Spionage-KlassikerThriller-Autor John le Carré gestorben

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John le Carré

John le Carré

London – Es ist gar nicht so einfach, jungen Menschen, die den Kalten Krieg allenfalls vom Hörensagen kennen, diese grauen, angsterfüllten Jahre näherzubringen. Dass Deutschland ein geteiltes Land war, dass eine Mauer die kapitalistische von der sozialistischen Hälfte abtrennte, dass ganz Europa in sogenannte Systeme zerfiel, die nur dank atomarer Abschreckung nicht übereinander herfielen – das klingt schon ziemlich verrückt. Vielleicht könnte man einem Schüler anno 2020 aber auch statt eines Geschichtsbuchs einen Roman von John le Carré in die Hand drücken – die Zeit würde damit sehr eindrücklich lebendig. Le Carré war der Chronist des Kalten Kriegs; er war aber zugleich ein moralischer Seismograph, der die Essenz der Epoche in einer Sphäre einfing, die er selbst äußerst gut kannte: in der Welt der Spionage. Als David John Moore Cornwell, wie sein richtiger Name lautete, war er Geheimagent im Dienste Ihrer Majestät. Das Pseudonym John le Carré legte er sich zu, als er seinen ersten Roman, „Schatten von gestern“ („Call for the Dead“), veröffentlichte. Der britische Geheimdienst MI6 gestattete nicht, wohl aus ziemlich einsichtigen Gründen, dass schriftstellernde Spione mit ihren Klarnamen für die bizarren Geschichten einstanden, die sie in kreativer Nebentätigkeit erfanden. Für John le Carré wurde bald ein Hauptberuf daraus, nicht zuletzt deshalb, weil er einen lausigen Spion abgab, wie er selbst einmal freimütig bekannte. Bei seinem Kollegen Ian Fleming, dem geistigen Vater von James Bond, ist das Agentenleben ein glamouröser Rausch, der allabendlich mit einem Cocktail, geschüttelt, nicht gerührt, begossen wird. Le Carré beschreibt den Spion als technokratischen Typen, der eher Selters statt Sekt trinkt, und dessen idealtypische, auffällig unauffällige Physiognomie und Psychoausstattung sich mit den Jahren in seiner Hauptfigur, dem Schlapphut George Smiley, ausformte, der es sogar in eine leitende Stellung beim MI6 brachte. Smiley ist das radikale Gegenteil des Draufgängers, er agiert als skrupulöser Stratege, der von Misstrauen durchdrungen ist und die Welt als einzige Fassade wahrnimmt – hinter der sich allerdings keine Wahrheit verbirgt, sondern nur eine neue Illusion, ein weiteres Lügengespinst. George Smiley ist die Inkarnation des Kalten Krieges, der sich als brütender, permanenter Zustand gegenseitigen Belauerns dahinschleppte und von grübelnden Angestellten in unpersönlichen Büros verwaltet wurde. Oft rauchten diese Zeitgenossen Pfeife. Smiley war le Carrés Held, dem alles Heldenhafte fehlte – seine berühmteste, seine sprichwörtlich gewordene Figur aber ist bis heute „Der Spion, der aus der Kälte kam“. Mit diesem, seinem zweiten Roman gelang dem Autor 1963 der Durchbruch. Im Jahr zuvor hatt die DDR in Berlin die Mauer errichtet: Der Kalte Krieg hatte sein Symbol und Schandmal, und le Carré die literarische Verdichtung all seiner Obsessionen und Ängste. George Smiley taucht auch in dieser Geschichte auf, doch nur als Randfigur; ihr Protagonist ist der Leiter des Berliner Büros des britischen Secret Service, Alec Leamas, der in seinem Widersacher Mundt einen auch politisch gewieften Gegner findet. Als einen Roman erster Güte pries der Verlag Victor Gollancz die Erstausgabe gleich auf der Umschlagseite an, als eine „schreckliche Geschichte“, die durch Akkuratesse und politisches Gewicht beeindruckte. Und immens spannend sei sie obendrein. Diese Sätze konnten nicht als Werbung für das eigene Buch abgetan werden – hier schlug vielmehr das Sendungsbewusstsein für ein literarisches Werk durch, in dem sich nach dem Schock des Weltkriegs das Erstarren vor einer weiteren Konfrontation von globalen Ausmaßen kristallisierte. Nur zwei Jahre nach seinem Erscheinen wurde der Roman von Martin Ritt verfilmt, Richard Burton, Oskar Werner und Claire Bloom waren in den Hauptrollen zu sehen. Der 1931 in Poole im südlichen England geborene le Carré war der deutschen Sprache mächtig: In der Schweiz hatte er Germanistik studiert, als Angehöriger des britischen Nachrichtendienstes vernahm er nach dem Krieg in Österreich Flüchtlinge aus dem sozialistischen Osten. Man könnte annehmen, dass sich die Faszination seiner Geschichten mit dem Ende der Systemkonfrontation ebenfalls in Luft aufgelöst habe, doch das ist nicht der Fall. Noch 2011 verfilmte der Schwede Tomas Alfredson den Roman „Tinker, Tailor, Soldier, Spy“ („Dame, König, As, Spion“), neben Gary Oldman als George Smiley spielten Colin Firth, Tom Hardy, Mark Strong, Benedict Cumberbatch und John Hurt in dieser zweiten Kinoadaption des Stoffs. Und auch Romane wie „Das Russlandhaus“ hallen wie Echos einer Zeit, die zwar vergangen ist, in le Carrés Bücher aber eine unvergessliche Präsenz gewonnen hat. Er selbst blieb neben seiner Schriftstellerei ein hellwacher politischer Beobachter, zuletzt eine erbitterter Kritiker des Brexit und der Regierungsarbeit von Boris Johnson – noch im vergangenen Jahr erhielt er dafür den Olof-Palme-Preis. Als großer Humanist hat John le Carré dieser Zeit getrotzt, über die er so oft geschrieben hat. Im Alter von 89 Jahren ist er nun gestorben.

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