Sicherheitsexpertin bei „Markus Lanz“„Die Angst vor der Atombombe ist die Waffe“

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Markus Lanz dpa 230322

Markus Lanz (Archivbild)

Hamburg – Seit fast vier Wochen führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Die russische Invasion war am Dienstagabend dementsprechend erneut Thema in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“. Zu Gast in der Sendung war auch die Sicherheitsexpertin Florence Gaub.  Sie wolle „den Leuten die Angst nehmen, dass die Welt bald zu Ende ist und wir alle in einem riesigen Atomkrieg sterben werden – das wird nicht passieren“, sagte Gaub und gab Einblick in ihre Interpretation der russischen Strategie.

Während die russischen Truppen in der Ukraine Städte belagern und die Zivilbevölkerung terrorisieren, spricht man in Moskau in diesen Tagen immer wieder über nukleare, chemische oder andere spezielle Waffen wie die Ultraschallrakete Kinschal. „Die Russen haben offensichtlich gedacht, sie könnten ganz schnell nach Kiew einmarschieren. Das hat nicht funktioniert“, erklärte Daub. Nun herrsche weitestgehend eine Feuerpause und die Russen müssten „sich etwas Neues überlegen“.

Gaub: Kreml setzt auf „Bestrafungsstrategie“

Dabei würde der Kreml nun auf eine „Bestrafungsstrategie“ setzen. „Das sehen wir in Mariupol und Kiew, wo sie zivile Ziele zerstören, um den Druck auf die politische Führung zu erhöhen“, so Daub. Auf strategischer Ebene sei es jedoch durchaus im Sinne Kiews, dass die russische Armee in Mariupol „zerfräst“ werde. Laut Daub werde es noch mehrere Wochen dauern, „bis sie Mariupol erobert haben werden.“ Dann würden die Russen aber geschwächt dastehen und das wiederum sei „ultimativ in Kiews Interesse“, erklärte die Sicherheitsexpertin. 

Die sogenannte „Punishment Strategy“ hätten bereits „die Amerikaner in Vietnam und die Sowjetunion in Afghanistan“ eingesetzt. Sie funktioniere allerdings nicht, so Daub. „Man kann damit meistens den Willen der Bevölkerung nicht brechen.“ Dennoch sei es eine „schreckliche Strategie“, bei der man „die Regierung in Kiew für den Beschuss der Zivilbevölkerung in 'Geiselhaft' nimmt.“

Für Russland „läuft ganz sicher nichts nach Plan“

Für die Russen laufe in der Ukraine „ganz sicher nichts nach Plan“, erklärte Gaub weiter. „Es konnte keiner erwarten, dass die Ukrainer, die Selenskyj noch im November nicht für einen besonders tollen Präsidenten gehalten haben, sich so für ihn mobilisieren, dass die ukrainische Armee so stark auftritt und dass die Europäer sich plötzlich vereint und stark dagegen positionieren.“ Die Frage sei nun also, wie Putin aus der Sache wieder rauskomme.

„Die Flucht nach vorne ist die Bestrafungsstrategie, aber die Ukrainer haben die bessere, die sogenannte Stachelschwein-Strategie, eine Verteidigungsstrategie", führte Daub aus. Das Ziel der Ukrainer sei es, den Russen ihren Sieg zu verweigern. Die Russen dürften keine wichtige Stadt einnehmen. „Ein Stachelschwein anzufassen, tut sehr weh. So machen sie es den Russen schwer.“

Gaub: Ukrainern ist es gelungen, den russischen Vormarsch zu verlangsamen

Zudem sei es den Ukrainern gelungen, Lieferketten der Russen zu unterbrechen und den russischen Vormarsch so zu verlangsamen, dass Moskau sich nun auf die Ostukraine konzentriere. „Krieg ist Logistik und Emotionen“, so Gaub. „Was in unseren Köpfen passiert, gehört auch dazu.“ Ein Bedrohungsgefühl herzustellen, sei genau das, was Putin und die Russen europaweit erreichen wollten, erklärte Daub. „Die Androhung von nuklearen und chemischen Waffen ist Teil der Strategie.“ Das Ziel dahinter sei: „Nicht die Bombe ist die Waffe, sondern die Angst vor der Bombe ist die Waffe.“

Diese Angst habe eine Wirkung auf Politiker und Bevölkerung. „Wenn man furchtbare Angst hat, kann man nicht mehr strategisch denken.“ Es gebe dann nur zwei Optionen, so Daub. „Für Europa war Appeasement die normale Reaktion, diesmal sind wir in die andere Richtung gegangen und haben eskaliert – damit hat Putin nicht gerechnet.“

„Die Angst ist die Waffe“

Es sei also völlig klar, dass „unsere Köpfe und Gefühle“ Ziel von „russischer Propaganda“ seien. Putin werde, so Daub, immer wieder die Worte „nuklear“,„chemisch“ oder „Überschallrakete“ ins Spiel bringen. Dabei solle man sich jedoch immer fragen, ob es nicht genau das ist, was der Kreml erreichen wolle. Denn die „Angst ist die Waffe“.

Was einen potenziellen Atomkrieg angehe, würden zudem oft zweifelhafte Vergleiche gezogen, führte Daub aus. „Da wird gern der Reaktor in Tschernobyl mit Hiroshima verglichen, obwohl das nicht vergleichbar ist.“ Ein Reaktor habe eine viel höhere Strahlung. „In Hiroshima und Nagasaki haben nach den Bombenabwürfen weiter Menschen gelebt.“ Sie wolle nichts verharmlosen, so Daub, aber „den Leuten die Angst nehmen, dass die Welt bald zu Ende ist und wir alle in einem riesigen Atomkrieg sterben werden – das wird nicht passieren.“ Wenn überhaupt werde Russland eine taktische Atombombe einsetzen. Diese kleineren Nuklearwaffen könnten ein Stadtviertel oder eine Kleinstadt verwüsten, nicht aber ganze Landstriche unbewohnbar machen. 

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Der Einsatz einer solchen Waffe ist für Daub aber nur unter bestimmten Bedingungen vorstellbar. Wenn Russland sich dazu entschließen würde, dann weil es davon ausgehe, dass die Ukraine daraufhin kapitulieren würde – davon sei derzeit aber nicht auszugehen, so Daub. „Die Ukrainer würden auch sich den Willen auch von so etwas nicht brechen lassen.“.

Für Putin sei es deshalb interessanter, mit Nuklearwaffen nur zu drohen, denn ihr Einsatz sei eine „Karte, die man nur einmal spielen kann.“ Wenn Putin die Nuklearwaffe nutze und die Ukraine daraufhin immer noch nicht kapitulieren würde, hieße das „Game over“ für Putin, erklärte Daub. „Für ihn ist die interessantere Waffe, damit zu drohen und zu hoffen, dass die Angst die Ukrainer bricht.“  

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