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Skandal um Kobe-Bryant-TweetSoll man nur Gutes über Tote sagen?

Lesezeit 2 Minuten
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Köln – Über die Toten soll man, dem griechischen Denker Chilon von Sparta zufolge, nur Gutes sagen. Felicia Somnez, eine Journalistin aus dem Politik-Ressort der „Washington Post“ schlug diese jahrtausendealte Weisheit in den Wind.

Sie postete auf Twitter – inmitten der Trauerbekundungen ob des Unfalltodes Kobe Bryants – einen Link, der zu einem langen und gründlich recherchierten Artikel über die schwer wiegenden Vorwürfe, denen sich der allseits beliebte Basketball-Star im Jahr 2003 ausgesetzt sah. Er soll eine 19-jährige Hotelangestellte in Colorado in seinem Hotelzimmer festgehalten und vergewaltigt haben.

Journalistin erinnert an alte Vergewaltigungsvorwürfe gegen Kobe Bryant

Womit sich Somnez nicht nur Todesdrohungen von aufgebrachten Fans, sondern auch den Ärger ihres Arbeitgebers einhandelte. Die „Washington Post“ schickte ihre Reporterin in Zwangsurlaub und will nun überprüfen, ob sie gegen die Social-Media-Richtlinien der Zeitung verstoßen hat.

„Democracy Dies in Darkness“ lautet der etwas martialische Slogan der „Post“. Die Journalistin hatte nichts anderes getan, als auf einen faktisch korrekten Artikel zu verweisen, um harsches Licht auf ein dunkles Detail im Leben des Jahrhundertsportlers zu werfen, der soeben in Echtzeit heilig gesprochen wurde. Die Verantwortlichen der „Post“ kuschten stattdessen vor der herrschenden Stimmung, was des renommierten Blattes unwürdig ist.

Hätte man dem Toten mehr Trauer gönnen sollen?

Aber hatte Somnez, wie ihr in etlichen Tweets vorgeworfen wurde, die Vergewaltigungsgeschichte zu früh aufgeworfen? Hätte man dem Toten, seiner ebenfalls beim Hubschrauberabsturz getöteten 13-jährigen Tochter und der trauernden Nation nicht einige Tage der Trauer gönnen sollen, bevor man in alten Wunden bohrt?

Die Antwort ist ein klares „Nein“. Als 2009 Michael Jackson starb, hatte ich in meinem Nachruf dazu aufgefordert, für einen Tag über die Anschuldigungen gegen den Sänger zu schweigen. Das halte ich inzwischen für falsch. Man mag als Teilnehmer einer Trauerfeier schweigen, in einer Zeitung soll man schreiben, wovon man guten Gewissens schreiben kann.

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Bryant und seine Anklägerin einigten sich damals außergerichtlich. Aber erst, nachdem sein Anwaltsteam die junge Frau mit einer Schmutzkampagne überzogen und ihren richtigen Namen veröffentlicht hatte, woraufhin sie von Fans bedroht und von Medien gehetzt wurde. Wie hat sie wohl die hagiografischen Nachrufe auf Kobe Bryant gelesen? Sie wird sich wohl kaum an den Punkterekorden des Basketballers berauscht haben.

Menschen sind kompliziert, und gerade wer Großes leistet, kann im Zwischenmenschlichen manchmal ganz klein handeln. Sie wollen trotzdem in Ruhe trauern und über den Toten nur Gutes reden? Dann tun sie das. Aber die Aufgabe der Medien ist genau das gerade nicht.

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