Vincent van GoghNeue Ausstellung will mit Klischees über den Maler brechen

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Selbstporträt des Malers

Selbstporträt des Malers

Der einsame Wolf ist nicht mehr der alte. „Wir wollen das Klischee-Bild korrigieren, das in der Vergangenheit von Vincent van Gogh gezeichnet worden ist“, sagt Charles de Mooij. Der Direktor des Noordbrabants Museum im niederländischen ’s-Hertogenbosch verweist auf all die Biografien und Porträts, die den Künstler vor allem als cholerischen, weltfremden, groben, die Kleidung und die Manieren vernachlässigenden Zeitgenossen zeigen.

„Das aber stimmt so nicht“, sagt de Mooij. Er empfiehlt den neuen Blick, den die Ausstellung „Van Goghs innerer Zirkel“ auf die Beziehung zu Freunden, Familienangehörigen und Modellen wirft.

Tatsächlich finden sich in den Quellen, zumal in den Briefen, zahlreiche Hinweise darauf, dass Vincent van Gogh (1853-1890) auch freundliche, kommunikative, empathische Züge hatte. Diese zeigten sich nicht nur im Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder Theo, dem „wichtigsten Menschen in seinem Leben“, der ihn mit Geld und Ratschlägen unterstützte. Auch betont die Ausstellung die Kinderliebe des Künstlers, die Liebesbeziehungen zu Sien Hoornik und zu Margot Begemann, seine Zuneigung zu Modellen wie dem alten Adrianus Jacobus Zuyderland oder zu Malerkollegen wie Camille Pissarro, Paul Signac, Henri Toulouse-Lautrec. Oder die zu Paul Gauguin – zwar schnitt sich van Gogh im Jahre 1888 nach zwei Monaten, die die beiden Künstler in Arles verbracht hatten, ein Ohr ab, aber immerhin blieben die Kollegen in Briefkontakt.

Der Maler Anthon von Rappard formuliert, wie dünn das Eis war, auf dem man mit van Gogh ging: „Er war nicht einfach im Umgang. Nur wenige konnten es mit ihm und seinem fanatischen Ungestüm aushalten. Unsere Beziehung dauerte fünf Jahre, und wenn ich während seiner Ausbrüche nicht ruhig geblieben wäre, hätte sie nicht so lange gehalten.“ Der Kontakt brach ab, nachdem von Rappard die Lithografie-Version von van Goghs „Kartoffelesser“ unverhohlen kritisiert hatte. Das Ende markierte die postwendende Reaktion: „Ihr Schreiben erhielt ich soeben – zu meiner Verwunderung. Sie erhalten es hiermit zurück. Grüße, Vincent“.

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So gelingt es der Ausstellung zwar, anhand von nahezu 100 Gemälden und einigen Archivalien den Menschen Vincent van Gogh ein wenig freundlicher erscheinen zu lassen als bisher. Gleichwohl bleibt der Eindruck, dass der Kontakt zu ihm nicht leicht zu knüpfen und zu halten war. Immerhin – wer die verbindliche Seite des Mannes kennengelernt hatte, wusste diese zu preisen.

Die Ausstellung in ’s-Hertogenbosch ist Teil einer Offensive der Provinz Nordbrabant, die Heimat des Künstlers stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Tatsächlich lässt es sich auf van Goghs Spuren fabelhaft durch Brabant reisen. Dort ist es ihm - wie er einmal schrieb – „ziemlich gut“ ergangen – „zumindest finde ich die Natur hier sehr erfrischend“. Selbst als er später die Sonnenblumenregion in Frankreichs Süden vorzog, träumte er von der Heimatlandschaft. Und noch heute lassen sich in den südlichen Niederlanden viele Szenerien aus seinem gewaltigen Werk aufspüren.

Zundert ist da die chronologisch erste Adresse. Zwar wurde das Haus in Zundert, in dem Vincent 1853 als Pfarrerssohn zur Welt kam, 1903 abgerissen. Doch seit 2008 befindet sich an gleicher Stelle das informative „Vincent van Gogh Huis“, in dessen Garten ein Pflaumenbaum steht, der auf die Zeit des jungen Vincent zurückgeführt wird. Die aktuelle Neuentdeckung von Kurator Ron Dirven ist ein Porträt von van Goghs Gouvernante Anna Birnie. „Jetzt hat sie endlich ein Gesicht“, sagt er. Dirven hält es für wahrscheinlich, dass Anna – immerhin Tochter eines Malers – den Jungen zum Zeichnen angeregt hat. Bislang ging man davon aus, dass Vincents Mutter die ersten künstlerischen Anstöße gegeben habe.

Besonders viele und tiefe Lebensspuren des Künstlers finden sich in Nuenen. Nirgends, so heißt es selbstgewiss vor Ort, komme man ihm näher. Ein Viertel der fast 2000 Werke ist hier in nur zwei Jahren entstanden, wie man im Museum Vincentre erfährt. Darunter sind auch die „Kartoffelesser“, die er einmal als sein wichtigstes Werk bezeichnet hat und die dem Ort heute den schönen Straßennamen „Aardappeletersteegje“ ermöglichen. 1883 zieht Vincent van Gogh ins prächtige Pfarrhaus ein – der Vater hat wieder einmal den Arbeitsplatz gewechselt. Doch Komfort und Geräumigkeit des Gebäudes missfallen dem Künstler. Bald schon wechselt er in den Schuppen im Garten. Die Pastorin Marlies Schulz, die aus Hamburg stammt und seit Anfang des Jahres 2019 im Pfarrhaus lebt, hat das Atelier kürzlich von Fahrrädern und Gartenmöbeln befreit. Klein ist der Raum, mit niedriger Decke und nur zwei winzigen Fenstern – groß genug für Weltkunst war er dennoch.

Die Ausstellung

Ausstellung „Van Goghs innerer Zirkel – Freunde, Familie, Modelle“ im Noordbrabants Museum im niederländischen ’s-Hertogenbosch, bis 12. Januar 2020.

Diese Gebäude und der Garten sind nur von außen zu besichtigen. Hingegen ist das liebevoll ausgestattete Haus der Geliebten Margot Begemann, gleich nebenan, samstags geöffnet. Jacqueline Bekkers, die das Denkmal mit ihrer Familie bewohnt und bewahrt, sagt über Margot: „Sie liebte ihn wirklich, denke ich. Doch Margots ältere, unverheiratete Schwestern waren gegen diese Beziehung. Und sie tat immer, was diese sagten. Sie war fünf Monate mit Vincent glücklich gewesen – dann war es vorbei.“ Margot nahm Strychnin, überlebte allerdings den Suizidversuch.

„Der Künstler ist ganz und gar zu einem Mythos geworden“, hat Arnulf Rainer einmal bewundernd über Vincent van Gogh gesagt. Ein Mythos, der in Brabant aufs Schönste besichtigt werden kann.

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