Münchner „Tatort“-Kommissare im Interview„Jeder kämpft für seine Rolle“

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Die beiden Münchner Kriminalhauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec, rechts) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, Mitte) mit ihrem Kollegen Kriminalkommissar Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) im Jubiläumsfall.

  • Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl bilden seit vielen Jahren das Münchner „Tatort“-Kommissar-Duo Ivo Batic und Franz Leitmayr.
  • In den Folgen zum 50-jährigen Jubiläum (Folge eins am 29. November, 20.15 Uhr in der ARD) ermitteln die Beamten zusammen mit dem Dortmunder Team.
  • Im Interview sprechen die beiden Münchner über die besonderen Folgen, den Hype um das Format „Tatort“ und ihre langjährige Erfahrung.

Herr Nemec, Herr Wachtveitl, seit 50 Jahren gibt es den „Tatort“, seit fast 30 Jahren sind Sie dabei. Aber dieser Hype um das Format. Haben Sie dafür eine Erklärung? Miroslav Nemec: Es hat sich sehr gesteigert in den letzten zehn Jahren, das stimmt. Ich hatte manchmal das Gefühl, es gibt im Fernsehen nichts anderes mehr als den Tatort. Wir wurden sogar als Insider angefragt, weil Studenten eine Doktorarbeit über den Tatort schreiben wollten. Früher war das Format nur eines von vielen. Warum das jetzt so ein Hype ist, ist schwer einzuschätzen, aber z.B. kamen die Public Viewings dazu. Die jungen Leute wollen nicht nur zu Hause vor dem Fernseher sitzen, sie mögen diese Kneipensituation. Es ist Sonntagabend, nicht zu spät, man ist zusammen, kann etwas trinken und schaut sich das gemeinsam an und kann mitraten.

Udo Wachtveitl: Wir leben in einer Zeit, in der gerade die audiovisuellen Medien uns überall und dauernd schnelle Häppchen aufdrängen, neue Sensationen. Da tut es ganz gut, wenn es so ein altes Schlachtross gibt. Die Verantwortlichen sind gut beraten, wenn sie das Grundkonzept des „Tatort“ – eine spannende Krimigeschichte, die spannend erzählt ist – nicht zu sehr verändern. Es gab ja auch mal die Überlegung, das Intro modisch aufzupolieren. Ich halte nichts von all diesen Mätzchen, wenn die Substanz drunter leidet.

Warum nicht?

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Wachtveitl: Es ist schwierig und herausfordernd genug, eine Krimigeschichte gut zu erzählen. Das muss der Kern des „Tatort“ sein. Ich glaube auch, dass darin eine mögliche Erklärung für den Erfolg liegt. In einer Welt, die sich dauernd ändert, wo dauernd irgendwelche Intensitäten um unsere Aufmerksamkeit buhlen – Schau mich an! Klick mich an!  – tut es gut, ein paar verlässliche Punkte zu haben. Manche Marken zeichnen sich ja eben dadurch aus, dass sie sich nicht allen neuen Moden andienen. Auch dafür ist Platz.

Es gibt seit Jahren die Diskussion, wie viele Experimente der „Tatort“ verträgt. Der ARD-Fernsehfilm-Koordinator Jörg Schönenborn bezeichnet das Münchner Team als Traditionalisten. Zeigt Ihr Erfolg, dass die Leute gar keine Innovationen wollen?

Wachtveitl: Ich sehe uns nicht als Traditionalisten. Es gab durchaus experimentelle Geschichten bei uns, erst jüngst mit "Unklare Lage". Meine Haltung dazu ist: Wenn es gut ist, darf es auch experimentell sein. Mir zum Beispiel hat dieser „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Tatort mit Murot gut gefallen. Aber nur weil etwas neu und experimentell ist, ist es nicht schon gut. Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen altbacken und bewährt. Es gibt nur das Kriterium der Qualität. Wenn das erfüllt ist, kann man ruhig experimentieren. Man muss es sogar.

Nemec: Wichtig ist natürlich, dass man es versteht. Die Erzählweise kann anders sein, aber man muss begreifen, worum es geht.

Wachtveitl: Man muss dem Zuschauer nicht alles vorgekaut servieren, man muss auch nicht alle zehn Minuten nochmal alles zusammenfassen, damit es auch der versteht, der gerade Bier holen war. Aber er muss eine faire Chance haben, die Geschichte von vorne bis hinten zu verstehen. Das ist mein Anspruch. Es darf sich nicht hinter einer raunenden Undurchsichtigkeit eine schwache Geschichte verbergen.

Ist da noch künstlerische Rivalität zwischen Ihnen nach all den Jahren?

Nemec: Ständig. Wir hatten jetzt wieder Drehbuchbesprechung, und es ist so, wie es immer war: Jeder kämpft für seine Rolle. Und natürlich fürs Ganze. Das macht uns kreativ und hält frisch.

