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Uraufführung am Schauspiel KölnMaya Arad Yasurs Theaterstück „Bomb“ schlägt nicht ein

Lesezeit 4 Minuten
Über den Wolken: Laura Friedmann, Nikolaus Benda, Campbell Caspary (v. l. )

Über den Wolken: Laura Friedmann, Nikolaus Benda, Campbell Caspary (v. l. )

  • Die britische Regisseurin inszenierte das neue Stück der israelischen Autorin Maya Arad Yasur im Depot 2 des Schauspiel Köln.
  • Leider enttäuscht der Abend gleich auf mehreren Ebenen.
  • Unsere Premierenkritik.

Köln – Ein Kunstwerk dahingehend zu interpretieren, dass man es auf Parallelen zum Leben seines Autors hin abklopft, gilt zumindest in akademischen Kreisen als furchtbar naiver Deutungsansatz. Schon wegen seines unweigerlichen Hanges zur küchenpsychologischen Ferndiagnose. Aber Spaß macht er doch.

Im Depot 2 beschreiben sechs Schauspieler und Schauspielerinnen in „Bomb“ die spektakuläre Performance einer Frau, die lange Schlangen vor dem Pavillon einer Kunstbiennale generiert. Das neue Stück der israelischen Dramatikerin Maya Arad Yasur wurde das am Samstagabend am Schauspiel Köln uraufgeführt.

Die Performerin steht in einer Art Aquarium, rupft sich ihre langen, kohlenfarbenen Haare vom Schädel und klebt sie sich mit Wachs als Flügel an ihre Arme. Unter ihren Füßen liegen Kirschen, die sie zu einem blutigen Brei zertritt. „Ich bin Ikarus“, so der Titel der Arbeit. Was will die Künstlerin damit sagen?

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Stückbrief

Regie: Lily Sykes

Bühne: Eva Veronica Born

Kostüm: Jelena Miletić

Mit: Nikolaus Benda, Campbell Caspary, Laura Friedmann,

Justus Maier, Birgit Walter, Ines Marie Westernströer, Ioan Hamza, David Schwarz, Ida

Marie Fayl, Ruth Grubenbecher

Termine: 15., 29. Februar,

4., 21., 27. März, Depot 2,

100 Minuten, keine Pause

Die sechs Personen halten sich auf der Suche nach einer Bedeutung nicht lange mit kunstgeschichtlichen Einordnungen auf, sie spinnen einen Faden durch ein erzählerisches Labyrinth, in dem sie sich nach und nach mit Hilfe verschiedener Einfälle, Überflügelungen und Abschweifungen vorantasten.

Langsam knüpft sich so aus unverbindlichen Vorschlägen ein roter Faden, eine Story mit handelnden Personen, ein wenig wie im Writer’s Room einer Fernsehserie – die Autorin hatte diese Form bereits für ihr Drama „Amsterdam“ gewählt, mit dem sie 2018 den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens gewonnen hat. Ein Panzerfahrer, der traumatisiert aus dem Krieg heimkehrt und seine Tochter – die spätere Performance-Künstlerin – nicht mehr lieben kann. Ein Jagdflieger, der zweimal hintereinander den Schießbefehl verweigert und beim dritten Mal versehentlich die eigenen Kameraden trifft. Ein kleiner Junge mit einer Leica-Kamera, der bei einem Raketenangriff des Jagdfliegers seinen Vater verliert.

Was ist Metapher, was konkret? Was erfunden, was exakt so passiert? Die zu enträtselnde Kunst-Performance bekommt man im Depot 2 nicht, beziehungsweise erst gegen Ende des Abends zu sehen. Aber sie spiegelt sich in den Geschichtenerzählern wider, die Perücken mit langen Zöpfen und Hemden im Tarnfarbenlook tragen (Kostüme: Jelena Miletić).

Fortwährend betont Maya Arad Yasur die Allgemeingültigkeit ihrer Geschichte, sie könnte sich, lässt sie ihre Charaktere feststellen, in Beirut oder Belgrad, in China oder Coventry zugetragen haben. Das Bühnenbild (von Eva Veronica Born) besteht aus einer Art Karussell, umrundet von weißen Plastikhockern, in dessen Mitte sich der mit Klettergerüst und Leuchtröhren verzierte Pilz einer Bombenexplosion erhebt. Die Konstruktion erinnert ein wenig an die Mailänder Design-Gruppe Memphis, und damit an die 1980er Jahre überhaupt. Aber auch sie könnte überall stehen.

Der Auslöser für „Bomb“ sind jedoch die greifbaren Geschichten zweier historischer Figuren: Ein israelischer Pilot, der sich im Libanonkrieg 1982 weigerte, auf ein Ziel zu feuern, das er als Schule oder Krankenhaus identifiziert hatte. Und jener US-Pilot, der das Signal zum Abwurf der Hiroshima-Atombombe gab, und fortan von Reue-Gefühlen heimgesucht wurde.

Wie ein Kitschmotiv

Hätte Yasur doch nur den Zuschauern den (ganz unweigerlichen) Schluss auf die Allgemeingültigkeit überlassen. So wirkt „Bomb“ wie ein Puzzle, das nur so lange fasziniert, als man es zusammenlegt, in seiner vervollständigten Form jedoch als Kitschmotiv aufstößt, inklusive eines auftretenden Kindes, das ein T-Shirt mit Zielscheiben-Motiv trägt: Krieg ist böse, huch!

Die britische Regisseurin Lily Sykes hat in der vergangenen Spielzeit Martin Crimps Euripides-Bearbeitung „Alles weitere kennen sie aus dem Kino“ in Köln inszeniert, auch da lief die Geschichte auf die Opferung eines Kindes zum Wohl der Allgemeinheit hinaus. Hier gibt sie das Dilemma gleich an das Publikum weiter, schickt ihr Ensemble auf die Tribüne, wo es einzelne Zuschauer mit der Frage „Hitler versteckt sich in einem Kindergarten. Bombardierst du den Kindergarten?“, nun ja, bombardiert.

Eventuelle Antworten warten die Darsteller allerdings gar nicht erst ab. Allem Anschein nach wollten sie nur mal kurz Ethik-Grundkurs in der moralischen Anstalt spielen. Was letzten Endes für den gesamten Text gilt, der nur allseits bekannte Fragen aufwirft, statt den Nötigungen des Krieges neue Erkenntnisse abzutrotzen.

Frontalunterricht im Theater

Schauspielerisch gibt es an Campbell Caspary, Laura Friedmann, Justus Maier, Birgit Walter und Ines Marie Westernströer kaum etwas auszusetzen, und am allerwenigsten an Nikolaus Benda, dem es als Einzigem gelingt, der leblosen Vorlage so etwas wie einen lebenden Menschen abzutrotzen. Letztlich sind hier aber alle gezwungen, ihren Text im immer gleichen Anklageton und im theatralen Äquivalent des Frontalunterrichts vorzutragen.

Erholung gewähren einzig ein paar dadaistische Chornummern – und eine kleine Panne, als sich Campbell Caspary und Justus Maier an einem störrischen Haargummi abarbeiten und gleichzeitig ihre Szene abliefern müssen. Endlich geht man mit. Nein, nicht aus Schadenfreude. Sondern, weil nun endlich zwei ausgezeichnete Darsteller mit- statt nur nebeneinander spielen dürfen.

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