Versenkung und Aufwachen

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Nein, von Yuja Wangs Outfits soll nicht die Rede sein. Zu interessieren hat ausschließlich, wie die chinesische Starpianistin jetzt im Meisterkonzert zusammen mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter seiner Chefdirigentin Mirga Grazinyte-Tyla Schumanns Klavierkonzert spielte. Das Werk von 1845 ist virtuos, reicht aber nicht an das Zirzensische der Konzertsaal-Schlachtrösser späterer Zeit heran. Und siehe da: Wenn Yuja Wang nicht ihre phänomenalen, nach oben irgendwie unbegrenzten manuellen Fähigkeiten ausspielen kann, sieht sie sich auf Normalmaß gestutzt. Nein, das ist zu böse: Sie ist so oder so eine sensible Interpretin, aber das sind – gerade bei diesem Werk – andere auch.

So lieferte sie also in Köln eine sehr gute, aber eben nicht exzeptionelle Deutung ab: Mehr noch als die virtuosen Steigerungen gefielen die lyrische Versenkungen, die etwa im Kopfsatz die Dur-Varianten des Hauptthemas erfasste. In der Partitur steht da zwar „a tempo“, aber trotz der annähernd beibehaltenen Grundgeschwindigkeit gelingt es der Künstlerin, den Ausdruck zur Fantasie hin zu entgrenzen. Der plötzliche Forte-Einbruch in der Durchführung: das Aufwachen aus einem schönen Traum.

Technisch fabelhaft und in der Performance hellwach agierte auch das Orchester – in der Begleitung genauso wie in einer Rhapsodie über Moldawische Themen von Miecyslaw Weinberg zu Beginn und Brahms’ zweiter Sinfonie am Schluss. Energie, Druck, Strahlkraft und federnde Gewalt der Synkopen sind hier freilich nicht alles – und ein eher heller Grundsound, in dem die Einzelfarben (Hörner!) überdeutlich zu vernehmen sind, geht auf Kosten jener satten Wärme, die der deutschen Romantik auch zugehört.

Diese Kritik sei zurückhaltend geäußert, weil es an intensiven und eindringlichen Strecken fürwahr nicht fehlte. Aber allein der Verzicht auf die Wiederholung der Exposition im Kopfsatz zeigte an, dass auch die hochkompetente Dirigentin für die spezifischen Belange Brahms’scher Formdramaturgie offenkundig nur ein begrenztes Verständnis aufbringt. (MaS)

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