Wachtveitl: Natürlich sagt jeder: Ich gönn dir die gute Szene, die du da hast. Aber ich hätte sie lieber selbst.

Wenn man so lange wie Sie dabei ist – welche Routinen sind dann gut, welche schlecht?

Wachtveitl: Wenn man als junger Schauspieler ans Set kommt, ist man sehr verunsichert. Es sind neue Leute, Abläufe, die man noch nicht kennt, ein einschüchternder Apparat. Man muss in dem Beruf ja auch sehr viele technische Anforderungen erfüllen. Bei vielen Büroszenen z.B. ist der Boden übersäht mit Klebemarken, die anzeigen, wo man stehen muss. Aber hinschauen sollte man natürlich nicht. Eine gewisse Routine ist hilfreich, um sich durch all das nicht ablenken zu lassen davon, worum es eigentlich geht, was man sich künstlerisch vorgenommen hat. Es gibt aber auch eine schlechte Routine, nach dem Motto: Kenne ich, weiß ich, war ich schon, hab' ich immer so gemacht, mache ich jetzt wieder so. Dann wird es irgendwann zum Klischee.

Dagegen hilft etwas Neues wie der Jubiläumsfall, in dem Sie mit dem Team aus Dortmund ermitteln?

Wachtveitl: Ja, denn meinen Miro kenn ich ja schon. Das hat viel Gutes, weil wir uns über viele Sachen nicht verständigen müssen. Aber bei diesem Fall war es natürlich eine ganz neue Aufregung, in einer neuen Stadt, in einem neuen Polizeipräsidium mit anderen Kollegen zu drehen. Wir sind ja auch im ersten Fall nicht die Hauptrollen, auch das ist eine neue Erfahrung. Man muss in dem Beruf immer neugierig bleiben. Das hört sich an wie ein Klischee, aber manchmal treffen Klischees ja auch zu.

Im Jubiläumsfall geht es um die Mafia. Eine gute Themenwahl? Hätte es nicht Themen gegeben, die gerade relevanter sind?

Nemec: Ich halte es nach wie vor für ein relevantes Thema. Das ist nichts, was wir hinter uns gelassen hätten, sondern immer noch vor uns haben. Es ist in der Öffentlichkeit nicht so präsent, aber es ist existent. Ich würde es nicht unterschätzen wollen. Natürlich kommt jetzt bei der Themenwahl auch die Frage auf, ob man schon etwas über die Pandemie hätte machen können. Aber das wäre zu knapp und deswegen auch nicht möglich gewesen. Wenn die Pandemie irgendwann besiegt ist, kann man ja die ganze Geschichte rückblickend mit Happy End erzählen.

Schauen Sie sich eigentlich Ihre eigenen Filme an?

Wachtveitl: Seit einigen Jahren nicht mehr. Wir mussten das früher für die Pressekonferenzen, und es war eine Qual: Ich wollte mir jedes Mal zurufen: Nein, schau anders. Warum bist du so leise, so laut? Warum hast du das nicht besser gespielt? Man darf das aber nicht mit Desinteresse verwechseln, es ist eher Bangigkeit. Ich sammele die Filme und irgendwann schaue ich sie mir auch an, aber im Moment geht es mir noch so wie den Menschen, die ihre Stimme zum ersten Mal auf dem AB hören und denken: Das bin doch gar nicht ich.

Gucken Sie denn, was die Konkurrenz macht?

Wachtveitl: Da geht es mir so wie vermutlich vielen Leuten. Ich gucke regelmäßig die Nachrichten und da lappt man dann ja hinein. Wenn es mich fängt, bleib ich auch dabei. Aber als Konkurrenzbeobachtung, als marktstrategische Hausaufgabe sehe ich das nicht.

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Nicht viele bleiben so lange dabei wie Sie. Haben Sie den Absprung verpasst oder hat diese Konstanz auch Vorteile?

Nemec: Es ist, wie es ist. Wir haben viele andere Sachen gemacht und tun das auch weiterhin. Im Nachhinein darüber nachzudenken, ob man hätte irgendwann aussteigen sollen, ist müßig. Man muss jetzt vorandenken, ob man noch weiteres Mutiges machen kann. Und die anderen Dinge, die ich mache – Theater, Lesungen, Konzerte, andere Filme – haben für mich genauso ein großes Gewicht. Die fallen dem Zuschauer nur nicht ganz so auf, weil der „Tatort“ so dominant ist.

Wachtveitl: Diese Popularität hat Vor- und Nachteile. Für manche Projekte kamen wir überhaupt erst in Betracht, weil man sich eine gewisse Popularitäts-Abschöpfung dadurch erhoffte, einen „Tatort“-Kommissar zu besetzten. Es ist müßig, darüber nachzudenken. Es hat Vor- und Nachteile, Vorteile überwiegen wahrscheinlich.

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