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Tom Jones vor dem Kölner DomDer Körper ist gebrechlich, die Stimme nicht

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Tom Jones  

Köln – Der Tiger geht am Stock. Das ist, galt Tom Jones doch stets als Ausbund ungebremster Virilität, ein Schock. Aber auch walisische Urgewalten kommen irgendwann in die Jahre und Jones hat gerade das Zeitalter der zweiten Hüft-OP erreicht.

Die erste, erzählt er dem Kölner Publikum auf dem Roncalliplatz, sei vor fünf Jahren hervorragend verlaufen, doch nun bereitet die andere Seite Schwierigkeiten. Unters Messer wolle er sich aber erst legen, wenn er seine Sommertour beendet hat. Also singt er im Sitzen.

Das Arbeitsethos des Bergmannsohnes war schon immer über jeden Zweifel erhaben. Seine Stimme erst recht. Kehlig, aber warm, rau und sanft zugleich, wie die alte Decke, in die man sich am liebsten hüllt. Und wovon singt der Bariton? „Die Augen werden schwächer/ Ich werde leiser in meiner Rede/ Ich werde tiefer in meinen Seufzern/ Ich werde langsamer in meinem Gang“ – „I’m Growing Old“ heißt dieser erste Song und gleich darauf umarmt der 82-Jährige mit Bob Dylans „Not Dark Yet“ die eigene Sterblichkeit.

Wenn Jones singt, versteht man jedes Wort

Das ist schon ein sagenhafter Einstieg, mehr Gravitas vermag auch die Domkulisse im Hintergrund nicht zu vermitteln. Jones‘ Stimme ist dem Alterungsprozess offensichtlich bis jetzt entkommen. Was sie an reiner Phonstärke einbüßen musste, hat sie an Phrasierung gewonnen. Wenn Tom Jones singt, versteht man nicht nur jedes Wort, man versteht auch, wie jedes Wort gemeint ist.

Und noch ist er nicht bereit dazu, in die Abenddämmerung zu reiten. Jones braucht die Bühne, hat er nicht schon als kleiner Junge auf Hochzeiten gesungen? Wie atmen sei das für ihn, hat er vor ein paar Jahren der BBC gesagt, er sei einfach immer seiner Stimme gefolgt. Etliche schlossen sich an.

So wie jetzt, in Köln, als Jones seinen ersten großen Hit anstimmt: „It’s Not Unusual“, britische Nummer Eins im März 1965, wie der Sänger nicht ohne Stolz erzählt. Auf der Originalaufnahme kann man angeblich Jimmy Page und Elton John spielen hören, vor der Kathedrale spielt die Band das Stück in einer luftigen Akustik-Version mit Akkordeoneinsatz.

An die eigene Katzennase gefasst

Überhaupt sind die Arrangements an diesem Abend durchweg geschmackssicher. „What’s New Pussycat?“ – Jones zweiter großer Mittsechziger-Erfolg – trieft vor Lebenslust und wenn Jones sich bei jeder Erwähnung der süßen, kleinen Katzennase an die eigene Nase fasst, hat man das Gefühl, er würde ob der Absurdität der Anmache (aus heutiger Sicht, versteht sich) gleich losprusten.

Ein weiteres Relikt aus den Sixties, Michel Legrands leicht psychedelisch angehauchtes „The Windmills of Your Mind“, singt Jones erst seit kurzem, seit er es für sein Album „Surrounded by Time“ aufgenommen hat. Mit dem wurde er vergangenes Jahr zum ältesten Menschen im Vereinigten Königreich mit einem Nummer-Eins-Album. Die hoch und wieder herunter kletternde Melodie folgt Steve McQueens Segelflugszene am Anfang von „Die Thomas Crown Affäre“, Jones‘ Version dagegen ist mit Düsenantrieb ausgestattet und der Übergang zu seinem vor allem in Deutschland beliebten ‘99er-Jahre-Hit „Sex Bomb“ ist gar nicht mal so abrupt. Es sei ja auch wirklich ein deutsches Lied, sagt Jones, produziert von seinem Freund Mousse T., Sohn türkischer Einwanderer.

Ein langes Leben im Schaugeschäft

Die Dramaturgie des Abends setzt sich so fort: Zwei Lieder für Jones, eines fürs Publikum. Erstere erzählen unweigerlich von Jones‘ langen Leben im Schaugeschäft. Von „Pop Star“, Cat Stevens‘ lakonische Abrechnung mit den eigenen Anfängen als Teen-Idol, bis zu Leonard Cohens „Tower of Song“, einer Demutsgeste im Herbst der Karriere. Wenn Cohen sang, dass er keine Wahl hatte, weil ihm nun mal mit einer Goldenen Stimme geboren worden sei, triefte die Zeile vor Ironie. Als Jones sie nun wiederholt, bekommt er Szenenapplaus. Seine Stimme ist ja wirklich ein Geschenk.

Er covert noch mehr Dylan („One More Cup of Coffee“ vom „Desire“-Album) und auch den „Lazarus Man“ des schwarzen Folk-Sängers Terry Callier. So fühlt man sich also, wenn man, wie Jones, immer wieder von den Toten auferstanden ist (oder von Las-Vegas-Engagements): „I’ve got nothing but time on my hands“, es ist die Zeit, die bleibt.

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Dazwischen darf „Delilah“ mitgeschmettert werden, oder man kramt zu Randy Newmans „You Can Leave Your Hat On“ oder Princes „Kiss“ liebgewonnene erotische Fantasien wieder aus. Tom Jones singt auch seine gut abgehangenen Klassiker mit Inbrunst. Am Ende wundert er sich, dass er „One Hell of a Life“ hatte, aber er schließt mit einem fröhlichen Schulterzucken: „Strange Things Happening Every Day“, ein Rock’n’Roll-Stück, das auch ein Gospel ist im Angesicht der Zufälle des Lebens.

So wie Tom Jones möchte man alt werden. Es ist nicht schlimm am Stock zu gehen, wenn man die geistigen Krücken so weit von sich geworfen hat. Und: Was für eine Stimme!

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