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Tiertransporte, Rassismus, KlimawandelSo politisch ist der Rundgang der Kölner KHM

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Aus dem preisgekrönten Diplomfilm „Postkids“

Aus dem preisgekrönten Diplomfilm „Postkids“

Köln – Es gibt dieses Jahr zwei Wege in den Rundgang der Kölner Hochschule für Medien. Der eine führt über ein Land, das es nie gab (die „DDR“), der andere in eine Kiste, die sich anfühlt, wie ein aufrecht stehender Sarg. Man betritt letztere durch eine Tür, die hinter dem ahnungslosen Besucher geschlossen wird, und ist erst einmal gefangen. Je nachdem, wie tolerant man auf derlei Kunstwerke reagiert, beginnt man die Festigkeit der Wände sacht zu testen oder etwas handfester zu randalieren. Schließlich fällt einem hoffentlich eine rote Leuchtschrift auf: „Scanning“ blinkt es dort, dann „Alive“ und schließlich springt die Tür zur Freiheit auf.

Man fühlt sich wie ein Schwein auf dem Weg zur Schlachtbank

Pascal Marcel Dreier nennt seinen mit Zeitschloss versehenen Durchschlupf „Schroedinger’s Pig“, frei nach einem Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger. Bei diesem steckte eine imaginäre Katze in der Kiste, bei Dreier ein Mensch, der sich ein wenig wie ein Schwein auf dem Weg zur Schlachtbank fühlen soll. Hinter der zweiten Tür liegt eine Multimedia-Installation mit Videos von Tiertransporten, Forschungsmaterialien über die Tierindustrie und einer Auswertung von Schlachttierbewegungen, die als fiktiver Sternenhimmel an die Wand geworfen wird. Vermutlich geht man nicht automatisch als Vegetarier aus dieser Erfahrung hervor. Aber Dreier spielt sehr geschickt mit den Methoden, mit denen die Tierindustrie versucht, uns ihre „Produkte“ schmackhaft zu machen, indem sie deren Leid verschleiert und beschönigt.

Den anderen Weg in den KHM-Rundgang hat Anne Arndt entworfen. Sie gehört wie Dreier zu den aktuellen Diplomanden der Kölner Kunsthochschule und behauptet in ihrer Abschlussarbeit, dass es die DDR nie gegeben hat. Die geborene Schwerinerin meint das allerdings nicht wörtlich, sondern im dem Sinne, dass unser Bild der DDR ausbleicht und die Erinnerung an sie verschwindet. Ein Symbol dafür findet sie in ehemaligen Bunkeranlagen an der Ostsee, die „Republikflüchtlinge“ aufhalten sollten und heute durch natürliche Stranderosion wie kleine Insel vor der Küste liegen.

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Arndt hat mehrere Videos dieser abtreibenden Schollen gedreht, etliche anti-touristische Ansichtskarten entworfen, eine Liste mit Fluchtopfern erstellt und Sand in Tüten ausgelegt. So will sie die Erinnerung wachhalten, während sie die DDR ironisch ins Reich der kapitalistischen Märchen verlegt. Vor dem Haus sollten drei DDR-Fahnen auf halbmast wehen, doch das wurde der Künstlerin verboten. Jetzt stehen Hammer und Sichel so stolz im Wind, wie es sich für einen Arbeiter- und Bauernstaat gehört.

Selbstredend gibt es noch andere Türen in die coronabedingt verkleinerte Leistungsschau der KHM-Studenten. Lediglich die Absolventen stellen auf dem Hochschulcampus am Filzengraben aus, darunter etwa Biniam Graffé, der sich der katholischen Angstlust vor dem menschlichen Fleisch in wulstigen Latexgebilden und spätbarocken Gemälden widmet. Ji Su Kang-Gatto berichtet in einem klugen Videoblog von rassistischen Erlebnissen in ihrer rheinischen Heimat, Vered Koren entwirft sakrale Objekte für Religionen der Marke Eigenbau, und Paula Pedraza zeigt das gespenstische Setting für ein selbstentworfenes Rollenspiel, in dem Roboter die Pflege von Kranken übernehmen. Das Werk zur Flutkatastrophe ist Renate Mihatsch gelungen: In ihrer Arbeit über den Klimawandel liegen Utensilien einer neuen, heißeren Realität in einem Raum verteilt; der Fußboden ist gänzlich mit Erde bedeckt.

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Die Trennung zwischen Kunst- und Filmstudenten fällt dieses Jahr deutlicher aus, als es der interdisziplinär arbeitenden KHM gefallen dürfte. Mit dem Kinoprogramm weicht sie ins Radstation sowie ins Filmforum des Museum Ludwig aus, teils haben die Abschlussfilme bereits beachtliche Festivalkarrieren hinter sich. So lief Simon Rupiepers „Im gelben Licht“, eine schlafwandlerische Meditation über eine scheinbar alltägliche Lichterscheinung, im Wettbewerb der Kurzfilmtage Oberhausen, Julian Pawelziks „Postkids“ erlebte seine Uraufführung in Saarbrücken. Sein Film „Postkids“ über vier frisch gebackene Abiturientinnen, deren Freundschaft auf eine für das Genre erstaunlich harte Probe gestellt wird, lebt nicht zuletzt von der brillanten Kameraarbeit Hannah Platzers; bei den First Step Awards wurde sie dafür mit dem Michael-Ballhaus-Preis für Bildgestaltung geehrt.

KHM Open. Ausstellung auf dem Hochschulcampus am Filzengraben, Do.-So. 14-20 Uhr. Kinoprogramm in Radstadion und Filmform, Do.-Fr., nur mit Online-Anmeldung. Eintritt frei.

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