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Vor 25 Jahren in Köln gestartetMusiksender Viva verabschiedet sich

Lesezeit 5 Minuten
Imago Heike Makatsch

Auch die Karriere von Heike Makatsch' (hier im Jahr 1995) startete bei Viva.

Köln – Am 1. Dezember 1993 stand die damals 22 Jahre alte Heike Makatsch in einem Studio in Köln-Ossendorf. Ihre Zöpfe ließen sie fast kindlich wirken, als „Girlie“ sollte sie deshalb lange bezeichnet werden. „Wir sind Viva. Und wir sind mehr als ein Fernsehsender. Denn wir sind euer Sprachrohr. Und euer Freund. Und ab heute bleiben wir für immer zusammen, ok?“

Mit diesen Worten gab sie zum Sendestart des Musiksenders den Ton vor für alles, was noch kommen sollte. Ihr Co-Moderator, oder VJ (Videojockey), wie das bei Viva hieß, Nils Bokelberg ergänzte: „Alles, was euch angeht, geht uns genauso an. Wir sind euer Fernsehen. Eure Sprache, Eure Farben und vor allem eure Musik.“

Dann lief das erste Video, natürlich war die Wahl auf eine deutsche Band gefallen. Die Fantastischen Vier sangen „Zu geil für diese Welt.“ Das war auch als Motto für den neuen Sender gemeint.

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Wenn man sich die erste Sendung mit Makatsch, Bokelberg und Mola Adebisi heute anschaut, wirkt das alles merkwürdig anbiedernd und naiv. Doch Anfang der 90er Jahre traf Viva einen Nerv. Direkt und mit Du angesprochen wurde man bis dahin nur im Kinderfernsehen.

Bei allen anderen Fernsehformaten gab es einen großen Graben: Die vor der Kamera, wir im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Heute kann jeder mit der Handykamera zum Internet-Star werden oder sich in Scripted-Reality-Sendungen als Laienschauspieler versuchen. Vor 25 Jahren war das anders.

Ein TV-Sender als Freund

Wer es ins Fernsehen geschafft hatte, war etwas Besonderes. Und dann kam da dieser Sender, der dieses andere, neue, aufregende Gefühl vermittelte: Wir sind Freunde. Wir bestaunen das Leben gemeinsam. Wir sind nicht besser als du. Wie auch, die Moderatoren wirkten ja allzu oft als wären sie geradewegs aus dem heimischen Kinderzimmer vor die Kamera gestolpert – manche waren das auch.

Nils Bokelberg etwa war 17 Jahre alt beim Sendestart. Es waren aber nicht nur die Jugendlichkeit der VJs, die knallbunten Kulissen mit den anscheinend wahllos drapierten Sperrholzmöbeln, die betonte Lässigkeit der Ansprache, was Viva für Jugendliche in den 90er Jahren so relevant machte.

Musikfernsehen kannte man vorher nur von MTV. Der Sender war Anfang der 80er Jahre in den USA an den Start gegangen und später nach Europa expandiert. Umgangssprache war Englisch. Das fanden deutsche Teenager zwar ganz cool, aber alles verstand man dann eben doch nicht und die Welt, die dort präsentiert wurde, schien unendlich weit weg.

Viva bediente den europäischen Musikgeschmack

Hinzu kam, dass Anfang der 90er in den USA der Grunge den Ton angab. Europa hingegen liebte den Eurodance: Dr. Alban, Snap!, Culture Beat, DJ Bobo, Captain Hollywood Project oder Haddaway. Heute möchte man es gern verdrängen, doch damals lief diese Musik in Deutschland rauf und runter. Bei MTV fand sie aber so gut wie gar nicht statt.

Ausgerechnet der amerikanische Medienriesen Time Warner erkannte, dass es in Deutschland eine Lücke zu füllen gab und gründete Viva. Geschäftsführer war Dieter Gorny. Aus Köln-Ossendorf wurde gesendet. Und das Konzept ging auf. Viva wurde eine echte Erfolgsgeschichte und diente vielen VJs als Sprungbrett.

Enie van de Meiklokjes, Matthias Opdenhövel, Milka Loff Fernandes, Minh-Khai Phan-Thi, Gülcan Kamps, Tobias Schlegl, Aleksandra Bechtel, Johanna Klum, Klaas Heufer-Umlauf, Sarah Kuttner, Oliver Pocher, Palina Rojinksi, Jessica Schwarz – die Liste derer, die man heute noch kennt und die einst bei Viva vor der Kamera standen, ist schier endlos.

Und auch der ausgebildete Metzger und abgebrochene Jurastudent Stefan Raab startete bei Viva seine TV-Karriere. Hier fand er genau das Spielfeld, das er brauchte, um seine Talente auszuleben: Ideenreichtum, Mut, Spontanität, Musikalität. Ohne Viva wäre Raabs Weg auf den Fernseh-Olymp sicherlich anders und steiniger verlaufen.

Die 90er waren das Jahrzehnt für Viva. Der Sender zog irgendwann in den Kölner Mediapark, richtig glamourös war es da zwar auch nicht, aber besser als Ossendorf war es allemal. Und mit dem 1995 gegründete Viva 2 versuchte man von 1998 an sogar drei Jahre lang, Musikinteressierte jenseits des Mainstreams zu bedienen. Alles schien möglich. Doch seinen Zenit hatte Viva da schon lange überschritten.

Das Indie-Experiment Viva 2 wurde bald wieder aufgegeben. Und als der Sender 2004 von dem amerikanischen Medienkonzern Viacom übernommen wurde, zu dem auch die internationale MTV Group gehört, war das der Anfang vom Ende. Der Anteil an Eigenproduktionen sank, der Sender zog nach Berlin und fiel fortan vor allem durch nervige Klingelton-Werbung auf.

Der 25. Geburtstag ist ein trauriger für Viva. Denn es ist sein letzter. Am 31. Dezember dieses Jahres wird Viva eingestellt. Im Koma liegt der Sender aber schon lange. So richtig wird ihn deshalb niemand vermissen.

Die heutige Jugend braucht kein Musikfernsehen mehr. Musik ist immer und überall verfügbar, Videos und Live-Auftritte werden millionenfach im Internet geklickt. Heutige Teenager finden die Vorstellung, stundenlang vor dem Fernseher zu sitzen in der Hoffnung, dass das Video der Lieblingsband vielleicht gezeigt wird, vermutlich ähnlich absurd wie den Gedanken, dass ein Leben vor Internet und Mobiltelefonen möglich war.

Auch MTV spielt heute kaum noch eine Rolle. „Viva liebt dich“ war lange Zeit der Slogan des deutschen Musiksenders. Doch die Gegenliebe blieb irgendwann aus. Und jeder, der schon mal richtig Liebeskummer hatte, weiß, wie weh so eine unerwiderte Liebe tun kann. Von daher ist es besser, dass Schluss ist.

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