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Simon Rattle in der Kölner PhilharmonieDie Spannung hing am seidenen Faden

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Sir Simon Rattle

Köln – Kitschig und kunstgewerblich hat man sie genannt, die Texte, die Gustav Mahler in seiner späten Vokalsinfonie „Das Lied von der Erde“ vertonte. Aber die vom Jugendstil-Dichter Hans Bethge nach chinesischen Vorlagen geschriebenen Verse trafen offenbar genau jene Stimmung der Resignation und Weltflucht, die den Komponisten in seinen letzten Jahren erfüllte. In der tönenden Brachlandschaft des schier endlosen Schlusssatzes („Der Abschied“) will sich kein stabiler Zusammenhang mehr einstellen; hier ist alles Fragment, vage Assoziation, schemenhafte Erinnerung.

Magdalena Kožená oblag es in der Philharmonie, diesen zugleich am seidenen Faden hängenden und von einer kaum erträglichen Spannung erfüllten Satz zu gestalten. Mit emotionaler Verausgabung ist hier nichts zu gewinnen, wie die tschechische Mezzosopranistin eindrucksvoll bewies.

Mut zur Zagheit und Fragilität

Stattdessen zeigte sie Mut zur Zartheit und Fragilität – und entfaltete damit so viel zwingende Überzeugungskraft, dass man über eine halbe Stunde hinweg an ihren Lippen hing. Magdalena Kožená setzte nicht nur jede Textbotschaft hellhörig um, sie vollzog auch alle Farb- und Beleuchtungswechsel mit, die das Chamber Orchestra of Europe unter Leitung von Sir Simon Rattle so subtil wie wirkungsvoll in Szene setzte.

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Der Maestro wiederum hielt seiner Ehefrau bei den großen Aufschwüngen weitgehend den Rücken frei. Denn natürlich ist dies eine Grenzpartie für die eher im Barock- und Liedrepertoire beheimatete Sängerin, der es besonders in der Tiefe immer wieder an Kern und Fundierung mangelte. Vielleicht hatte man auch aus diesem Grunde auf die Bearbeitung des Amerikaners Glen Cortese zurückgegriffen, die Mahlers Klanglegierungen nicht antastet, aber den orchestralen Output deutlich verschlankt.

Mangel an rein physischer Stimmpräsenz

Davon profitierte auch der Tenor Andrew Staples, der Schönheitssehnsucht und Lebensgier mit lyrischer Emphase zum Ausdruck brachte, ohne auf die heldentenorale Tube zu drücken – was freilich auch außerhalb seiner Möglichkeiten gewesen wäre. Man ist bei dieser Musik an den flutenden Stimmklang von Sängern aus dem Wagner-Fach gewöhnt. Hier ging es nun einmal ganz anders zu, wobei die liedhafte und ausgesprochen kultivierte Interpretation über den Mangel an rein physischer Stimmpräsenz nicht völlig hinwegtrösten konnte.

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Vorangegangen war ein anderes Werk des Abschieds, die „Metamorphosen“ von Richard Strauss, der mit dieser polyphon verzweigten Streicherstudie 1945 die Zerstörung Münchens beklagte. Ungewöhnlich licht und beweglich wirkte das Stück unter den Händen Sir Simons, der auswendig dirigierte und an allen Pulten mit freundlich fordernder Geste die Einzelleistungen abholte, die er dann in einem flächig gestaffelten Klangbild zusammenfasste. Durch dieses freie, pulsierende Musizieren fiel vollständig der Eindruck eines gekränkten Heroismus ab, der das Werk bei all seiner kompositorischen Meisterschaft so oft belastet.  

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