Skandalöses LebenWarum „Eine Frau bei 1000 Grad” am Kölner Schauspiel sehenswert ist

Lesezeit 3 Minuten
Magda Lena Schlott

Magda Lena Schlott

  • Die Roman-Adaption von „Eine Frau bei 1000 Grad” des isländischen Autors Hallgrímur Helgason hat am Kölner Schauspiel Premiere gefeiert.
  • Im Mittelpunkt des von Regisseur Moritz Sostmann inszenierten Stücks steht eine rebellische, alte Greisin mit einem fulminanten Leben.
  • Ist der Abend sehenswert? Unsere Theaterkritik.

Unter dem Laken ihres Krankenbettes hat Herbjörg María Björnson ihren größten Schatz versteckt. Ein Geschenk ihres Hitler-begeisterten Vaters: eine Handgranate.

Ein Kruppstahl-Ei der Freiheit für die 80-Jährige, eine Erinnerung an ihr gefährliches, unbehütetes Leben im 20. Jahrhundert. Jetzt ist ihr nur noch der Wunsch geblieben, sich als Feuerball von der Welt zu verabschieden. Keine Angst, die Granate bleibt ungezündet. Die alte Hexe hat sich bereits einen Termin im örtlichen Krematorium geben lassen, für den nächsten Montag: „Also wenn’s eng wird, komme ich einfach vorbei, und ihr schiebt mich lebend in den Ofen.“ Aber schön heiß soll es sein, mindestens 1000 Grad.

Die Alte hat es wirklich gegeben. Der isländische Schriftsteller Hallgrímur Helgason hat sie 2006 zufällig kennengelernt, als er seine damalige Frau, eine Stadträtin, mit Telefonanrufen im Wahlkampf unterstützte. Es ist alles, oder sagen wir: vieles, wahr. Ihr Vater hatte sich als Isländer der Waffen-SS angeschlossen, ihr Großvater war der erste Präsident Islands.

Helgason verarbeitete ihr skandalöses, aber wenigstens selbstbestimmtes Leben in seinem Roman „Eine Frau bei 1000 Grad“. Den wiederum Karl-Ludwig Wetzig ins Deutsche übersetzt hat und der nun, von Gabriele Hänel adaptiert, von Moritz Sostmann auf der kleinen Bühne des Schauspiel Köln am Offenbachplatz erstmals in Szene gesetzt wurde. Als Solo für Magda Lena Schlott, welche die junge Pflegerin Lóa spielt, vor allem aber die von Hagen Tilp angefertigte Puppe, die als Herrscherin über ihre Erinnerungen auf einem zerwühlten Bett residiert.

Das könnte Sie auch interessieren:

Das sind viele künstlerische Umleitungen auf dem Weg zu einem gelebten Leben. Die sich sämtlich in dem Moment als Abkürzungen zum Herz der Dinge erweisen, in dem Magda Lena Schlott dieser holzköpfigen Herbjörg María Björnson ihr — ja wessen eigentlich? — Leben einhaucht.

Ihre Pflegerin Lóa ist da nur noch Stichwortgeberin, die kettenrauchende Sterbende aber blüht umso greller auf. An der Bettlägerigen ist beinahe eine Stand-up-Comedienne verloren gegangen: In Südafrika, 1953, sinniert sie, da habe sie den Rassismus in sich wiedergefunden, von dem sie glaubte, sie habe ihn in Dänemark zurückgelassen. Prompt folgt die Pointe: „Wenn es zwei Völker gibt, die ich jemals gehasst habe, dann sind das die Buren und die Dänen.“ Nebenbei: Der multitalentierte Hallgrímur Helgason ist auch ein begnadeter Stand-up-Comedian, und das merkt man diesem monologisierenden Text denn auch an.

Der galoppiert durch das vergangene Jahrhundert, als gelte es, den Wildwuchs an Geschichte abzuschütteln, der sich in seinen Konzepten und Katastrophen angesammelt hat. Berichtet von der Geliebten des Großvaters, der Sängerin, die in London mit Freud und Canetti verkehrte, von einem Kuss, den die greise Erzählerin, hier als Fotografin in Hamburg, einem jungen John Lennon abgeluchst hat.

Das ist alles höchst amüsant. Und hat trotzdem einige Passagen, in denen man sich wünscht, dass die Regie straffer durchgegriffen hätte. Letztlich hängt der nur gut einstündige Abend an der großen Puppenspielkunst von Magda Lena Schlott, neben der Alten stellt sie uns auch noch deren nicht weniger wehrhaftes mädchenhaftes Ich vor und umreißt noch einige andere Charaktere, Kasperletheater-artig hinter dem Kopfteil des Bettes.

Der Abend kulminiert in einem mitreißenden Wahnsinnsmonolog der Alten. Den entscheidenden Satz hat sie aber schon vorher gesagt, eingeleitet mit einem Lob des Zweiten Weltkrieges, der die Menschen wenigstens von ihrer Unfähigkeit befreit hätte, ihr eigenes Leben zu leben: „Wenige Dinge kotzen die Menschen mehr an, als ihr Schicksal selbst zu bestimmen.“

Nächste Termine: 28. 1.; 6., 15. 2., Außenspielstätte am Offenbachplatz, 70 Minuten, keine Pause

KStA abonnieren