Sinti und RomaAusstellung im NS-Dok gibt den Opfern ein Gesicht

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Sonja und Senta Birkenfelder, aufgenommen im Getto Radom.

Sonja und Senta Birkenfelder, aufgenommen im Getto Radom.

Köln – Der Tagebucheintrag ist nüchtern. „Bei Sekretär ein Zigeuner, namens Adler, katholisch – Die 14 000 Zigeuner im Reichsgebiet sollen in ein Lager gesammelt und sterilisiert werden, die Kirche soll einschreiten. Will durchaus zu mir. – Nein, kann keine Hilfe in Aussicht stellen“, diese Zeilen notiert Michael Kardinal von Faulhaber am 5. April 1943. Der Sinto, der an diesem Tag unter Lebensgefahr vergeblich versucht hatte, zu Faulhaber vorzudringen, war Oskar Rose. Er lebte unter falschem Namen in München.

Der Katholik versuchte, die Vertreter seiner Kirche dazu zu bewegen, gegen die Verfolgung der Sinti und Roma zu protestieren. Doch auch Bittgesuche an den Sprecher der Bischofskonferenz, die den systematischen und mörderischen Charakter der Deportationen von Sinti- und Roma Familien nach Auschwitz-Birkenau klar benannte, blieben ungehört. Die Bischöfe konnten sich nicht dazu durchringen, öffentlich die Stimme gegen die Verbrechen zu erheben.

Neue Ausstellung

Romani Rose ist der Sohn des Mannes, der damals versuchte, die Kirchenvertreter wachzurütteln. Rose ist Vorsitzender des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg und zugleich Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Am Donnerstag stellte er im NS-Dok der Stadt Köln die Ausstellung „Rassendiagnose: Zigeuner“ vor, die das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma konzipiert und erstellt hat.

Der auf den ersten Blick irritierende Titel der Ausstellung ist mit Bedacht gewählt, wie Kurator Frank Reuter betonte: „Wir wollen die Schlüsselrolle der Wissenschaft in der Vorbereitung der Vernichtung zeigen.“ Erst durch Wissenschaftler wie Robert Ritter, der die Rassenhygienische Forschungsstelle leitete, war es den Nazis möglich einzuteilen, wer als Zigeuner galt. „Die Menschen wurden einem genetischen Kollektiv zugeschrieben“, so Reuter. Auch die Kirchen machten sich schuldig, in dem sie ihre Bücher öffneten und so halfen, Genealogien zu erstellen, die teilweise bis ins 16. Jahrhundert zurückreichten.

Menschen im Mittelpunkt

Die Ausstellung soll jedoch nicht nur die systematische Verfolgung dokumentieren, sondern den Menschen, die zu Opfern gemacht wurden, wieder ein Gesicht geben. Reuter und sein Team haben viele Nachkommen der damals Verfolgten und Ermordeten besucht. Und die zeigten ihnen Familienfotos, die sich durch nichts unterschieden von denen, die andere Deutsche in jenen Jahren machten: Geburtstag, Kommunion, Hochzeit. Familienväter, die als hochdekorierte Soldaten des Ersten Weltkriegs stolz in die Kamera blicken. „Es besteht ein unglaublicher Kontrast zwischen Selbstzeugnissen und Fremdwahrnehmung“, sagt Kurator Reuter. „Wir zeigen private Fotos aus der Lebensphase, bevor sie zu Opfern gemacht wurden.“

Die Bilder widerlegen eines der hartnäckigsten Klischees über Sinti und Roma: Sie seien ein „Wandervolk“ , selten sesshaft, ruhelose Nomaden, die keine Heimat haben. Diese Vorurteile über „Zigeuner“ – eine von Klischees geprägte Fremdbezeichnung, die die meisten Sinti und Roma als diskriminierend ablehnen – waren in der Mehrheitsgesellschaft weit verbreitet und dienten den Nazis als Grundlage für Ausgrenzung und Verfolgung. Rund 500 000 Sinti und Roma starben in Europa während der NS-Zeit. Ihre Entrechtung, die Deportation und Ermordung in Deutschland und anderen Ländern wird anschaulich beleuchtet.

Szenen nach dem Weltkrieg

Doch die Ausstellung bleibt nicht im Jahr 1945 stehen. Denn nach Kriegsende ging die Diskriminierung der Überlebenden weiter. Viele kämpften Jahre und Jahrzehnte um Anerkennung des erlittenen Unrechts. 1956 wies der BGH die Klage einer Familie auf Entschädigung ab. Sie seien nicht Opfer rassischer Verfolgung geworden, sondern aus „kriminalpräventiven Gründen“ deportiert worden.

Die Täter, häufig in hohen Ämtern im neuen Staat, hatten weiterhin die Deutungsmacht über ihre Opfer. Erst die Bürgerrechtsbewegung der 70er und 80er Jahre veränderte das Bild auf Sinti und Roma. Auch darauf geht die Sonderausstellung ein. Doch auch heute noch lehnen 60 Prozent der Deutschen Sinti und Roma als Nachbarn ab, wie Romani Rose betonte. Deshalb sei es ihm wichtig, mit dieser Ausstellung nicht im Rückblick stehenzubleiben. „Kulturelle Identität und nationale Identität sind kein Gegensatz. Wir wollen raus aus der Opferrolle“. Es gehe nicht darum, Schuld zu übertragen, sondern um eine Gesamtverantwortung der deutschen und europäischen Gesellschaft. Die Demokratie sei nicht zementiert. „Sie muss jeden Tag neu verteidigt werden.“

Infos zur Ausstellung

Die Ausstellung „Rassendiagnose: Zigeuner – Der Völkermord an den Sinti und Roma und der lange Kampf um Anerkennung“ ist vom 7. Juli bis 8. Oktober im NS-Dokumentationszentrum, Appellhofplatz 23-25, in der Innenstadt zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr.

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