Stadtgarten-Chef klagt„Köln ist eingeschlafen, die Politik hat versagt“

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Abschied vom Stadtgarten: Reiner Michalke 

Köln – „Die Erleichterung überwiegt“, sagt Reiner Michalke, die Freude darüber, die Verantwortung für 400 Konzerte im Jahr los zu sein. Da bleibe trotz des großen Bruchs nur ein Stückchen Wehmut. Am 30. Juni wird er die Künstlerische Leitung des Kölner Stadtgartens abgeben, die er seit 1986 innehatte. Er ist 65 Jahre alt, den Wechsel hat er bereits seit fünf Jahren vorbereitet.

Eine Lebensaufgabe: Ohne Michalke hätte es das Europäische Zentrum für Jazz und Aktuelle Musik, als das der Stadtgarten heute firmiert, nicht gegeben. Bereits Ende der 1970er Jahre hatte Michalke die Initiative Kölner Jazz Haus gegründet, mit dem erklärten Ziel, die leerstehende Immobilie in Kölns ältester innerstädtischer Grünanlage als Spielort der quirligen Jazzszene der Stadt urbar zu machen. Zuerst gegen den Widerstand der Lokalpolitik, später mit Unterstützung des damaligen Oberstadtdirektors Kurt Rossa, heute als von Stadt und Land geförderte, vielfach ausgezeichnete Spielstätte mit Weltruf.

Ein Riesenerfolg also und trotzdem, schränkt Michalke ein, hätte man nicht alle Ziele erreicht. „Wir sind damals angetreten, um schwierige Musik einem größeren Publikum zu vermitteln, das haben wir nicht geschafft. Jedenfalls ist da noch Luft nach oben.“ Das liege freilich auch dran, dass ein großer Teil der potenziell Interessierten in den vergangenen Jahrzehnten in die große Stadt im Osten geflüchtet sind. Köln ist ausgedünnt und nicht ohne Nostalgie blickt Michalke auf die 80er Jahre zurück, in denen Kunstschaffende aus der ganzen Welt nach Köln zogen.

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Die positiv Verrückten müssen in Köln bleiben

„Da hat die Kölner Kulturpolitik ihre Aufgabe nicht erfüllt. Köln ist eingeschlafen. Dabei haben wir immer noch Dinge, die passieren wirklich nur hier!“ Das wirke europaweit, nur in der Stadt selbst werde es wenig wahrgenommen. „Da muss man noch Feuer geben. Die positiv Verrückten müssen in der Stadt bleiben, neue Kreative zuziehen, sonst schafft man keine Aufbruchsstimmung in der Stadt.“ Reiner Michalke hatte das Glück in einem anderen Köln aufzuwachsen, einem Köln, das sich die wichtigste Musikstadt Deutschlands nennen konnte. „Damals war hier so eine kritische Masse entstanden.“

Die großen Labels saßen in Köln, Kulturinstitute hatten hier ihre Dependancen, Gigi Campi holte Jazzgrößen aus aller Welt in sein Café auf der Hohe Straße, hier spielten Can und Stockhausen, der WDR betrieb noch sein Studio für Elektronische Musik und die internationale Big-Band, die Kurt Edelhagen zusammengestellt hatte. An der Musikhochschule hatte Edelhagen eine der ersten Jazzklassen Europas aufgebaut. Wenn der Avantgarde-Trompeter Manfred Schoof hier dozierte, pilgerte der 15-jährige Michalke mit seinem Freund Helmut Zerlett an die Hochschule.

Abgebrochene Musikkarriere

Reiner Michalkes Instrument war der Bass, den mottete er nach der Eröffnung des Stadtgartens jedoch ein. Ob er die abgebrochene Musikkarriere jemals bereut hat? „Nein. Als ich das erste Mal [den Weather-Report-Bassisten] Jaco Pastorius auf Tonband hörte, habe ich nächtelang versucht, herauszukriegen, wie der das nur macht. Da reifte in mir die Erkenntnis, dass ich meinen eigenen Ansprüchen als Musiker nicht gerecht werden konnte. Hinter der Bühne bin ich nützlicher als auf der Bühne.“

Der schönste Teil seines Berufes sei es, zu Festivals auf der ganzen Welt zu reisen, dort neue aufregende Musik zu entdecken, oder sich mit Kollegen darüber auszutauschen, was sie gehört haben. „Von uns gibt es vielleicht 50 auf der ganzen Welt.“ Darauf wird Michalke auch nach seinem Abschied nicht verzichten müssen.

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Gut zehn Jahre lang hatte er quasi nebenberuflich das Moers Festival geleitet, nun hat er mit der Monheim Triennale ein neues Musikfestival ins Leben gerufen, das ausdrücklich keine „Jazz-Kiste“ sein soll, sondern aufregende, fordernde, genresprengende Musik präsentieren will. Die Klänge von morgen, direkt am Rhein. „Da geht es nicht um die Frage ‚Gefällt’s mir?‘“, sagt Reiner Michalke, „sondern um die Frage: ‚Ist es wichtig?‘“

Auch in seinem 66. Lebensjahr schaut er lieber nach vorne als zurück. Kornelia Vossebein, seine Nachfolgerin als Programmchefin im Stadtgarten, habe jetzt die Gelegenheit „ein paar alte Zöpfe abzuschneiden und das Programm zu verjüngen“. Das Kölner Renommier-Haus hinterlässt er bestens aufgestellt, die Erleichterung hat er sich redlich verdient. 

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