der Legitimation für die Beitragszahler. „Nur wenn wir bereit sind, ebenso kritisch mit uns selbst umzugehen, bewahren wir unsere Glaubwürdigkeit. Deswegen muss dringend ein Klima geschaffen werden, in dem Kritik zur Unternehmenskultur gehört.“ Nach Ansicht des Personalrats ist das nur durch Hilfe von außen, etwa in Form eines Beirats, möglich.

Wahl der Kanzlei irritiert

Eine andere Einflussnahme von außen lehnen allerdings sowohl der Personalrat, als auch viele Mitarbeiter ab. Dass der WDR ausgerechnet die Kanzlei als Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Belästigung auswählte, die den Sender in zahlreichen  arbeitsrechtlichen Prozessen vertreten hat, auch gegen den Mitarbeiter, der Fälle sexueller Belästigung gemeldet hatte und danach abgemahnt wurde, sorgt im Haus für Irritationen. „Bei der Beauftragung der Kanzlei ging es in einem ersten Schritt zunächst darum, möglichen Betroffenen kurzfristig eine Anlaufstelle außerhalb des WDR anzubieten. Eine schnelle Reaktion ist in solchen Fällen besonders wichtig, da für arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen Beschuldigte sehr kurze Fristen gelten“, begründete WDR-Sprecherin Ingrid Schmitz diese Entscheidung.  „Ansprechpartnerinnen sind dabei explizit zwei Anwältinnen, die den WDR bisher in arbeitsrechtlichen Fragen nicht vertreten haben. An diese haben sich bereits eine ganze Reihe von Frauen gewandt.“

Wo genau der Sender in der internen Aufarbeitung steht, wollte sie allerdings nicht sagen.  „Der WDR geht den Vorwürfen sorgfältig und konsequent nach“, ist alles, was die Pressestelle zu dieser Frage verlauten ließ.

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