Piefiges LokalkoloritSorry, „Tatort“, aber du nervst einfach nur noch!

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München trifft Dortmund in der Doppel-Jubiläumsfolge „In der Familie“.

Köln – Verehrter Herr Wachtveitl! Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Mit Ihrem Geständnis haben Sie mich aus einer äußerst unangenehmen Lage befreit. „Ich mag mich nicht sehen“, haben Sie öffentlich bekannt. Und dass Sie Ihr Lebenswerk als „Tatort“-Kommissar als DVD-Sammlung in einer Kiste horten. Mit Verlaub. Sie sind nicht allein. Ich kann Sie auch nicht mehr sehen. Nehmen Sie das bitte nicht persönlich.

Selbst die Doppel-Jubiläumsfolge am ersten und zweiten Advent mit Ihren Dortmunder Kollegen, die ihre Mörder dauernd in irgendwelchen Industriebrachen suchen müssen, weil das im Ruhrpott eben so ist, werde ich mir nicht mehr antun. 

Zu viele Klischees

Bei allem Respekt vor der Lebensleistung Ihrer Kollegen und Ihrem Mut, dieses Geständnis abzulegen, das vermutlich eine Premiere in der „Tatort“-Geschichte ist. Der Fernsehkommissar, der sich selbst nicht sehen kann. Das wäre mal ein „Tatort“-Stoff. Aber ich halte das nicht mehr aus. Dieses Aneinanderklatschen von Klischees, dieses piefige Lokalkolorit.

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Für die „Tatort“-Regie hat sich im Ruhrpott seit Schimanski und Thanner nichts verändert. Kommissar Faber ermittelt auch 2019 noch in einer Zechensiedlung. Eine Leiche im Bergarbeiter-Milieu. Glückauf!  Und Dortmund sieht exakt so heruntergekommen aus wie Duisburg in den 80ern, als Schimi wenigstens mal einen Fernseher aus dem Fenster schmeißen durfte und für Aufruhr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sorgte, weil er zum ersten Mal „Scheiße“ in den Mund nahm.

Immer wieder die Wurstbraterei

Werter Herr Wachtveitl! Sie haben ja selbst völlig zu Recht geklagt, dass der „Tatort“ in Klischees erstickt, die Armen nie die Mörder und die Reichen immer böse sind. Und sprechen mir damit aus der Seele. Waren Sie schon mal in Köln? Die Stadt, in der Freddy Schenk und Max Ballauf bis vor kurzem jeden geklärten Fall an einer Wurstbraterei mit Dom-Blick in der Abenddämmerung beschließen mussten, nachdem sie in    79 Folgen gefühlte hundertmal mit beschlagnahmten  Zuhälterkarren aus dem Fuhrpark der Polizei über die Deutzer  Brücke gefahren sind? Ach, wäre diese Oldtimer-Show  wenigstens der genialen Idee eines Drehbuchschreibers zu verdanken!

Aber nein. Freddy fährt durch Köln im Chevrolet Corvette Stingray, im Ford Courier Sedan Delivery, im Lincoln Continental Mark IV, im Buick Skylark, im Cadillac Eldorado oder Opel Diplomat V 8  aus einem völlig banalen Grund. Nach Vorwürfen des Product Placement entschloss sich der WDR, nur noch Film-Autos einzusetzen, die älter als drei Jahre sind. Deshalb gibt es neben der Wurstbraterei immer einen zweiten Ort, den Ballauf und Schenk aufsuchen müssen. Die Halle, in der die beschlagnahmten Karren stehen.

Ballauf erfindet sich neu

Die Wurstbraterei mussten die Macher des Kölner „Tatorts“ nur aus dem Drehbuch schreiben, weil deren wahre Besitzer in Rente gingen und keinen Nachfolger fanden. Sie wird ihr Dasein im Freilichtmuseum Kommern beschließen. In der Eifel. Ballauf und Schenk hingegen ermitteln weiter, der eine als ewiger Junggeselle, der andere mit Familienproblemen, die in 23 Jahren noch keinen Therapeuten gefunden haben. Immerhin.

Max Ballauf hat offenbar erkannt, dass ein ergrauter einsamer Wolf, missmutig und ermattet, wohl niemals eine Freundin finden wird. Und deshalb erfindet sich Ballauf neu. Neulich habe ich ihn einer dünnen TV-Zeitschrift gesehen. Und das nicht in der Sonntagsprogrammspalte. Nein. Ein ganzseitiger Ballauf lugt aus der Heftmitte als Model für biedere cognacfarbene Lederjacken hervor. Es ist die Werbung eines Versandhauses, das sich auf die Generation spezialisiert hat, die sich auch für Treppenlifte, Flusskreuzfahrten und Hilfsmittel gegen Venenleiden und Harndrang interessiert.

Oldtimer zu schrotten, wäre eine Idee

Das hat mich auf eine Idee gebracht. Ein nächtlicher Sturz aus einem Treppenlift als „Tatort“-Abgang für Ballauf könnte mich versöhnen. Bei einem Draufgänger wie Freddy Schenk könnte es der fehlende Airbag bei einer Verfolgungsjagd mit einem seiner Ami-Schlitten sein. Oder im Diplomat V 8 als Geisterfahrer auf der Mülheimer Brücke. Die ist doch gerade so eng – wegen der Bauarbeiten. Aber dazu müsste der WDR ja mal etwas mehr Geld lockermachen und einen Oldtimer  schrotten.

Das geht auch billiger. Im Vertrauen, verehrter Herr Wachtveitl. Ich war sehr erleichtert, als Lena Odenthal in Ludwigshafen, der hässlichsten aller deutschen „Tatort“-Städte, einen preiswerten Weg gefunden hat, ihren Kompagnon Mario Kopper loszuwerden. Bei dem schmalen Budget des Südwestrundfunks war ein großer Abgang nun nicht drin. Erst unehrenhaft entlassen. Dann abgeschoben nach Sizilien, in die Heimat.

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Seinen geliebten Fiat 130 durfte Kopper mitnehmen. Als Anerkennung für sein Lebenswerk. Geht doch. Lebt Lenas Kater Mikesch noch? Wundern würde mich das nicht. Es gibt nur einen, der mich zuletzt wirklich beeindruckt hat: der hessische LKA-Ermittler Felix Murot, der es bei einem seiner ersten Fälle in Wiesbaden gleich auf 51 Tote bringt – und dafür mit Filmpreisen überhäuft wurde. 51 Tote in 90 Minuten. Das ist mal eine Quote.

„Spiel mir das Lied vom Tod“ auf dem Vorortbahnhof in Bad Nauheim Nord. Bei dem Tempo wird es Murot niemals auf 86 Folgen bringen. Wie Sie, Herr Wachtveitl. Ihnen kann ich nur raten: Lassen Sie die DVD-Kiste ungeöffnet auf dem Speicher verstauben. Sie zu öffnen ist viel zu gefährlich. Sie könnten sich zu Tode langweilen.

Herzlichst, Ihr Peter Berger

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