Streit über Literaturkritik im WDR„Die allermeisten wollen Veränderung“

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In welcher Form und in welchem Umfang über Literatur berichtet werden soll, ist zurzeit ein Streitthema beim WDR.

  • Der Kulturchef des WDR, Florian Quecke, äußert sich zum Streit über die Literaturberichterstattung bei WDR 3, die richtige Musikauswahl und neue Formen der Vermittlung.
  • Den oft geäußerten Vorwurf, das Kulturprogramm des WDR sei seichter und populärer geworden, weist er zurück: "Wir wissen sehr genau, was unser Auftrag ist."

Herr Quecke, über Art und Umfang Literaturberichterstattung bei der Kulturwelle WDR 3 wurde zuletzt heftig diskutiert. Wie wird es also weitergehen ?

Wir wollen die Literaturberichte ausbauen und vor allem vielfältiger gestalten. Das gilt auch für die tägliche, frühmorgens um 6.45 Uhr ausgestrahlte Literaturrezension in ihrer jetzigen Form. Sie kann nicht mehr das alleinige Mittel der Wahl sein, Literatur anzubieten. Um mehr Publikum für Literatur zu begeistern, muss die Berichterstattung vielfältiger sein. Dazu gehören weiterhin Rezensionen, klassisch als sogenannter gebauter Beitrag, dazu gehören aber auch Interviews, Autorengespräche, Kollegengespräche, auch mal ein Verriss oder die Empfehlung einer Buchhändlerin. Es gibt vielfältige Formen, Literatur anzubieten. Wir planen zudem, die Literatur am Abend in WDR 3 deutlich auszubauen. Wir sind davon überzeugt, dass wir damit unsere literaturbegeisterten Hörerinnen und Hörer überzeugen und Neugier auch bei neuen Zielgruppen wecken.

Der Aufschrei von Kulturinstitutionen ist bei solchen Entscheidungen regelmäßig sehr laut und heftig. Da ist offensichtlich bei vielen das Vertrauen in den WDR verloren gegangen.

Kaum eine Landesrundfunkanstalt engagiert sich mehr für Kultur als der WDR. Wir haben deshalb mit den Literaturverlegern gesprochen und etwaige Missverständnisse ausgeräumt.

Es gibt die Ansage an Autorinnen und Autoren, dass Beiträge nicht länger als fünf Minuten sein sollen. Kann man dem Hörer nicht zumuten, auch mal länger zuzuhören?

Wenn wir merken, ein Buch braucht mehr Zeit, wird es auch mehr Zeit kriegen. Wir wollen versuchen, auch in kürzeren Formaten Literatur vorzustellen. Das Mediennutzungsverhalten der Menschen verändert sich. Aber wir bieten im WDR immer noch lange Formate an und werden auch große Interviews führen.

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Florian Quecke

Muss sich der WDR nicht mindestens eine Welle leisten, bei der es eben nicht darum geht, leicht konsumierbar zu sein? Muss man die Hörer nicht auch mal fordern?

Wenn ich mit einer Medizinerin über Corona spreche, möchte ich, dass sie etwas so erklärt, dass ich es verstehen kann. Und das erwarten wir von unseren Moderatorinnen und Moderatoren auch. Sie sollen auf Augenhöhe mit der Mehrzahl der Hörerinnen und Hörer agieren. Gleichzeitig brauchen wir auch Flächen, wo wir intellektuelle Ansprüche stellen. Beides ist wichtig. Wir stecken sehr viel Geld in die Kultur, und ich möchte so viele Menschen wie möglich erreichen, denn es ist schließlich ihr Geld. Und ich möchte auch jene erreichen, die unsere Angebote im Moment noch nicht nutzen. Dafür müssen wir schauen, wie wir ihren Interessen gerecht werden. Dafür machen wir Umfragen, führen jetzt auch Tiefeninterviews.

Das Programm ist also nicht populärer und seichter geworden?

Unser Ziel ist es, mehr über unsere Nutzerinnen und Nutzer zu erfahren und sie dann bei ihren Interessen abzuholen. Das ist ein Unterschied. Es gibt ja auch Themen, die entsprechen nur dem Interesse des Redakteurs. Das kann es nicht sein. Unser Ziel ist es, mit hochwertigen Inhalten die Interessen möglichst vieler Menschen zu erreichen und neue zu wecken.

Haben also Ihre Mitarbeiter ein falsches Verständnis?

Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereit, etwas zu verändern und stellen sich darauf ein. Die sehen das genauso wie ich. Bei vielen freien Autorinnen und Autoren spielt natürlich auch die finanzielle Situation eine Rolle, und sie kämpfen für etwas auch aus anderen als nur inhaltlichen Gründen. Das erklärt, warum manchmal etwas in die Öffentlichkeit getragen wird, obwohl wir es noch nicht zu Ende gedacht haben. Aber die allermeisten wollen Veränderung. Wir haben bei WDR 3-Hörer verloren und die Verweildauer ist gesunken. Das war für uns ein Alarmsignal zu schauen, wie wir den Trend stoppen können.

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Sie sprachen kürzlich in einer Besprechung davon, dass Emotionalität in der Kulturberichterstattung wichtig sei. Ist das nicht gefährlich, sie darauf auszurichten?

Kultur ist in ganz großen Strecken Emotionalität. Wenn jemand im klassischen Konzert Tränen in den Augen hat, ist das Emotion pur. Wir bieten Kultur an, die man mit Genuss sehen oder hören kann. Daneben gibt es auch intellektuell herausfordernde Kultur. Beides im Sinne unseres Publikums.

Sie haben eine Studie gemacht, um zu erfahren, welche klassische Musik sich Ihre Hörer wünschen. Wenn man liest, dass viele der Befragten angaben, ansonsten 1Live zu hören, fragt man sich schon, wie sinnvoll das ist.

Wir haben 2018/2019 eine große Studie gemacht, um mehr über den Geschmack der klassikaffinen Hörerschaft zu erfahren und dazu über 1000 Hörerinnen und Hörer befragt. Die größte Überschneidung gibt es mit WDR 2, und ja, viele von ihnen hören auch 1Live. Dass WDR-3-Hörerinnen und -Hörer auch ein Massenprogramm hören, ist üblich. Trotzdem können sie sich aber doch über ihren Musikgeschmack im Bereich Klassik äußern. Wir machen das nicht zum alleinigen Auswahlkriterium. Aber wir wollen mehr von der Musik anbieten, die sich Hörerinnen und Hörer wünschen. Wir bieten Menschen am Morgen Musik an, die sie gut finden, mit der sie gut in den Tag einsteigen. Ein Kulturradio muss zwei Sachen schaffen: auf die Wünsche der Hörerinnen und Hörer eingehen und gleichzeitig herausfordern.

Den Vorwurf, dass sich der WDR von Quoten oder Marktanteilen treiben lässt, weisen Sie zurück?

Den weise ich zurück. Wir wissen sehr genau, was unser Auftrag ist. Wir haben neben unserem klassischen Kulturradio WDR 3 zwei weitere Programme mit einem hohen Kulturanteil: unser Informationsradio WDR 5 und das junge europäische Radio Cosmo. Nicht zu vergessen ist, dass wir vor zwei Jahren die Kulturredaktionen in einem crossmedialen Ressort gebündelt haben. Es ist jetzt unsere Aufgabe, neue Ideen und Erzählformen zu entwickeln, um die Menschen auch auf anderen Wegen für die Kultur zu begeistern – und zwar im linearen Programm ebenso wie im Digitalen.

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