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StadtbildKann denn Bauen Sünde sein?

Lesezeit 4 Minuten
  • Turit Fröbe stellt ihr Bestimmungsbuch für Architektur in Köln auf die Probe

In Köln neigt man gemeinhin der Ansicht zu, in der Hauptstadt der Bausünden zu wohnen oder wenigstens in einer Metropole der „Wird schon keiner merken“-Architektur. Aber Turit Fröbe, seit ihrem Bestseller „Die Kunst der Bausünde“ anerkannte Fachfrau für die hübsch-hässliche Stadt, hat es bisher nicht nach Köln gezogen, und auch an diesem Montag hat sie für ihren Rundgang durch Neuehrenfeld „keinen Plan“. Sollte alles gar nicht so schlimm sein wie gedacht (oder klammheimlich erhofft)? Oder spart sich Fröbe das Beste für zuletzt auf?

Offiziell ist Fröbe nach Köln gereist, um ihr neues Buch „Alles nur Fassade“ bei einem Spaziergang vorzustellen und auf seine Praxistauglichkeit zu untersuchen. Es ist ein typisches Bestimmungsbuch, nur eben nicht für Pflanzen, sondern für Stile der modernen Architektur. „Fenster sind meine Blüten“, sagt Fröbe, was nach kurzer Eingewöhnung tatsächlich erstaunlich gut funktioniert. Aber ins Herz ihrer Mission führt ein anderer Satz: „Viele Menschen haben das Gefühl, in einer hässlichen Stadt zu leben. Aber wenn man anfängt, richtig hinzusehen, zeigt sich, wie viel Schönheit in moderner Architektur steckt.“ Möglicherweise sind Fröbe und ihr Buch gerade noch rechtzeitig nach Köln gekommen.

Sie selbst habe ein Jahrzehnt gebraucht, so Fröbe, um Architektur wirklich lesen zu können – und die üblichen Architekturführer seien dabei keine Hilfe gewesen. Entweder weil sie die zeittypischen Stilmerkmale nur an den Ikonen erklären, ohne sich um die Alltagsarchitektur zu scheren. Oder weil sie an niederschwelliger Architekturlehre kein Interesse zeigen. Hier will Fröbe mit ihrem „Allround-Reiseführer“ Abhilfe schaffen und dem Stadtbewohner ein „Werkzeug für die Straßennutzung“ an die Hand geben. Das Buch ist als „Sehschule“ konzipiert, in der man immer sicherer wird – und das Stadtbild mit anderen Augen sehen lernt.

Das Buch führt zunächst in die verschiedenen Fensterformen ein, weil das Fenster im 20. Jahrhundert Stuck und anderen Zierrat als markantes und „verräterisches“ Gestaltungsmerkmal abgelöst hat. Anhand von Formaten, Sprossen und Materialien lässt sich sicher auf die Baustile von Jugendstil, Expressionismus oder Dekonstruktivismus schließen, und auch einzelne Jahrzehnte lassen sich gut bestimmen – sofern die Fenster nicht gegen einen ganz anderen Typus ausgetauscht wurden. Die einzelnen Baustile werden dann kurz und knapp ebenfalls nach Formen und Materialien aufgeschlüsselt, Exkurse zu Siedlungsbau, zur DDR-Architektur und zu zeittypischen Ikonen runden die Kapitel ab. Ganz nebenbei ist so eine kurze Geschichte der deutschen Architektur im 20. Jahrhundert entstanden.

Beim Selbstversuch auf der Subbelrather Straße – der Grenze zwischen Ehrenfeld und Neuehrenfeld – stößt Fröbe zuerst auf ein Gebäude, an dem auch sie nur verzweifeln kann. „Gekappte Gründerzeitarchitektur“, lautet ihr durchaus wörtlich zu verstehendes Urteil: Das Gebäude steht ohne obere Stockwerke wie abgeschnitten in der Gegend. Immerhin taugt es noch als Beispiel für die „durchgemeterten“, sich also gleichmäßig wiederholenden Fassaden der Gründerzeit, mit denen das Gebäudeinnere erfolgreich maskiert wurde. In den 1950er Jahren, so Fröbe, sieht man dagegen jedem Fenster an, was sich hinter ihm verbirgt.

Auf Höhe der Straßennummer 327 ist dann Fröbes Jagdinstinkt nach guten Bausünden geweckt – sie legt das Bestimmungsbuch kurz beiseite, um den Fotoapparat zu zücken. Gute Bausünden sind solche, die auffallen, weil eine architektonische Ambition auf Abwege geriet. In diesem Fall gibt eine mehrzackige Dachbekrönung, die dem 70er-Jahre-Bau ganz zeittypisch eine plastische Silhouette verleiht, den Ausschlag. Auch das Haus daneben „will was“, so Fröbe. Das Gesims, die ums Eck laufenden Fenster, die Fassadenstruktur – alles spreche für gesunden gestalterischen Ehrgeiz, der sich allerdings nur schwer gegen die missglückte „Überformung“ des Erdgeschosses behaupten kann.

Am Ende dieser kurzen Sehschule erkennt man das Muster, mit dem uns Turit Fröbe erfolgreich die Schönheit im scheinbar Hässlichen nahe bringt: Je stärker man sich ins architektonische Detail vertieft, desto leichter lässt sich der Flickenteppich des großen Ganzen übersehen.

Turit Fröbe: „Alles nur Fassade?“, DuMont Buchverlag, 176 Seiten, 500 Abbildungen, 20 Euro.

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